Ihre Zivilcourage kostete sie das Leben: Seit der Prügelattacke vor zwei Wochen in Offenbach liegt die Studentin Tugce A. im Koma. Heute, an ihrem 23. Geburtstag, sollen die lebenserhaltenden Geräte abgestellt werden.
Offenbach. Im Fall Tugce A. aus Gelnhausen wollen am Freitagabend mehrere hundert Menschen in einer Mahnwache der Studentin gedenken. Wie ein Sprecher der Polizei in Offenbach sagte, seien für die Mahnwache 500 Teilnehmer angemeldet worden, es seien aber auch Teilnehmerzahlen von 1000 oder 2000 Menschen möglich. Die Polizei werde sich im Fall von Verkehrsbehinderungen darum kümmern und sich ansonsten zurückhalten.
Tugce A. war vor knapp zwei Wochen womöglich wegen ihrer Zivilcourage vor einem Schnellrestaurant in Offenbach zu Boden geschlagen worden und hatte dabei lebensgefährliche Kopfverletzungen erlitten. Die Studentin wurde mittlerweile für hirntot erklärt, es wird erwartet, dass an diesem Freitag die lebenserhaltenden Geräte abgestellt werden. Es ist der 23. Geburtstag der Studentin.
Große Anteilnahme im Netz
Im Internet gibt es weiter große Anteilnahme. Auf einer von Angehörigen und Freunden veröffentlichten Facebook-Seite kündigten Menschen aus Stuttgart, Kassel oder Köln an, zu der Mahnwache kommen zu wollen und boten Mitfahrgelegenheiten an. Ein an die Studentin gerichtetes Video von Freunden und Bekannten sahen bis Freitag fast 400.000 Menschen.
Die genauen Umstände des Falles sind nach wie vor unklar. Nach dem bisherigen Ermittlungsstand soll Tugce A. am 15. November versucht haben, zwei Mädchen vor Belästigungen durch Männer im Toilettenbereich der Fast-Food-Kette zu schützen. Im Anschluss soll es unter noch ungeklärten Umständen auf dem Parkplatz des Restaurants zu einem Streit gekommen sein, bei dem die Studentin niedergeschlagen wurde.
18-Jähriger soll verantwortlich sein
Für die Tat verantwortlich gemacht wird ein 18-Jähriger, der auch an den Belästigungen der Mädchen beteiligt gewesen sein soll. Der junge Mann sitzt in Untersuchungshaft, ihm wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen.
Die beiden Opfer der Belästigungen meldeten sich bislang nicht. Nach Aussagen von Zeugen sollen es zwei Mädchen im Alter zwischen 13 und 16 Jahren sein, die zu dem Zeitpunkt stark betrunken gewesen sein sollen. Zeugen hatten die Männer aus dem Toilettenbereich nach oben gebracht und den Streit damit zunächst beruhigt. Was danach auf dem Parkplatz geschah und wie es zu dem Schlag kam, ist unklar.
Der Fall Tucge - Fragen und Antworten
Woran ist Tugce gestorben?
Offiziell erlag sie schweren Schädel-Hirn-Verletzungen. Ob sie diese Verletzungen aber durch den Schlag oder den Aufprall auf das Pflaster vor dem Schnellrestaurant erlitt, muss die Obduktion klären. Diese wird nach Angaben der Offenbacher Staatsanwaltschaft im normalen Fall vorbereitet, sobald die Maschinen am Krankenbett ausgeschaltet werden. Mit dem Hirntod ist bereits naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt.
Was soll vor dem fatalen Schlag passiert sein?
Die Momente kurz vor dem Schlag sind weitgehend geklärt, denn es gibt ein Überwachungsvideo, das den Angriff zeigt. Demnach hat der 18-Jährige die Studentin gegen 4.15 Uhr vor dem Imbiss abgepasst und zugeschlagen. Fragen gibt es allerdings noch zu einem Streit vor den Toiletten im Keller des Schnellrestaurants. Tugce soll nach Zeugenaussagen bedrängten Mädchen zur Hilfe gekommen sein. Für das Streitschlichten soll sich der 18-Jährige nach diesen Aussagen später gerächt haben.
Gibt es auch Zeugen für die Szene vor der Toilette?
Ja, aber von ihnen fehlt trotz zahlreicher Aufrufe der Polizei noch jede Spur. Den zwischen 13 und 16 Jahre alten blonden Mädchen, die nach Zeugenaussagen betrunken waren, soll Tugce geholfen haben, nachdem sie um Hilfe gerufen hatten.
Was ist über den mutmaßlichen Schläger bekannt?
Bislang eher wenig. Der 18-Jährige lebt in Offenbach. Er ist der Polizei bereits bekannt, gilt trotz mehreren Vorstrafen aber nicht als Intensivtäter. Derzeit sitzt er in Untersuchungshaft im Wiesbadener Gefängnis.
Was kommt jetzt auf den jungen Mann zu?
Den fatalen Schlag hat er nach Polizeiangaben in einem ersten Verhör bereits eingeräumt, seitdem schweigt er. Der Haftbefehl lautet noch auf Verdacht auf schwere Körperverletzung, das dürfte sich mit dem Tod von Tugce ändern. „Der neue Tatvorwurf wäre dann Körperverletzung mit Todesfolge“, sagte Staatsanwalt Axel Kreutz. „Der Vorwurf eines vorsätzlichen Tötungsdelikts kommt nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand nicht in Frage.“ Damit schließt er eine Anklage wegen Mordes oder Totschlags aus.
Wieso ist die Anteilnahme im Netz so groß?
Eine Mahnwache, Plakate, etliche Kerzen und Zehntausende Beileidsbekundungen auf Facebook und bei Twitter – dass Tugces Schicksal derart bewegt, findet die Berliner Notfallpsychologin Corina Hausdorf völlig verständlich. „Jeder hat schon mal Ungerechtigkeit erlebt und kann sich damit identifizieren“, sagt sie. Außerdem wünsche man sich in Gefahrensituationen einen Menschen wie Tugce, der eingreife. „Kommentare auf Facebook oder über Twitter geben den Menschen die Möglichkeit, etwas zu tun“, sagt Hausdorf weiter.
Ist Tugce ein Einzelfall?
Nein, immer wieder setzen sich Menschen einer Gefahr aus, wenn sie einen Streit schlichten wollen. Eines der bekanntesten Beispiele: Der Manager Dominik Brunner. Er wurde im September 2009 an einem S-Bahnhof in München von Jugendlichen zu Tode geprügelt, als er sich schützend vor Schüler stellte. Die zur Tatzeit 17 und 18 Jahre alten Jugendlichen wurden wegen Körperverletzung mit Todesfolge beziehungsweise wegen Mordes verurteilt. Brunner war posthum mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.
Ist es wahrscheinlich, dass Tugce diese Auszeichnung auch bekommt?
Ganz unwahrscheinlich ist es zumindest nicht. Es ist nach Angaben des Bundespräsidialamtes die höchste Anerkennung, die die Bundesrepublik für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht. Jeder Bürger kann einen anderen für den Verdienstorden vorschlagen, nicht aber sich selbst. Geht es nach den Unterzeichnern einer Internet-Petition, ist die Sache klar: Inzwischen unterzeichnete bereits mehr als 40 000 Menschen.