Port Vila. Bis zu 90 Prozent der Häuser in Vanuatus Hauptstadt beschädigt. Regierung ruft Notstand aus. Bitte um internationale Hilfe
Monstersturm, Horrornacht, das Ende der Welt: Mit diesen Worten beschreiben Überlebende die furchtbaren Stunden, in denen Zyklon „Pam“ den Südseestaat Vanuatu zerstörte. „Ich sitze im Hotel im Badezimmer und presse mich gegen die Tür. Die ganze Balkonfront ist gerade zerborsten, und es hört sich an, als ob das Dach gleich abhebt“, spricht Alice Clements vom Uno-Kinderhilfswerk Unicef um kurz nach Mitternacht in fast völliger Dunkelheit mit zitternder Stimme in Port Vila in ihr Handy. Das Video lädt sie später bei YouTube hoch. „Ich fürchte um mein Leben.“
Und so erlebt es Studentin Desiree Hetzel aus Karlsruhe, die gerade in Port Vila für ihre Masterarbeit recherchiert: „Wir haben uns im Haus verbarrikadiert. Aber durch alle Ritzen kam Wasser.“ „Wie Ozeanwellen, die an den Strand krachen“, empfindet Chloe Morrison vom Hilfswerk World Vision den tosenden Sturm. „Furchterregend.“
Am Tag danach, am Sonnabend, herrscht erst einmal gespenstische Stille. Port Vila? „Ein Bild absoluter Verwüstung“, sagt Morrison. „Als wäre eine Atombombe hochgegangen“, schildert der Neuseeländer Malcolm Whitlock im Fernsehen die Lage. „Alle Bäume sind weg, überall liegt Wellblech“, sagt Desiree Hetzel. „Wir haben keinen Strom.“
Übrig sind verbeulte Wellblechhüttenwände, um die tosendes Wasser spült. Menschen waten mit ihrem letzten Hab und Gut in einer armseligen Plastiktüte durch knietiefes Wasser. Eine Familie hat eine alte Plastikplane über die Reste ihrer Hütte geworfen.
„Sämtliche Vegetation in und um Port Vila liegt flach, Telefon- und Strommasten liegen auf der Straße“, sagt Christopher Bartlett, für die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) vor Ort. „Man konnte in den ersten 36 Stunden kaum aus dem Haus, weil Stromkabel abgerissen über den Straßen hingen.“ Am Sonntag dann endlich die ersten Sonnenstrahlen: Viele nutzen das, um Dächer zu reparieren und Matratzen und Kleidung zu trocken, wie er sagt.
Mit gnadenloser Gewalt ist Zyklon „Pam“ über den Inselstaat gezogen. Die Zustände in Port Vila sind schlimm genug. Wie es aber auf den anderen Inseln aussieht, weiß auch am Sonntag niemand. Mehr als 180.000 Menschen sind von der Außenwelt abgeschnitten, kein Handy funktioniert, niemand hat Kontakt. „Wir haben eben eine Luftaufnahme gesehen, von einer anderen Insel: Es sah so aus, als seien alle Häuserreihen komplett zerstört“, berichtet Hetzel.
„Die Leute können das Ausmaß kaum fassen“, sagt Bartlett. Stummes Entsetzen sieht auch Morrison in den Gesichtern. Als Allererstes habe sich jeder um den Nachbarn gekümmert: „Das ist typisch, die Leute halten zusammen“, sagt sie. Vanuatu ist bekannt für die Herzenswärme der Menschen.
Der Inselstaat wurde vor ein paar Jahren von einer Stiftung, die Wert auf Umweltverträglichkeit und Lebensgefühl legt, zum „glücklichsten Platz der Welt“ gekürt. Die Tourismusbehörde macht bis heute Reklame damit, zu Bildern von kilometerlangen Sandstränden und tropischen Regenwäldern. Dabei sind die Menschen Katastrophen gewohnt, Erdbeben und Vulkanausbrüche. Nie haben sie sich unterkriegen lassen. Die Dimension von Zyklon „Pam“ ist aber beispiellos. „Unsere Hoffnung auf eine blühende Zukunft ist zerstört“, sagte Vanuatus Präsident Baldwin Lonsdale. Er kämpft gegen die Tränen.
Die Regierungen der Inselstaaten riefen am Sonntag den Notstand aus und baten die internationale Gemeinschaft dringend um Hilfe. Hilfsorganisationen sprachen von einer der schlimmsten Unwetterkatastrophen im Pazifik. In der Hauptstadt Vanuatus, Port Vila, wurden nach Angaben der Hilfsorganisation Oxfam bis zu 90 Prozent der Häuser beschädigt. Nach offiziellen Angaben wurden bis Sonntag sechs Tote geborgen. Doch das Uno-Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha) ging Berichten über mindestens 44 Tote in nur einer Provinz nach. Wegen des Zusammenbruchs das Telekommunikationsnetzes ist das Ausmaß der Schäden noch unklar. Das Uno-Kinderhilfswerk Unicef Neuseeland warnte, „Pam“ könne eine der „schlimmsten Unwetterkatastrophen in der pazifischen Geschichte“ sein. Es sei zu befürchten, dass Tausende Menschen betroffen seien, sagte Unicef-Neuseeland-Chefin Vivien Maidaborn.