Fünf Monate nach dem verheerenden Tsunami arbeitet Japan am Wiederaufbau. Gespräch mit einem Helfer

Der Schweizer Reiseleiter Thomas Köhler war Ende Juli als freiwilliger Helfer in der 160 000-Einwohner-Stadt Ishinomaki in der Nordregion Tohoku, die von dem Tsunami besonders hart getroffen wurde. Rund 300 Menschen starben dort, fast ebenso viele werden vermisst, die Hälfte des Stadtgebiets wurde zerstört. Bis heute sind die Aufbauarbeiten noch längst nicht vollendet.

Hamburger Abendblatt:

Herr Köhler, wie kommt der Wiederaufbau vor Ort voran?

Thomas Köhler:

Sehr viele freiwillige Helfer und professionelle Baumaschinenführer arbeiten sieben Tage in der Woche unter nicht einfachen klimatischen Verhältnissen, es ist momentan feuchtheiß. Die Arbeiten sind gut organisiert, sogar der Abfall wird sauber getrennt. Es ist erstaunlich, wie fleißig und genau die Leute arbeiten. Jedes Foto, jeder Schultornister, Schuhe, Kinderspielzeug und viele andere Sachen werden sauber gereinigt, registriert und für die Überlebenden zum Wiederfinden bereitgelegt. Niemand scheut den Arbeitsaufwand, es sind auch keine negativen Worte zu hören. Vorbildlicher könnte man nicht an die Sache rangehen. Großartig, wie die Japaner diese überaus schwierige Situation bewältigen.

Wo leben die Menschen zurzeit?

Köhler:

Die meisten wohnen in den temporär angelegten Unterkünften. In der Region ist es nicht möglich, unter normalen Umständen zu leben. Zuerst muss aufgeräumt werden. Danach wird geplant und aufgebaut, das kann noch eine Weile dauern. Eine ältere Person kam kurz vorbei, um zu schauen, wie die Aufräumarbeiten vorangehen. Wir wurden jedoch gebeten, keine Gespräche mit den Einheimischen während der Arbeiten zu führen.

Wie haben Sie die Atmosphäre erlebt?

Köhler:

Die vom Tsunami verwüstete Gegend ist sehr großflächig. Derzeit sind nur Aufräumtrupps, Baumaschinen und zerstörte Häuser zu sehen. Die Einheimischen leben weit weg in ihren temporären Unterkünften.

Gab es den Vorwurf des Katastrophen-Tourismus?

Köhler:

Im Gegenteil, die Verantwortlichen und einheimischen Helfer waren uns sehr dankbar. Wir wurden mit offenen Armen empfangen und mit großem Dank verabschiedet. Grundsätzlich wurde uns auch erlaubt, Fotos zu schießen. Wir wurden aber gebeten, keine betroffenen Personen bei ihren Häusern zu fotografieren.

Eine persönliche Geschichte, die Sie besonders berührt hat?

Köhler:

Als wir am zweitletzten Tag von den Aufräumarbeiten zurückfuhren, wollte ich Genaueres über ein größeres zerstörtes Betongebäude wissen. Unser Gruppenchef erklärte, dass dies eine Primarschule gewesen sei und mindestens die Hälfte der Schüler nicht überlebt habe. Als wir am nächsten Tag zum Reinigen persönlicher Gegenstände in eine Turnhalle geführt wurden, waren auch viele Gegenstände von den Kindern jener zerstörten Schule darunter. Es war ein trauriger Moment für mich.

Was hat Sie dazu bewegt, in die Krisenregion zu gehen?

Köhler:

Als ich das Ausmaß der Katastrophe einigermaßen einschätzen konnte, wurde in mir das Bedürfnis geweckt, den Betroffenen zu helfen. Ich war zwar nur vier Tage vor Ort. Es war jedoch besser als gar nichts. Ich habe mich bei der Reisefirma Nippon Travel Agency eingeschrieben, für ein "Volunteering Package". Transport und Hotel werden organisiert, um die ganze Sache einfach und effizient zu bewältigen. Natürlich bezahlt man dafür, denn so unterstützt man auch gleich wieder den Tourismus in der Region. Man kann also nicht erwarten, dass die Unterkunftskosten erlassen werden, sonst könnten sie ja auch gleich Leute zum Aufräumen bezahlen.

Zurzeit durchwandern Sie Japan von Nord nach Süd, 2500 Kilometer weit, und bloggen darüber täglich im Internet.

Köhler:

Ich will positive Signale setzen. Alle, mit denen ich mich unterhalten habe, sind der Überzeugung, dass von Woche zu Woche wieder mehr Leute nach Japan reisen werden. Das ist auch meine persönliche Hoffnung. Japan ist noch immer eine Reise wert.