Ob Mingle-Phänomen oder Post Shakey Time Sadness: Statt sich auf eine feste Beziehung einzulassen, setzten immer mehr Mitt-Zwanziger und Anfang-Dreißiger auf unverbindliche Beziehungsformen.
Hannover. Die Zeiten, als Erwin und Helga auf dem Dorffest tanzten und sich eine Woche später verlobten, sind längst vorbei – heute scheint der Trend unter Mitt-Zwanzigern und Anfang-Dreißigern zum Unverbindlichen zu gehen.
Erst kürzlich attestierte der „Spiegel“ Alleinstehenden Bindungsangst und Feigheit. Andere Medien erklären das angeblich neue Phänomen der „Mingles“. Ein Glossar zum modernen Liebesleben:
BEFRISTUNG: In einem Leben, in dem der Job nicht sicher ist, der Wohnort oft gewechselt wird, schlicht die ganze Zukunft wackelt, spielt Befristung die Hauptrolle – auch in Beziehungen. Nichts muss mehr für immer sein, denn wer weiß schon, wo er morgen hingeht? „Heute ist man einfach nicht mehr 20 Jahre mit einem einzigen Partner zusammen“, sagt Dating-Experte Eric Hegmann dazu. Die Beziehungen würden kürzer – und die Single-Phasen dazwischen länger.
SELBSTVERWIRKLICHUNG: Wo ohnehin alles befristet ist, spielt die Selbstverwirklichung die Hauptrolle. Für viele von Anfang 20 bis Mitte 30 steht nicht die Familiengründung im Mittelpunkt, sondern: man selbst. Wieso nicht ein Jahr ins Ausland? Wieso morgen nicht noch mal neu beginnen? So binden sich viele heute erst spät. „Weil wir heute freier sind, experimentieren wir länger“, sagt Autor Hegmann. Auch Heiraten ist kein vorgegebenes Ideal mehr. „Wenn der Anfang zur Norm wird, wird die Ehe zur Option“, schrieb kürzlich die Wochenzeitung „Die Zeit“. Und Beziehungsexpertin Wiebke Neberich konstatiert: „Man darf in der Unverbindlichkeit verharren“, die Gesellschaft verlange keine Definition mehr, so die Psychologin.
FRIENDS WITH BENEFITS: Die „Freunde mit Vorzügen“ werden manchmal auch „fuck buddies“ genannt: Zwei Menschen sind miteinander befreundet und gehen miteinander ins Bett – sonst nichts. Für eine Beziehung reicht es ihnen nicht, oder die beiden wollen bewusst keine, so beschrieb die „Welt“ kürzlich das Phänomen. Stattdessen schläft man ab und an miteinander, ohne dass das für einen von beiden emotional ein Problem wäre. Zumindest theoretisch.
MINGLES: Bei der „Halb-Beziehung“ ist die Situation komplizierter, denn hier sind oft Gefühle im Spiel. „Mingles“ – die Wortschöpfung aus den Begriffen „mixed“ und „Single“ wird dem Hamburger Trendforscher Peter Wippermann zugeschrieben – sind Menschen, die sich regelmäßig treffen und miteinander schlafen, aber selbst nicht so genau wissen, was sie gemeinsam eigentlich sind. Oder sie definieren es nicht. Darunter leidet Experten zufolge meistens einer der beiden, nämlich der, der bereit wäre, aus dem ungeklärten Status eine Beziehung zu machen. Der andere dagegen schweigt lieber – und hält parallel Ausschau nach jemandem, mit dem er wirklich eine Beziehung eingehen will.
ONLINE-DATING: Dating-Seiten wie die Berliner Plattform „Im Gegenteil“, bei der Singles in ihrer Wohnung porträtiert werden über teils kostenpflichtige Plattformen wie Parship oder E-Darling bis zur App „Tinder“, die einem Menschen in der eigenen Nachbarschaft anzeigt – die Wege heute jemanden virtuell kennenzulernen sind schier unendlich. Das führt zu einer großen Auswahl, die mitunter überfordert. „Wer die Wahl hat, hat die Qual“, sagt auch Expertin Neberich. Dennoch könne das Internet helfen, Gleichgesinnte zu treffen, die man andernfalls nur schwer kennengelernt hätte.
POST SHAKEY TIME SADNESS: Der neue Song der Berliner Band Ja, Panik beschreibt ganz allgemein die Trauer nach dem Exzess – sei es der Gefühlszustand nach dem Trinken und Feiern oder eben der nach unbedeutendem Sex. Denn manchmal wird man bei all der Lässigkeit und Unverbindlichkeit eben doch wehmütig und stellt sich die Sinnfrage: Wer bin ich, was will ich und was hat das jetzt gebracht? Oder wie es im Lied heißt: „Post Shakey Time Sadness is the sad time that shakey times demand“. Ganz frei übersetzt: Kein Hoch ohne Tief, kein Rausch ohne Kater.