Der mediale Blitzkrieg ist vorbei. Großbritannien sieht Deutschland immer mehr als Land, ohne die Nazi-Vergangenheit zu bemühen. Das British Museum widmet sich mit einer Ausstellung dem Deutschlandbild.
London. Es gab Zeiten, da war jedes Fußballspiel zwischen einer deutschen und einer englischen Nationalmannschaft in der britischen Presse ein kleiner medialer Weltkrieg. Während die deutschen Blätter die „englische Härte“ rühmten, verglichen die Zeitungen von der Insel die deutsche Spielweise wahlweise mit Hitlers Panzern oder Sturmgewehren – und die Spieltaktik des Trainers mit dem Blitzkrieg. Die Zeiten ändern sich. Großbritannien, das wie kaum ein anderes Land Deutschland über Jahrzehnte fast singulär über seine Militär- und Nazivergangenheit wahrgenommen hat, rückt sein Deutschlandbild gerade.
„Deutschland ist immer die Referenz“, sagt ein hochrangiger deutscher Diplomat in London über seine politischen Gespräche der vergangenen Wochen. Die Bundesrepublik, die es erfolgreich geschafft hat, nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wirtschaftswunder zu vollbringen und 45 Jahre später noch einmal so eben einen fast bankrotten Staat zu integrieren – das ringt den Briten inzwischen mehr Respekt ab, als es ihnen Furcht einflößt. Und Bewunderung gibt es auch für die Tatsache, dass Deutschland mehr Wurstsorten vorzuweisen hat als Frankreich Käsesorten.
Briten: „Wir versuchen, gute Deutsche zu sein“
Ob es um das deutsche Ausbildungssystem geht oder um die föderale Struktur des Staates nach dem beinahe schiefgegangenen Schottland-Referendum – stets werde Deutschland als Vorbild für die Insel genannt. Der „Kraut“ ist zum Scout geworden. Schon vor einem Jahr sagte Wirtschaftsminister Vince Cable mit Blick auf die Produktionsinitiative der Briten: „Wir versuchen, gute Deutsche zu sein.“
Die Speerspitze der gegenwärtigen Image-Bewegung ist Neil MacGregor. Der 68 Jahre alte Schotte ist Direktor des British Museums in London – und ein erklärter Freund der Deutschen. MacGregor, der zeitweise in Deutschland gelebt hat, hat in dem Museum in London eine Ausstellung zusammengestellt, die anhand von Objekten aus Deutschland die Geschichte des Landes erzählt. In der Schau „Memories of a Nation“ werden vom 14. Oktober an Dinge wie der VW Käfer und die Bratwurst – aber auch das Brandenburger Tor und Gutenbergs Druckerpresse zu sehen sein.
„Man kann die Welt heute nicht mehr verstehen, ohne auch ein bisschen zu verstehen, wie die Deutschen die Dinge sehen“, sagt MacGregor. Um das auch seinen britischen Landsleuten beizubringen, hat er eine 30-teilige Radioserie im BBC-Hörfunk aufgelegt. Anhand von Gegenständen erklärt er seit Anfang Oktober morgens jeweils eine Viertelstunde lang Deutschland. Die Kritiker sind begeistert. „Ist das die Perfektion einer Radio-Serie?“, fragte das Magazin „New Statesman“ kürzlich.
„Lasst uns nicht ständig auf dem Krieg herumhacken“
MacGregors Engagement für eine Veränderung des britischen Deutschlandbildes bringt die Nation zum Nachdenken und hat eine Welle ausgelöst. „Das Image der Deutschen, das sich auf den Zweiten Weltkrieg konzentriert, wird in Großbritannien ständig wieder neu aufgebaut“, sagt der Museumsdirektor. „Auf eine Art, wie es kaum eine andere Nation tut.“
Dabei gäbe es für andere Länder, etwa jene, die besetzt worden waren, viel mehr Grund das deutsche Übel darzustellen. „Lasst uns den Krieg nicht vergessen, aber auch nicht ständig darauf herumhacken“, schreibt Kommentator Alan Messie im „Daily Telegraph“, der sonst nicht gerade zu den zimperlichen Blättern auf der Insel zählend.
Statt Zeitungskarikaturen von Angela Merkel mit Pickelhaube liest „Sherlock“-Darsteller Benedict Cumberbatch Texte von Franz Kafka. Die BBC hat eine weitere Serie mit Grimms Märchen aufgelegt. „Dies ist ein neues Land, und ein neues Land braucht eine neue Geschichte“, sagt MacGregor in einem Interview mit der „Radio Times“. Doch die andere Denkweise in Großbritannien ist noch nicht Vergangenheit. „Wir blicken zurück und feiern“, sagt Peter Caddick-Adams, Autor des Buches „Monty and Rommel – Parallel Lives“, zum britischen Sieg über Deutschland im Zweiten Weltkrieg. „Zum Teil einfach, weil wir es können. Zum Teil aber auch, um für die Zukunft zu lernen.“