Fast einen Tag nach dem ersten S.O.S.-Funkspruch, ist noch immer ein Großteil der Passagiere an Bord der Fähre. Schlepper konnten das Schiff noch nicht stabilisieren. Militärschiffe machen sich auf den Weg zur Unglücksstelle.
Athen. Die Lage auf der in Brand geratenen Autofähre „Norman Atlantic“ im Mittelmeer ist nach Auskunft der Chartergesellschaft Anek am Sonntagabend unter Kontrolle gebracht worden. Nunmehr gebe es „nur noch Rauch“, sagte ein Anek-Sprecher der griechischen Nachrichtenagentur ANA. Als Zeitpunkt, zu dem der Brand unter Kontrolle gebracht wurde, nannte der Sprecher 19.30 Uhr (MEZ).
Die noch an Bord befindlichen Menschen sollten mit Strickleitern in Sicherheit gebracht werden, kündigte der Sprecher an. Das Stabilisieren der Autofähre sei noch nicht gelungen. Vielmehr sei eine Vertäuung an einem Schlepper wieder zerrissen.
Bis zum späten Sonntagabend waren erst 190 der 478 Menschen an Bord in Sicherheit gebracht worden, wie das italienische Verteidigungsministerium mitteilte. Mindestens ein Mensch kam bei der Katastrophe ums Leben, zwei wurden verletzt. Die Rettungsarbeiten rund 80 Kilometer nordwestlich der Insel Korfu sollten in der Nacht fortgesetzt werden.
Die meisten Passagiere wurden mit Hilfe von Hubschraubern von Bord geholt und zu den in der Nähe wartenden Schiffen gebracht. 16 Stunden nach Ausbruch des Brands seien die aus dem Schiff dringenden, sichtbaren Flammen gelöscht worden, teilte die italienische Küstenwache mit. Allerdings sei das Schiff immer noch in dichten Rauch gehüllt, der womöglich aus Brandnestern im Innern des Schiffs stamme.
Rauch, Hitze und vor allem ein höllischer Sturm mit gewaltigen Wellen machten es den Rettungskräften über Stunden unmöglich, die 478 Menschen an Bord in Sicherheit zu bringen. In dem Inferno steckten auch 18 Deutsche fest, wie die griechischen Behörden mitteilten.
Passagiere schilderten griechischen Medien per Telefon dramatische Szenen. „Wir sind auf der Brücke, wir sind nass und frieren und husten wegen des Rauchs“, sagte Giorgos Styliaras dem TV-Sender Mega. „Hier sind Frauen, Kinder und alte Menschen.“ Einer von etwa 150 Reisenden, die es nach Behördenangaben bis zum Mittag in ein Rettungsboot schafften, berichtete: „Unsere Schuhsohlen begannen zu schmelzen.“
Über Verletzte oder Todesopfer gab es zunächst keine Angaben. Zwei Passagiere rutschten auf eine Rampe und drohten von den Wellen fortgerissen zu werden, wie das griechische Schifffahrtsministerium mitteilte. Ein Militärhubschrauber versuche, sie zu bergen. Ein 58-jähriger Italiener wurde mit Unterkühlung von einem Helikopter an Land geflogen.
Feuer auf einem der Fahrzeugdecks ausgebrochen
Die von der griechischen Reederei Anek gecharterte „Norman Atlantic“ der italienischen Firma Visemar war am Samstag im griechischen Patras zum italienischen Ancona in der nördlichen Adria aufgebrochen. An Bord der fast ausgebuchten Fähre waren 422 Passagiere und 56 Crewmitglieder.
Nachdem sie nach einem Zwischenstopp die Insel Korfu passiert hatte, funkte die Besatzung am Sonntagmorgen gegen 3.00 Uhr „S.O.S“. Auf einem der Fahrzeugdecks sei ein Feuer ausgebrochen und breitete sich rasch aus. Medienberichten zufolge waren auf dem Autodeck auch 20 bis 25 Lastwagen mit Olivenöl.
Das Meer ist in der Straße von Otranto nur gut 70 Kilometer breit. Auf Bitten Athens übernahm die italienische Küstenwache die Koordination der Bergungsaktion. Die italienische Marine schickte vier Hubschrauber, zwei Schlepper und Löschboote sowie vier Begleitboote. Auch griechische Schlepper waren auf dem Weg.
Doch von den 150 Passagieren, die es zumindest in ein Rettungsboot schafften, gelang es zunächst nur rund 50, bei sechs Meter hohen Wellen aus dem Boot in einen sicheren Tanker in der Nähe zu klettern, wie der griechische Schifffahrtsminister Miltiadis Varvitsiotis erklärte. Windgeschwindigkeiten von hundert Stundenkilometern sowie Starkregen und Hagel setzten den Passagieren und ihren Rettern zu, so dass auch die Hubschrauber nicht viele Menschen aufnehmen konnten.
Handelsschiffe versuchen Windschutz zu bilden
Varvitsiotis zufolge versuchten gegen Mittag sieben Handelsschiffe eine Art Windschutz für die „Norman Atlanic“ zu bilden. Dann sollte versucht werden, die 186 Meter lange Fähre an die Küste zu schleppen. Ein Sprecher der italienischen Küstenwache sagte allerdings am frühen Nachmittag, das manövrierunfähige Schiff werde in Richtung der albanischen Küste nördlich von Griechenland getrieben.
Das Auswärtige Amt bestätigte, dass mehrere Deutsche an Bord waren. Die deutschen Botschaften in Rom, Athen und Tirana seien eingeschaltet und stünden im ständigen Kontakt mit den Behörden vor Ort.
Überdies wurde eine Hotline (030/50002000) eingerichtet, über die sich Angehörige möglicher Passagiere informieren können.