Ehepaar betrieb systematischen Sozialhilfebetrug. Kinderschützer warnt: „Fälle wie dieser sind nicht selten“
Larissa. Der Fall der kleinen Maria, die Polizisten zufällig in einer griechischen Roma-Siedlung fanden, hat international Aufsehen erregt. Das fünfjährige blonde Mädchen mit den grünen Augen ist nicht – wie behauptet – die Tochter des Ehepaares, bei dem Maria entdeckt wurde. Das ergab ein DNA-Test. Nun wird nach den biologischen Eltern gesucht.
Zugleich hat sich herausgestellt, dass die vermeintlichen Eltern des Mädchens jährlich 14.000 Euro Kindergeld und Sozialhilfe kassierten – unter wechselnden Namen für drei gemeldete Familien mit 14 Kindern in drei verschiedenen Gemeinden. Dem Paar werden nun Kindesentführung und Urkundenfälschung vorgeworfen.
Die in U-Haft sitzende 40 Jahre alte Frau hatte ihre verschiedenen Identitäten benutzt, um sich sowohl in Larissa als auch in Trikala als Mutter auszuweisen. Teilweise trat sie dabei – mit der zweiten Identität – als Zeugin für sich selbst auf. Damit nicht genug: Innerhalb von fünf Monaten (Juni bis November 1993) meldete sie die Geburt von drei Kindern – und dann noch von drei weiteren in vier Monaten (Oktober 1994 bis Februar 1995).
Ihr 39 Jahre alter Ehemann hatte eine dritte Familie mit vier Kindern in Farsala gemeldet. In diesem Dorf wurde das Paar schließlich von der Polizei bei einer Routinekontrolle erwischt.
Mitschuld trägt damit auch die griechische Bürokratie: Die Frau trickste das ineffektive Meldesystem des Landes aus, dem nicht auffiel, dass sie zwei Personalausweise besaß. Und um eine Geburtsurkunde für Kinder zu erhalten, die „nicht in einem Krankenhaus“ zur Welt gekommen sind, bedarf es in Griechenland lediglich einer persönlichen Erklärung, unterschrieben von zwei Zeugen. Diese müssen ihre Identität mit ihrem Ausweis bezeugen. Das entsprechende Gesetz stammt aus dem Jahr 1976.
Bis heute sind die Meldedaten in Griechenland nicht voll zentralisiert und digitalisiert – eine verwaltungstechnische Schwachstelle, die den Betrug erst möglich machte. Eigentlich sollte ein zentralisiertes Personenregister bzw. eine Vernetzung der Gemeinderegister schon im Frühjahr 2012 funktionieren. Immerhin scheint es, dass zumindest in den größeren Städten solche Betrügereien nicht mehr ohne Weiteres möglich sind. Tatsache ist aber auch, dass es zusätzliche Regeln jeder Gemeinde ermöglichen, entsprechende Kontrollen anzuordnen. Üblich sind diese allerdings nicht.
Kostas Giannopoulos von der Hilfsorganisation Kinderlächeln sagte, der Fall habe ein weltweites Problem ans Licht gebracht: „Fälle wie der von Maria sind nicht selten.“ Immerhin hat seine Organisation bislang mehr als 10.000 Anfragen aus der ganzen Welt als Reaktion auf das Schicksal der kleinen Maria bekommen. Anfragen von Eltern, deren Kinder verschwunden sind.
Organisation Kinderlächeln: Bevorzugt werden Kinder aus Nordeuropa entführt
Hinter den Entführungen sollen laut Giannopoulos zum Teil Roma-Verbrechersyndikate mit Verbindungen nach Rumänien, Bulgarien und Albanien stecken. Bevorzugt würden Kinder nordeuropäischer Eltern entführt, aber auch Kinder vom Balkan, sagt er.
Dieser Fall könnte auch ein neues Licht auf den Fall der seit Jahren spurlos verschwundenen Madeleine McCann aus Großbritannien werfen. Ist Maddie, nach deren möglichen Entführern jetzt wieder mit Hochdruck gefahndet wird, ein Opfer dieser Kinderhändler geworden?
Das Augenmerk der griechischen Ermittler richtet sich nun auf die 1400 Problemfälle, die bereits bei früheren Kontrollen der Behörden aufgefallen sind. Es handelt sich durchgehend um mutmaßliche Sozialbetrüger, die Kindergeld kassieren für Kinder, die nicht die ihren sind. Oft sind es die Kinder von Verwandten oder Freunden. Sehr verbreitet ist aber auch, dass Kinder mehrfach registriert werden, genau wie jetzt im Fall der kleinen Maria.
Doch das wird nicht ihr wirklicher Name sein, auch ihr Alter wurde aufgrund zahnärztlicher Untersuchungen am Montag auf mindestens fünf Jahre geschätzt statt auf nur vier, wie zunächst angenommen.
Am Montag mussten Marias „Eltern“ vor dem Haftrichter aussagen. Die neueste von bisher fünf Versionen ihrer Geschichte lautet: Maria sei von einer Bulgarin freiwillig für sie geboren worden. Zwei weitere Varianten gehen so: Das blonde Mädchen sei die Tochter der Frau bzw. Tochter ihrer Tochter (beides wurde durch DNA-Tests widerlegt). Und: Maria habe einen anderen Vater als den Ehemann der Frau, einen Kanadier. Und schließlich: Die Frau habe das Kind als Baby vor einem Supermarkt gefunden, in eine Decke gewickelt.
Eines aber ist jetzt schon klar: Für das Betrüger-Paar hat sich nicht nur der Sozialbetrug ausgezahlt. Ein Video zeigt die kleine Maria, wie sie widerwillig gegen Geld in der Roma-Siedlung tanzt. Dort, wo sie drei Wochen später von der Polizei aufgegriffen wurde.