Sie sind äußerst populär, allgegenwärtig - und gefährlich: Für möglichst spektakuläre Selfies bringen sich immer wieder Menschen in Gefahr, in Lissabon kostete ein Selbstporträt sogar zwei Menschen das Leben.
Hamburg/Lissabon. 2004 tauchten sie das erste Mal auf, mittlerweile sind sie nicht mehr wegzudenken: Selfies sind omnipräsent, irgendwer fotografiert sich immer irgendwo. Das mit dem Trend auch Risiken einhergehen, ist den wenigsten bewusst. In Lissabon kamen bei der Suche nach dem perfekten Selfie zwei Menschen ums Leben.
Ehepaar stürzt beim Selfie-Knipsen in den Tod
Ein Ehepaar aus Polen ist beim Selfie-Knipsen in Portugal vor den Augen seiner beiden Kinder in den Tod gestürzt. Das sechsjährige Mädchen und der fünfjährige Junge würden psychologisch betreut und sollten schon bald in die Obhut von Verwandten in Polen gegeben werden, sagte die polnische Konsulin Monika Dulian der Zeitung „Público“ am Montagabend. Das Unglück geschah bereits am Sonnabend am 140 Meter hohen Felsenkap Cabo de Roca am Atlantik rund 40 Kilometer westlich von Lissabon.
Die Eltern (beide 31) waren nach den bisherigen Erkenntnissen am westlichsten Punkt des europäischen Festlandes über die Sicherheitsabsperrung gestiegen, um am Klippenrand bessere Bilder machen zu können. Dabei stürzte das seit vielen Jahren in Portugal lebende Paar in die Tiefe.
Besondere Gefahr bei Jugendlichen
Besonders Jugendliche neigen dazu, bei der Suche nach dem perfekten Selfie teilweise große Risiken auf sich zu nehmen: So brachten sich zwei Teenager am Sonntag in Chemnitz mit einem privaten Foto-Shooting am Bahngleis in Lebensgefahr. Die 13 und 15 Jahre alten Mädchen machten Selfies mit vorbeifahrenden Zügen - und standen dabei auf dem Gleis der Bahnstrecke nach Leipzig.
Die Zugbegleiterin einer Citybahn sah die beiden und alarmierte die Beamten. Als diese die Jugendlichen fanden, fuhr ein Güterzug genau auf dem Gleis, auf dem sie kurz zuvor gestanden hatten. „Der Aufenthalt im Gleisbereich ist lebensgefährlich“, warnte die Polizei. Züge näherten sich je nach Windrichtung fast lautlos und ihr Bremsweg könne mehrere hundert Meter lang sein.
Selfies - Fragen und Antworten
Was ist ein Selfie und woher kommt der Trend?
Ein Selfie ist ein Bild von einem selbst, bei dem man sieht, dass man es selbst gemacht hat. Es gibt Selfies von sich alleine oder in Gruppen. Irgendwer also hat immer den Arm ausgestreckt und drückt ab. Zuerst aufgetaucht sind digitale Selbstbildnisse unter dem Namen „Selfie“ 2004 auf den Internet-Plattformen Flickr und MySpace, sagt die Direktorin des US-amerikanischen Forschungszentrums für Medienpsychologie (MPRC), Pamela Rutledge. Heute sind Selfies in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram Alltag. Gibt man etwa bei Twitter den Suchbegriff „selfie“ oder „me“ ein, erhält man jeden Tag unzählige Treffer samt Bildern.
Wer macht Selfies?
Neben Promis wie Justin Bieber, Lena Gercke, Katja Riemann, Fans von Stars wie Hugh Jackman oder Politikern wie Angela Merkel oder aber Politikern selbst drückt auch die Nachbarstochter im Teenager-Alter auf den Auslöser. „Je jünger, desto eher werden Selfies gemacht“, sagt die Medienwissenschaftlerin Ulla Autenrieth von der Uni Basel. Bei Jugendlichen seien sie besonders weit verbreitet. Selfies sind also nicht nur im Internet zu sehen, sondern auch auf Millionen Privat-Handys. Manchmal gehen die Bilder auch um die Welt: Bei einer Nasa-Expedition hat sich der japanische Astronaut Akihiko Hoshide vergangenes Jahr im All selbst fotografiert.
Welche Art von Selfies gibt es?
Es reicht vom Schnappschuss aus der Umkleidekabine („Soll ich das Kleid kaufen oder nicht?“) über das Gruppenfoto von der Samstagabendparty („Wir haben so viel Spaß zusammen und alle sollen es sehen“) bis zum Pärchen in der Abendsonne („Wir sind so verliebt - und alle sollen es sehen“). Bei Promis ist die Spanne ähnlich groß: Sänger Justin Bieber zeigt sich nachdenklich-cool aus der Froschperspektive im Muskelshirt. Schauspieler Elyas M'Barek twittert Selfies von Dreharbeiten. Und Barack Obama fotografierte sich jüngst bei der Trauerfeier von Nelson Mandela selbst – zusammen mit der dänischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt und dem britischen Premierminister David Cameron.
Aber warum eigentlich fotografieren wir uns jetzt alle selbst?
Was möglich ist, wird gemacht: Tatsächlich haben die meisten Smartphones heute eine integrierte Frontkamera, bei der man sich selbst sieht – und eben nach Lust und Laune fotografieren kann. Dabei haben die Fotografierten Kontrolle: Sie können sehen, wie sie wirken - und das Bild sofort löschen, wenn es ihnen nicht gefällt. Außerdem kann man mit Selfies Nähe herstellen: Familien, Paare und Freunde können ihren Alltag teilen. Promis und Politiker wiederum nutzen Selfies zur Image-Pflege und um mit ihren Fans oder Wählern auf Tuchfühlung zu gehen.
Sind Selfies nicht einfach eine Art der Selbstdarstellung?
„Man zielt immer auf Likes und Herzchen ab“, sagt der österreichische Blogger und Autor Jakob Steinschaden („Phänomen Facebook“). Selfies macht man schließlich nicht für sich selbst. US-Medienpsychologin Rutledge dagegen weist den Vorwurf des Narzissmus zurück: die Jagd nach Anerkennung sei normal, jeder Mensch wolle wertgeschätzt und anerkannt werden. Medienexpertin Autenrieth erklärt zudem, dass gerade bei Selfies von Jugendlichen auch Verunsicherung und Selbstfindung im Spiel seien. „Es geht darum: Wer bin ich und wie wirke ich auf andere?“
Sind Selfies nur ein Phänomen der Generation Internet?
Die Selbstdarstellung ist so alt wie die Menschheit selbst. Schon bei den alten Ägyptern wollten sich die Menschen verewigen. US-Wissenschaftlerin Rutledge beschreibt, wie Maler wie Albrecht Dürer Selbstbildnisse schufen. „Selfies haben etwas Demokratisierendes“, findet der Internet-Experte Steinschaden. Früher habe man Selbstbildnisse für viel Geld in Auftrag geben müssen - heute kann sich jeder selbst ablichten.
Was kommt als Nächstes?
Blogger Steinschaden glaubt, dass es künftig mehr Videos aus der Ich-Perspektive geben könnte und verweist auf die mit einem Mini-Computer ausgestattete Google-Brille. Medienexpertin Autenrieth sieht einen Trend hin zu mehr Clips: „Die Erweiterung vom Stand- zum Bewegtbild ist da.“