Los Angeles. Nach dem Tod eines Obdachlosen durch Polizisten in Los Angeles wird der Fokus auf das Hauptproblem in dem Elendsviertel gelegt.

Schmutzige Zelte, zerknüllte Planen und Einkaufswagen stehen dicht gedrängt auf den Gehwegen des Elendsviertels in Los Angeles. Dazwischen lungern Dutzende zerlumpter Männer und Frauen. „Man würde niemals vermuten, dass man in Amerika so etwas zu sehen bekommt, oder?“, fragt ein Mann, der in einem Hauseingang sitzt. Er deutet auf die Straßen der zweitgrößten US-Stadt und lächelt. „Skid Row“ werden solche Viertel in den USA genannt.

Auf einem Bordstein kauert ein Mann mit einem langen weißen Bart. Wankend schiebt eine halbnackte Frau einen Wagen die Straße hinunter. „So etwas hatte ich nicht gesehen, bis ich nach Los Angeles kam“, sagt der Mann aus dem Hauseingang. Seinen Namen will er nicht nennen. Er schüttelt den Kopf: „Niemand hat einen Namen in Skid Row.“

Im Bezirk Los Angeles leben etwa 58.000 Obdachlose. Rund 3000 von ihnen in dem etwa 50 Häuserblocks umfassenden Viertel im Zentrum der Stadt, nur wenige Straßen trennen es vom Rathaus. Vor mehr als einem Jahrhundert war hier die Endstation der Eisenbahn, und Menschen, die sonst keinen Zufluchtsort hatten, ließen hier sich nieder. Über Generationen hinweg siedelte sich in LAs Skid Row so die größte obdachlose Bevölkerung des Landes an. Drogenabhängige, psychisch Kranke und Menschen, die von der Verzweiflung des Lebens auf der Straße gezeichnet sind, prägen das Stadtbild.

Proteste nach Polizeigewalt

Am vergangenen Sonntag erschossen Polizisten hier einen Obdachlosen, der bei seinen Zeltnachbarn nur als „Africa“ bekannt war. Die Beamten waren wegen eines Raubüberfalls gerufen worden. Ein Zeuge filmte den Vorfall: Das Video zeigt eine Rangelei, an der mindestens sechs Polizisten beteiligt sind. Drei von ihnen hätten Schüsse abgegeben, als der Obdachlose nach einer Polizeiwaffe greifen wollte, lautet die Version der Beamten. Zeugen widersprechen diesem Bericht.

Laut Polizeiakten war „Africa“ ein verurteilter Bankräuber, im US-Staat Kalifornien lag ein Haftbefehl gegen ihn vor. Die Papiere, die der Mann bei sich hatte, seien Behördenberichten zufolge vor Jahren gestohlen worden. Seine wahre Identität wird vermutlich immer im Verborgenen bleiben.

Angesichts landesweiter Empörung über Polizeigewalt gegen Schwarze kochten nach der Schießerei auch in Los Angeles die Proteste wieder hoch. Demonstranten marschierten am Dienstag vor das Hauptquartier der Polizei. Sie schwenkten Plakate, auf denen sie auch andere Fälle anprangerten: Etwa die tödlichen Schüsse auf Michael Brown in Ferguson (Missouri) 2014 sowie den 1991 von Beamten in LA zusammengeschlagenen Rodney King.

„Ständig schikanieren sie Menschen“, klagt ein Obdachloser aus Skid Row während der Proteste. „Schwarze Menschen fragen sie: „Bist du auf Bewährung?“ Und dann fangen sie an, dich fertig zu machen“, sagt der Mann, der sich General TC Alexander nennt. „Hier in Los Angeles ist es ein Verbrechen schwarz zu sein“, fügt er hinzu.

Gesetze ein Problem

Doch es sind weniger die Konflikte zwischen Schwarz und Weiß, die zu Spannungen führen, berichten Sozialeinrichtungen im Viertel. Es seien die Gesetze. Demnach versucht die Polizei Regeln durchzusetzen, die das Leben auf der Straße verbieten. Die Obdachlosen würden „in eine Ecke gedrängt“, sagt Ryan Navales. Er arbeitet bei „Midnight Mission“, der ältesten Sozialeinrichtung der Gegend.

Wenige Tage nach der Schießerei zeichnet sich in Skid Row keine Lösung für das Problem ab. Eine provisorische Gedenkstätte hat „Africas“ Zelt ersetzt: ein Kreuz aus weißen Rosen und eine leere Weinflasche. Handgeschriebene Beileidsbekundungen hängen an einem Baum.

Nur wenige Meter weiter sitzt der 58-Jährige Ceola Waddell in einem Armstuhl auf dem Gehweg. Seit 32 Jahren lebt er auf den Straßen von Skid Row. In einem braunen Pyjama bedient er einen kleinen Hotdog-Stand auf Rädern. Ein Polizeibeamter hält an und weist ihn darauf hin, dass er für den Stand eine Genehmigung braucht. „Ich setzte nur das Gesetz durch“, sagt der Beamte. „Du hältst dich nicht an das Gesetz“, erwidert Waddell. „Das einzige, was er macht, ist Obdachlose zu schikanieren. Das ist das einzige, was er macht.“