Düsseldorf. Nach der Airbus-Katastrophe in Frankreich steht Deutschland unter Schock. Szenen eines Tages, an dem viele um Worte ringen.
Der Horror erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Als Erstes sieht man aus der Luft nur ein nahezu abstraktes Gemälde. Es ist eine von Falten durchzogene grauschwarze Fläche mit winzig kleinen weißen Punkten. Der Schrecken steckt in diesen Punkten.
Es sind die Reste des Fluges 4U 9525. Sie zeigen, dass der Germanwings-Airbus beim Aufprall in den französischen Alpen nahezu pulverisiert ist. 150 Menschen haben hier den Tod gefunden, darunter vermutlich 67 Deutsche.
„Das Flugzeug ist total zerstört“, schreibt Christophe Castaner, Abgeordneter der Region Alpes-de-Haute-Provence, bei Twitter. Er überfliegt die Absturzstelle an diesem Dienstagnachmittag gemeinsam mit Innenminister Bernard Cazeneuve. „Entsetzliche Bilder in dieser Berglandschaft. Es bleibt nichts außer Trümmern und Körpern.“
Zumindest aus der Luft lassen nur wenige Trümmer überhaupt erkennen, dass es sich um Reste eines Flugzeuges handelt. Aber hier und dort erahnt man ein Wrackteil mit Bullaugenfenstern.
Flugzeugkatastrophen – das war bisher weit weg. Etwa das Verschwinden des Airbusses A320-200 über der Java-See – schockierend, wie sich da ein Flugzeug einfach aufzulösen schien. Dann gab es den vermuteten Abschuss der aus Amsterdam kommenden Maschine von Malaysia Airlines über der Ostukraine. Viele der Passagiere waren auf dem Weg in den Urlaub – um dann Opfer eines Krieges zu werden, mit dem sie nicht das Geringste zu tun hatten.
Nun das: ein Absturz im Nachbarland Frankreich. Eine deutsche Maschine. Und eine Strecke, die ganz alltäglich ist: Barcelona – Düsseldorf.
Millionen Deutsche denken jetzt: Das könnte ich sein. Als Passagier. Oder einer der Angehörigen unter Schock, die auf dem Flughafen stehen und vor den Kamerateams abgeschirmt werden. Da kommt der Horror ganz nahe.
Auf dem Düsseldorfer Flughafen klafft eine Leerstelle auf der Anzeigetafel für die angekommenen Flüge. „4U 9525 Barcelona 11:55“ steht da und dahinter – nichts. Kein „gelandet“, keine Nummer eines Ausgangs. Nur ein weißes Feld.
Ein anderes Bild dieser Katastrophe stammt von Flightradar24: Man sieht eine Karte von einer gebirgigen Landschaft und darüber einen grünen Strich – den Kurs der Maschine. Irgendwo endet der Strich. Darüber steht: „Last position of Germanwings flight #4U9525 at 09:40 UTC.“ Zum Absturzort in den zerklüfteten Bergketten der Alpen kommt man per Auto nicht, sagen Bergführer. Nur mit dem Hubschrauber – oder zu Fuß. Die Unglücksstelle liegt zehn Kilometer nordöstlich von Digne-les-Bains, in mehr 2000 Metern Höhe. Les Trois Evêchés heißt das Felsmassiv – auf Deutsch: die drei Bistümer.
Zwei Babys sollen an Bord gewesen sein. Und auch 16 Schüler aus Haltern in Westfalen in Begleitung zweier Lehrer, das wird am Nachmittag traurige Gewissheit. Sie waren auf dem Rückweg von einem Austausch in der Nähe von Barcelona – ein Gegenbesuch, im Dezember waren zwölf spanische Schüler bei ihnen gewesen. „Die unfassbare Tragödie lässt Worte versagen“, teilt der katholische Kardinal Reinhard Marx mit. „Deshalb rufe ich zum Gebet für Opfer und Angehörige auf. Erbitten wir für sie Gottes Beistand und Trost.“
Um 14.30 Uhr tritt in Berlin die Kanzlerin vor die Kameras. Sie ist kein Mensch, der dazu neigt, offen Gefühle zu zeigen, und auch jetzt ist sie um Beherrschung bemüht. Aber man merkt doch, dass es ihr schwer fällt. Was sie sagt, liest sie ab. Das hilft in solchen Situationen. Jeder, der schon einmal auf der Beerdigung eines ihm nahestehenden Menschen gesprochen hat, weiß das. Angela Merkel spricht über die Opfer. „Das Leid ihrer Familien ist jetzt unermesslich“, sagt sie.
Frankreichs Präsident François Hollande hat seine erste Erklärung vor der französischen Trikolore und der Europa-Flagge abgegeben. Und das ist wohl mehr als Symbolik, denn an diesem Tag stehen die Europäer wirklich zusammen. Merkel und Hollande – sie sind nun schon wieder in Trauer vereint. Das letzte Mal waren es französische Opfer nach den Terroranschlägen von Paris. Diesmal sind es viele Deutsche. Am heutigen Mittwoch wird Angela Merkel nach Frankreich reisen.
Präsident Hollande spricht von einem „Unglück“. Das deutet darauf hin, dass man keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund hat. Dann also technisches Versagen? Die Experten winken ab: Alles viel zu früh! Auf allen Kanälen, auf allen Websites wird jetzt aufgelistet, wie viele Unfälle es in der Vergangenheit schon mit Maschinen dieses Typs gegeben hat.
Am Nachmittag Pressekonferenz der Fluggesellschaft Germanwings in Köln. Der Pilot hatte 6000 Flugstunden auf diesem Airbus-Typ, flog seit zehn Jahren für die Lufthansa, heißt es dort. Das Wetter war gut. Die Maschine wurde – natürlich – regelmäßig gewartet. Der jüngste Routine-Check war erst am Vortag.
Die Maschine hatte erst eine Minute zuvor ihre Flughöhe erreicht, da ging sie wieder in den Sinkflug. Was dann geschah: ein Rätsel. „Wir können jetzt noch nicht spekulieren“, sagt Germanwings-Chef Thomas Winkelmann. „Das ist zu früh. Wir müssen das jetzt aufklären. So schnell wie möglich. Aber properly.“
Man muss schon sehr weit zurückgehen, bis zum Concorde-Unglück vom Juli 2000, um ein Flugzeugunglück mit ähnlich katastrophalen Folgen für Deutschland zu finden. Damals kamen in Paris 113 Menschen ums Leben, darunter 97 Deutsche, von denen viele aus Hamburg kamen. Die Katastrophe vollzog sich vor aller Augen. Diesmal: gibt es viele Stunden lang keine Bilder von der Unglücksstelle.
Im Fernsehen wird die Nummer einer Hotline wiederholt, unter der sich die Angehörigen informieren können. Was muss das für ein Gefühl sein, diese Nummer zu notieren und dabei zu wissen, dass es keinen Überlebenden gibt? Präsident Hollande hat es früh gesagt: Keine Überlebenden. Kein endloses Warten am Flughafen, sondern sofort schreckliche Gewissheit.