Der Kosmonaut und russische Volksheld hatte kaum Flugerfahrung und kollidierte 1968 - wahrscheinlich - mit einem Wetterballon.
Moskau. Am 12. April 1961 umrundete der damals 27-jährige Russe Juri Gagarin die Erde. Dafür wurde er zum Idol erhoben. Fast genau sieben Jahre später starb Gagarin bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz.
Zum 50. Jahrestag des ersten bemannten Fluges ins All hat jetzt das Präsidentenarchiv Russlands mehr als 300 streng geheime Unterlagen zum sowjetischen Weltraumprogramm zugänglich gemacht. Das wichtigste Dokument befasst sich mit Gagarins Tod, der bis heute von Legenden umrankt gewesen ist. So wurde spekuliert, er sei entweder auf Befehl von Staatschef Leonid Breschnew "beseitigt" worden oder volltrunken abgestürzt. Vielleicht hätten auch Abfangjäger versehentlich den Absturz verursacht. Offiziell war der Tod die Folge "einer unglücklichen Verkettung verhängnisvoller Umstände".
Der nun bekannt gewordene Untersuchungsbericht vom 4. September 1968 zeichnet ein anderes Bild. Pilot Gagarin hatte bis zur Nominierung für den ersten Start ins All nur 247 Flugstunden absolviert. 1961/62 und 1964 flog er nicht, 1963 neun Stunden. Erst ab 1965 saß er regelmäßiger im Cockpit, doch nie mehr als 46 Stunden pro Jahr, was nach sowjetischen Richtlinien nicht genügte, um seine Lizenz zum Steuern von Düsenjets zu behalten.
Dennoch wollte Gagarin seine Ausbildung, die er 1960 unterbrochen hatte, abschließen. Am 27. März 1968 sollte er seine Befähigung zum Alleinflug mit der MiG-15 erwerben. Also startete er mit Ausbilder Wladimir Seregin zum Prüfungsflug. Laut Untersuchungskommission sollte er in einer für Kunstflugmanöver frei gehaltenen Zone unter anderem eine Acht mit einer Neigung von 60 bis 70 Grad fliegen, zwei horizontale Rollen, einen Sturzflug mit Kampfkurve, einen Looping und einen halben Looping.
Allerdings war die Vorbereitung ungenügend. Seregin gab Gagarin keine Anweisungen, wie der Flug durchzuführen sei. Auch der Flugplan konnte nicht gefunden werden. Die Route führte gefährlich nahe an anderen Trainingsflügen vorbei. Die Maschine, eine Trainingsversion der MiG-15, war mit Außenbordtanks versehen, obwohl diese bei Kunstflugmanövern verboten waren. "Was dann folgte, kann man ohne Zweifel dem russischen Schlendrian und einer gefährlichen Selbstüberschätzung der Piloten zuschreiben", urteilen der russische Historiker Sergej Kudryaschow und sein Kollege Matthias Uhl vom Deutschen Historischen Institut in Moskau.
Um 10.19 Uhr starteten Seregin und Gagarin, ohne Infos über das Wetter zu haben. Als die MiG sechs Minuten später das Übungsfluggebiet erreichte, war die Sicht schlecht. Seregin reduzierte das Programm von 20 Minuten Prüfung auf vier. Diesen Teil absolvierte der Kosmonaut erfolgreich, denn um 10.29 Uhr meldete er, dass er zurückfliegen wolle. Kurz darauf riss der Kontakt ab.
Die Untersuchung des Wracks zeigte, dass sich die MiG-15 in einem Winkel von 50 bis 55 Grad in den Boden gebohrt hatte, mit einer leichten Rechtsneigung. Die Geschwindigkeit beim Aufschlag betrug 660 bis 670 Kilometer pro Stunde. Weder der Kosmonaut noch sein Fluglehrer hatten einen Versuch gemacht, sich aus dem Flugzeug zu katapultieren. Sie waren offenbar überrascht worden. An der Unglücksstelle wurden Überreste von Radiosonden gefunden: Juri Gagarins Flugzeug war wohl mit einem Wetterballon kollidiert, vermuten Experten.