Die des Mordes an ihrer Kommilitonin Meredith Kercher verdächtigte US-Studentin geht in die Medienoffensive. In ihrer Biografie „Waiting to be Heard“ beschreibt Knox ihre Sicht der Mordnacht.
Washington. Buchveröffentlichung, Zeitungsinterviews und dann auch noch ein Auftritt bei Markus Lanz: Der „Engel mit den Eisaugen“ geht in die Medienoffensive. Erst wurde sie in Italien wegen Mordes zu einer langen Haftstrafe verurteilt, später freigesprochen - jetzt wendet sich Amanda Knox breit gefächert an die Öffentlichkeit. „Ich möchte, dass die Wahrheit ans Licht kommt“, sagte die 25-jährige Amerikanerin in einem am Dienstag ausgestrahlten TV-Interview. „Ich möchte, dass die Missverständnisse erkannt werden. Ich möchte, dass ich wieder als Mensch gesehen werde“, meinte sie im US-Sender ABC.
Der Kriminalfall hatte weltweites Aufsehen erregt - italienische Medien titulierten Knox als „Engel mit den Eisaugen“. 2007 wurde Knox’ Freundin Meredith Kercher in der Universitätsstadt Perugia mit durchschnittener Kehle und halbnackt aufgefunden. Es war von Sexspielen die Rede, die außer Kontrolle geraten seien. Jetzt soll ihr Fall in Italien erneut aufgerollt werden - Knox lebt aber unterdessen wieder in den USA.
Allerdings schließt Knox ihre Teilnahme an einem angesetzten neuen Verfahren nicht aus. „Ehrlich gesagt, ich erwäge es“, sagte die US-Studentin der Zeitung „USA Today“ in einem am Dienstag veröffentlichten Interview. Die 25-Jährige, deren Freispruch im März aufgehoben wurde, veröffentlichte zugleich ihre Biografie mit detailreichen Schilderungen über Sex, Drogen und ihre Zeit im Gefängnis.
„Für die war ich eine Mörderin“
„Ich saß im Gerichtssaal und sie nannten mich einen Teufel...für sie war ich eine Mörderin“, sagte Knox bei ABC weiter. Doch in Wahrheit sei sie in der Mordnacht bei ihrem Freund gewesen, sie hätten Marihuana geraucht und Sex gehabt. Auf die Frage, ob sie an dem Mord beteiligt war, sagte Knox „Nein“. Die Polizei habe sie aber zu missverständlichen Aussagen gedrängt. „Ich war nicht dort“, fügte sie hinzu. Als das erste Urteil verkündet wurde, „konnte ich nicht mehr atmen“, berichtete die junge Frau.
Zur bevorstehenden Neuauflage des Verfahrens meinte Knox, dies sei ein Gefühl, als müsste sie erneut „durch ein Feld mit Stacheldraht“ gehen. Zugleich sagte Knox, ein Arzt habe ihr in Haft gesagt, dass sie HIV-positiv getestet sei.
Das Interview war präzise getimt: Zeitgleich am Dienstag erschien Knox Autobiografie „Zeit, gehört zu werden“ (engl. „Waiting to Be Heard“). Sie wolle „die Dinge richtigstellen“, schreibt Knox in ihrem Buch, das auch in Deutschland erschien. In dem Buch schreibt sie über Selbstmordpläne hinter Gitter und wirft einem hochrangigen Gefängnisangestellten sexuelle Belästigung vor.
Knox äußerte bei ABC die Hoffnung, dass die Familie des Mordopfers das Buch lesen würde. „Es ist mir wichtig, was Merediths Familie denkt“, sagte sie dem TV-Sender. „Sie müssen mir nicht glauben. (...) Aber ich hoffe, sie versuchen es.“ Von ihrem Buch erhoffe sie sich, nun „wieder als Person angesehen zu werden“, sagte Knox der Moderatorin Diane Sawyer. Ihre Familie habe sie stets „zu hundert Prozent“ unterstützt, sagte Knox, die während des Interviews immer wieder Tränen unterdrückte.
Im Buch wird die Mordnacht beschrieben
In ihrem 480 Seiten dicken Buch, für das sie einen Vorschuss von 3,8 Millionen Dollar (rund 2,9 Millionen Euro) erhalten haben soll, beschreibt Knox ihre Sicht des Mords an Meredith Kercher. Diese war in der Nacht zum 2. November 2007 halbnackt und mit durchschnittener Kehle in ihrem Zimmer gefunden worden. Vor ihrem Tod wurde sie vergewaltigt. Knox schreibt, sie sei nach Hause gekommen und habe Blutspuren im Badezimmer entdeckt, die Tür zu Kerchers Zimmer sei verschlossen gewesen. Raffaele Sollecito habe die Polizei gerufen.
In dem Buch berichtet Knox auch von sexuellen Übergriffen im Gefängnis sowie von den Selbstmordgedanken, die sie in Haft hegte. Über ihr Leben in der Wohngemeinschaft mit Kercher und zwei Italienerinnen schreibt sie: „Marihuana war bei uns so normal wie Pasta.“ Sie berichtet auch über ihre sexuellen Kontakte. Als sie nach Italien ging, sei Sex für sie eine emotionale Sache gewesen. „Ich wollte das ändern“, schreibt sie. „Ich hasste es, von jemandem abhängig zu sein.“
Knox spricht auch bei Markus Lanz
Auch in deutschen Fernsehen darf sich Amanda Knox nun präsentieren. Wie das ZDF am Mittwoch mitteilte, wird die Amerikanerin am morgigen Donnerstag (23.15 Uhr) bei Markus Lanz exklusiv über die vergangenen Jahre sprechen. Demnach wird Knox in dem aufgezeichneten Interview unter anderem erklären: „Ich bin, wie ich bin, ich weiß, wozu ich fähig bin – ich habe nicht getötet!“
Knox war wegen des brutalen Mordes an ihrer britischen Mitbewohnerin Meredith Kercher im November 2007 zunächst zu 26 Jahren Haft verurteilt worden. Ihr italienischer Ex-Freund Raffaele Sollecito erhielt 25 Jahren. Der Ivorer Rudy Guede wurde in einem separaten Verfahren zu 16 Jahre Haft verurteilt. Knox und Sollecito saßen vier Jahre im Gefängnis, bevor sie 2011 im Berufungsverfahren freigesprochen wurden. Knox kehrte daraufhin in ihre Heimatstadt Seattle zurück.