Experten warnen: Wassermassen könnten Sprengkörper aus Balkankrieg freigespült haben

Belgrad. In der Belgrader Messehalle ist die Angst vor Ansteckung allgegenwärtig. Ein Mann im blauen Overall sprüht ununterbrochen die Stühle, Tische und den Boden mit Desinfektionsmitteln ein. Hunderte Menschen aus dem überschwemmten Städtchen Obrenovac sind in die serbische Hauptstadt geflüchtet, die Messehalle ist jetzt eine von mehreren Notunterkünften in Belgrad. Alle paar Minuten werden neue Hochwasseropfer gebracht. Ein Mann auf einer Trage, dann eine junge Frau, die von sechs Helfern in einer Decke hereingetragen wird.

Helfer haben auf dem blauen Teppichboden einen Empfang und eine Essensausgabe eingerichtet. Hinter einer Absperrung türmen sich Wasservorräte, Kleidung und Desinfektionsmittel. Kinder spielen, Freiwillige – zumeist Studenten – kümmern sich um sie. Aus Angst vor Seuchen tragen sie Gesichtsmasken.

Das Hochwasser sei eine dreckige Brühe, gemischt mit Abfällen, die aus der überschwemmten Kanalisation und aus Jauchegruben geschwemmt worden sei, erzählt ein Mann. Strom gibt es seit Tagen nicht mehr. Dann ist da noch der Schlamm, mehr als einen Meter dick liegt er stellenweise über dem Land. Dazwischen Tausende tote Tiere – Kühe, Hunde und auch Wild.

Angesichts des verheerenden Hochwassers auf dem Balkan warnen die Behörden jetzt vor dem Ausbruch von Seuchen und vor freigespülten Kriegsminen.

Die Europäische Union hat angekündigt, ihre Hilfe für die Flutopfer zu verstärken. EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa sagte, die Unterstützung gehe mittlerweile über das hinaus, was ursprünglich von Serbien und Bosnien-Herzegowina erbeten worden sei. 14 Staaten hätten Hilfe eingeleitet, etwa 450 Helfer aus den EU-Ländern, auch aus Deutschland, seien bereits in den Flutgebieten im Einsatz.

Bislang kamen bei den Fluten in Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien 47 Menschen ums Leben. Bei steigenden Temperaturen könnte von Tierkadavern verunreinigtes Wasser zu Krankheiten wie Typhus oder Hepatitis führen, warnte der Leiter des Gesundheitsamts in Sarajevo. Es gehe nun darum, eine sichere Wasserversorgung zu gewährleisten.

„Es ist schnell klar geworden, dass der Bedarf so riesig ist, dass wir die Hilfe aufstocken mussten“, sagte EU-Kommissarin Georgiewa. Der Einsatz in Bosnien-Herzegowina sei „sehr komplex“: Dies liege auch daran, dass die Schäden zum Teil in Gebieten entstanden, in denen die während des Balkankriegs verlegten Landminen noch nicht geräumt worden seien.

Die Minenaktionszentren (MAC) in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kroatien stellten ein Team zusammen, das die Gefahr durch Sprengkörper aus dem Krieg in den 90er-Jahren einschätzen soll. Das MAC in Sarajevo warnte, die Minen könnten von Wasser und Schlamm hochgespült und fortgetragen werden. Eine Mine sei auch nach Jahren noch eine tödliche Gefahr, selbst wenn der Zündmechanismus feucht geworden sei. „Es gibt keine nicht-tödliche Mine“, sagte Sasa Obradovic vom MAC.

Allein in Bosnien-Herzegowina liegen laut MAC noch etwa 120.000 Landminen aus dem Krieg zwischen Serben, Kroaten und Muslimen. Die Gegenden um Doboj und Olovo in Bosnien-Herzegowina, die besonders vom Hochwasser betroffen sind, seien noch stark vermint. In Kroatien wird die Zahl der Sprengkörper auf 13.000 geschätzt.

In Serbien bereiteten sich die Menschen auf eine weitere Flutwelle vor: Millionen weitere Sandsäcke wurden entlang des Flusses Sava in Orten wie Sabac, Mitrovica, Belgrad und Obrenovac aufgestapelt. Etwa 7000 der 25.000 Einwohner Obrenovacs in der Nähe von Belgrad hatten vorsorglich ihre Häuser verlassen müssen. Weite Teile der Stadt blieben unzugänglich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach den Flutopfern ihre Anteilnahme aus. Den Familien der Opfer sicherte Merkel die Unterstützung Deutschlands und der EU zu.

Erdrutsche zerstörten in Serbien und Bosnien bislang Hunderte Häuser. In Bosnien waren am Montag noch Dutzende Straßen nicht zu passieren. In Tschechien und Polen dagegen entspannte sich die Lage.