Tina R. und ihre Tochter entkommen auf einem Flüchtlingsboot, der Ehemann war gewalttätig und ließ sie mit dem Kind nicht ausreisen.

Rom. Als das klapprige Flüchtlingsboot mit den Tunesiern die süditalienische Insel Lampedusa erreicht, ist die Überraschung groß. An Bord sind auch zwei Europäer. Eine "wunderschöne Deutsche, groß und blond, mit einer neunjährigen Tochter im Arm" sei unter den Migranten, schreibt die italienische Zeitung "Corriere della sera". Die 40 Jahre alte Düsseldorferin Tina R. und ihre neunjährige Tochter Amira hatten ihr Leben einer Schlepperbande anvertraut. Nun sind sie endlich gerettet. Sie haben eine unglaubliche Odyssee hinter sich.

2007 hatte sich die Deutsche von dem Tunesier scheiden lassen

"Ich musste raus aus Tunesien, um jeden Preis", sagte die Frau dem Online-Portal "DerWesten". "Ich habe tausendmal versucht, mit meiner Kleinen wegzukommen. Ich bin überglücklich, dass wir es jetzt geschafft haben", berichtete die Lehrerin. Tina R. flüchtete vor ihrem gewalttätigen Ex-Ehemann.

2007 hatte sich die Deutsche von dem tunesischen Arzt scheiden lassen. Immer wieder soll er Frau und Kind geschlagen haben. "Die Scheidung ist rechtskräftig, mir wurde sogar in Tunesien das Sorgerecht zugesprochen", erklärte R. Das nützte ihr wenig, der Vater ließ Mutter und Kind nicht aus Tunesien ausreisen. Tina R. musste notgedrungen allein nach Düsseldorf gehen. Sie kämpfte verzweifelt mit juristischen Mitteln. Vier lange Jahre habe sie versucht, Amira nach Deutschland zu holen, sagte die Mutter.

Jetzt eskalierte die Situation: Der Ton zwischen dem Ex-Paar wird immer aggressiver. "Mein Ex-Mann wollte mir Amira für immer wegnehmen." In ihrer Verzweiflung reist die Deutsche nach Tunesien. Es gelingt ihr, Amira zu treffen. Mit ihrer Tochter will sie nach Düsseldorf fliegen, wo ihr neuer Lebensgefährte und der gemeinsame eineinhalbjährige Sohn warten. Doch die tunesische Polizei nimmt ihr den Pass am Flughafen ab. Der Vater hatte Anzeige wegen Kindesentzugs erstattet. Die 40-Jährige wird gesucht. Ihr Mann ist eine Persönlichkeit in Tunesien, hat gute Kontakte zu den Polizeibehörden.

Mutter und Tochter flüchten ins Hinterland. Sie kommen bei Freunden in den Bergen unter, wollen nach Libyen, dort die deutsche Botschaft erreichen. Doch die Revolte gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi stoppt die beiden. Die Deutschen können Tunesien nicht verlassen, sie schlagen sich nach Djerba durch.

Inzwischen lässt der Ex-Mann nach einer blonden Frau und ihrer Tochter suchen. Die Flüchtlinge können sich kaum noch verstecken, leben in ständiger Angst. Schließlich wendet sich die Düsseldorferin an jugendliche Schlepper. Am Strand von Djerba besteigen beide gegen 4000 Dinar, das sind umgerechnet 2000 Euro, das Flüchtlingsboot. "Es war eiskalt", sagt R. 110 Flüchtlinge brechen in der Nacht auf. Ihr Ziel: die 130 Kilometer entfernte Mittelmeerinsel Lampedusa. Wellen lassen das Boot bedenklich schaukeln. Tina R. drückt Amira fest an sich. "Da passte keine Zigarette mehr zwischen uns." Stunden vergehen, Stunden, in denen die Angst stärker wird. Würden sie jemals das Festland erreichen?

Die deutsche Botschaft bringt Mutter und Tochter ins Hotel

Sie sind fast einen Tag draußen auf dem Meer, bis Land in Sicht ist. Die italienischen Behörden nehmen die Gestrandeten auf. Tina R. kann die deutsche Botschaft kontaktieren. Diese bringt die Flüchtlinge in einem Hotel unter - warm, geborgen und in Freiheit kommen sie zur Ruhe. Beide sind von den Strapazen entkräftet. Amira hat leichtes Fieber. Auf dem Boot hat sie sich erkältet. Aber sie sind überglücklich. Einer Rückkehr nach Deutschland steht nichts mehr im Wege.

Das Auswärtige Amt wollte sich zu dem Fall aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht äußern. Auf die Frage, ob sie Angst vor ihrem Ex-Mann habe, sagte R. dem "Spiegel": "Er hat nur in Tunesien Macht über mich und meine Tochter."