Alle 20 Minuten wird in Indien eine Frau vergewaltigt. Das jüngste Opfer ist eine Schweizer Touristin, die Höllenqualen erlitten haben soll. Das Image des Landes ist inzwischen völlig ruiniert.

Es sollte eine Traumreise werden: mit dem Fahrrad quer durch Indien, bis zum Wahrzeichen des Landes, dem Taj Mahal. Doch für eine 39-jährige Schweizerin hat sich dieser Traum am Freitagabend in einen Horrortrip verwandelt.

Die Lehrerin und ihr Mann, die indischen Nachrichten zufolge aus Lausanne stammen, waren erst zwei Tage zuvor in Mumbai gelandet. Am Freitag waren die beiden mit dem Rad von der Tempelstadt Orchha im Bundesstaat Madhya Pradesh aufgebrochen und waren nur noch knappe 160 Kilometer von ihrem großen Ziel entfernt, als sie offenbar eine falsche Abzweigung nahmen. Sie beschlossen deshalb, für die Nacht in einem Wald in der Nähe der Ortschaft Datia zu kampieren.

„Ihnen war wohl nicht klar, dass dieser Distrikt mit einem Frauen-Männer-Verhältnis von 85:100 nicht der sicherste Ort für Frauen ist“, zitiert die „Times of India“ den Kommentar eines Beamten, der anonym bleiben will.

Unglaubliche Qual

Es war halb zehn Uhr abends, das Paar hatte gerade sein Abendbrot beendet, als eine Bande von sieben oder acht Unbekannten aus der Dunkelheit stürzte und die beiden umzingelte. Sie schwangen lange Bambusstöcke und schlugen damit auf sie ein. Zwei der Angreifer, so schreibt die „Times of India“, überwältigten den 29-jährigen Ehemann und fesselten ihn an einen Baum. Von dort musste er zusehen, wie fünf andere seine Frau auf eine Lichtung in der Nähe zerrten und sie der Reihe nach brutal vergewaltigten. Etwa eine Stunde später schnappte die Bande sich das Laptop des Paares, ein Handy und laut Polizeiangaben umgerechnet etwa 140 Euro Bargeld, bevor sie wieder zwischen den Bäumen verschwand.

Gegen 23 Uhr wurden zwei Motorradfahrer auf das laute, hysterische Weinen der Frau aufmerksam. Doch ihre Qual war noch lange nicht vorüber: Die beiden Retter sprachen kein Wort Englisch. Erst nach einer Weile reimten sie sich zusammen, was passiert war, und halfen dem Paar zur nächstgelegenen Polizeistation. Doch auch hier beherrschte niemand eine Fremdsprache, und so wurde ein Polizist losgeschickt, den Englischprofessor des örtlichen College zu wecken, damit der als Dolmetscher fungieren konnte. Erst dann wurde die Frau ins Distriktkrankenhaus gebracht.

Hier war weit und breit keine weibliche Ärztin aufzutreiben, um das Opfer zu untersuchen. Die einzige Medizinerin der Gegend war auf Reisen, und so musste die verletzte Frau schließlich noch einmal 65 Kilometer weiter durch die Nacht fahren. Erst in einem Krankenhaus in der nächstgrößeren Stadt Gwalior wurde schließlich in den frühen Morgenstunden die Vergewaltigung offiziell festgestellt.

Mehrere Festnahmen

Die 39-Jährige war mit einem Schleier über dem Kopf in die Klinik in Gwalior geführt worden – eine Standardprozedur für Vergewaltigungsopfer in Indien. Diese Bilder – und einige unkenntlich gemachte Videoaufnahmen der Schweizerin – sind in indischen Medien gezeigt worden. Dies hat in der Schweiz heftige Kritik ausgelöst. Die Schweizer „SonntagsZeitung“ nannte es „öffentliche Vorführung“ und beklagte mangelnde Sensibilität beim Umgang mit den Opfern von Gewaltverbrechen.

Der Schweizer Botschafter hatte schon am Samstag, nachdem er persönlich mit den beiden Opfern gesprochen hatte, eine schnelle Aufklärung des Verbrechens verlangt. Und so wurden noch am gleichen Tag die Wälder und Dörfer nach Verdächtigen durchkämmt. Die Polizei nahm 13 Männer fest, die aufgrund ihrer Vorstrafen für die Tat infrage kommen, und vernahm sie. Die Schweizerin wurde gefragt, ob sie einen der Männer identifizieren könne – erfolglos.

Inzwischen wurden dennoch drei Männer im Distrikt Datia verhaftet. Indiens Behörden bemühen sich nun, ihren im In- und Ausland angeschlagenen Ruf zu retten.

„Scham für Indien“

Inzwischen gilt der Subkontinent als wahre Hölle, was die Sicherheit von Frauen angeht. Alle 20 Minuten, so das indische National Crime Records Bureau, wird in Indien eine Frau vergewaltigt. Und das ist nur die offizielle Zahl. Die Polizei geht davon aus, dass nur vier von zehn Fällen überhaupt gemeldet werden. Die Scham und Stigmatisierung der Opfer und auch die Angst vor Vergeltung sind zu groß.

Gerade mal drei Monate ist es her, dass eine 23-jährige Studentin in einem Bus in der Hauptstadt Neu-Delhi das Opfer einer Gruppenvergewaltigung wurde. Sie starb später an ihren Verletzungen. Ihr Tod hatte einen öffentlichen Aufschrei in Indien ausgelöst. Hunderttausende gingen gegen die grassierende sexuelle Gewalt gegen Frauen in Indien, ihren niedrigen Wert in der Gesellschaft und die ungestrafte Missachtung weiblicher Rechte auf die Straße. Die Attacke auf die Schweizer Touristin lässt die Diskussion nun aufs Neue aufleben: „Eine neue Kerbe in Indiens Ruf“, „Scham für Indien“, „Unser Image als Frauenhölle“ sind Schlagzeilen, die am Wochenende die Zeitungen und Internetforen füllen.

Das ganze Land gilt inzwischen als gefährlich für Frauen, doch Madhya Pradesh hat den Ruf, die höchste Verbrechensrate gegen Ausländer vorzuweisen. Erst letzten Monat war hier eine Koreanerin von dem Manager ihres Hotels vergewaltigt worden.

In der vergangenen Woche hat das indische Kabinett einem neuen Gesetz zugestimmt, wonach Vergewaltiger ein Minimum von 20 Jahren Gefängnis oder die Todesstrafe riskieren, wenn ihr Opfer an seinen Verletzungen stirbt oder dauerhaft im Koma liegt.