Die Klassiker wie Marie und Maximilian zählen nach wie vor zu den beliebtesten Baby-Vornamen. Doch Standesbeamte und Experten beobachten einen Trend: Eltern vergeben immer öfter ungewöhnlichen Namen.
Bad Salzschlirf/Leipzig. Hedi-Rocky, Flonne oder Ultraviolett für Mädchen. Corleone, Skywalker oder Maradona für Jungen. Auch wenn Klassiker wie Maximilian und Marie bei der Auswahl von Vornamen hoch im Kurs stehen, fallen Kindernamen in Deutschland aber auch immer häufiger ungewöhnlich aus. Das registrieren Experten und Standesbeamte bundesweit, wie eine Umfrage der Nachrichtenagentur dpa ergab. „Die Vornamen sind zunehmend ausgefallen. Die Eltern wählen alles Mögliche“, beobachtet Jürgen Rast, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamten im hessischen Bad Salzschlirf.
Standesbeamte, die Vornamen genehmigen und eintragen müssen, werden zunehmend liberaler. Auch die Urteile, wenn es zu Gerichtsverhandlungen kommt, fallen immer öfter zugunsten der Eltern aus, die den gewählten Namen mit aller Macht durchboxen wollen. „Der Staat muss lediglich darauf achten, dass das Wohl des Kindes durch den Namen nicht gefährdet wird“, sagt Rast. Auffällig ist aber auch: Die Standesbeamten kommen mitunter zu unterschiedlichen Bewertungen.
„Wir sind großzügig und international“, sagt die Leiterin des Standesamtes in Köln, Angelika Barg. Aber der von muslimischen Eltern gewählte Vorname Osama bin Laden wurden vor einigen Jahren abgelehnt. „Mit dem Namen lässt sich keine positive Verbindung herstellen“, befand Barg. „Wir wollen uns nicht als Ordnungsbeamte aufspielen, sondern die Eltern beraten. Mittlerweile muss man sagen: Fast nichts ist unmöglich. Der Trend zum auffallenden Vornamen verstärkt sich.“
Besonders in Großstädten wählen Eltern gern ungewöhnliche Vornamen. Beurkundet wurden vom Standesamt Hamburg-Nord zuletzt Sexmus Ronny, Don Armani Karl-Heinz (nachdem die Eltern mit Desperado abblitzten) und Camino Santiago Freigeist. Individualität scheint immer wichtiger und bestimmendes Motiv. „Viele Eltern wünschen sich für ihre Kinder etwas Besonderes, dass sie sich von der Masse abheben“, sagt die Hamburger Standesbeamtin Caroline Richter. Im Großen und Ganzen sei die Namensgebung lockerer geworden.
Wenn die Standesbeamten unsicher sind, ob ein Vorname beurkundet werden kann, können sie Rat einholen. Etwa bei der Gesellschaft für deutsche Sprache in Wiesbaden. Oder beim Namenskundlichen Zentrum der Uni Leipzig. Dort können Eltern Gutachten erstellen lassen und die Beamten mit der Expertise überzeugen. Gabriele Rodriguez arbeitet in der Namensberatungsstelle. Sie hat 500 000 Namen in ihrer Datei. Und der Bestand wächst ständig. Ebenso die Zahl ungewöhnlicher Vornamen.
Die Regel, dass Vornamen geschlechtsspezifisch sein müssen, wackele allmählich, erklärt Rodriguez. Pepper könne in Deutschland Männlein und Weiblein verliehen werden. 2007 habe es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegeben, wonach das Geschlecht nicht mehr eindeutig aus dem Vornamen hervorgehen müsse. Vor 20 Jahren seien Madison und Brooklyn abgelehnt worden – heute kein Problem. Heute gebe es ebenso keinen Widerstand bei Pumuckl, Tarzan, Winnetou oder Schneewittchen. Sunil und Lenor seien erlaubt – obwohl Markennamen.
Manchmal ist es aber auch für die Eltern verwirrend. Kirsche, sagt Rodriguez, geht nicht, Apple und Peaches aber schon. Köln nicht, Colonia aber doch. Porsche werde nicht beurkundet, Mercedes aber schon. Whisky geht nicht, Brandy ist okay. Keine Chance hätten Eltern derzeit mit Waldmeister, Joghurt, Crazy Horse oder Borussia. Ein Tabu-Name sei für viele Eltern noch Adolf, zu DDR-Zeiten sogar verboten. Seit einigen Jahren tauche der Namen aber wieder auf.
Welche Namen Eltern wählen, sei auch stark von der Bildungsniveau abhängig. Untere Schichten orientierten sich stark an amerikanisierten Namen, schnappten Ideen aus Filmen, Romanen oder von Promis auf. Bildungsstarke Schichten orientierten sich an Klassikern wie Karl oder Friedrich. Aus diesem Milieu sei auch die Frage gekommen, ob Henry eher ein Ober- oder Unterschichten-Name sei, erzählt Rodriguez. Abhalten ließ sich das Ehepaar Schlipfer, ihre Tochter Rosa zu nennen. „Das klingt ja wie Rosa Schlüpfer“, warnte die Expertin. Standesbeamten-Präsident Rast sagt: „Die Eltern tun den Kindern damit kein Gefallen. Die werden doch ständig gehänselt.“