Russland schafft die Winterzeit ab. Der spektakuläre Schritt soll der Gesundheit der Menschen im größten Land der Erde zugute kommen.
Moskau. Winter adé: Ewiger Sommer bricht schon bald in Russland an - sogar zu der Jahreszeit, wenn Eis und Schnee das größte Land der Erde im Griff haben. Schon im Herbst brechen im Riesenreich andere Zeiten an, wenn es nach der Uhr geht. Kremlchef Dmitri Medwedew lässt es nach der nächsten Umstellung im März einfach bei der Sommerzeit. Die Zeitumstellung im Frühling und Herbst bringe doch nur „Stress und Krankheiten“ mit sich, begründet der Präsident eine Initiative, die auch in Deutschland immer wieder diskutiert wird. Die Zeitreform helfe „Mensch und Tier“, ist sich auch die Russische Akademie der Wissenschaften sicher. Die Experten hatten die Machbarkeit geprüft.
„Das ist zum Wohle der Gesundheit aller Russen“, lobt der oberste Amtsarzt Gennadi Onischtschenko den Präsidentenerlass. Schon bald soll ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden, die Zustimmung der von kremltreuen Parteien dominierten Staatsduma gilt als sicher. Und schon finden sich Nachahmer. So bringt in der Ukraine ein Abgeordneter der regierenden Partei der Regionen einen ähnlichen Vorschlag ein.
Medwedew erhält viel Beifall für die „bahnbrechende Entscheidung“, wie der Lungenarzt Alexander Tschuchalin im Gespräch mit der Agentur Itar-Tass die Verfügung nennt. „Vor allem Kinder leiden unter der Zeitumstellung“, behauptet Alexander Baranow, Kinderarzt im Gesundheitsministerium. „Das Hin und Her mit der Uhr hat einen schlechten Einfluss auf die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Effektivität.“
„Etwa ein Drittel der Menschen reagiert sehr sensibel auf Zeitumstellungen“, sagt der Psychologe Sergej Krawtschenko der Zeitung „Iswestija“. Folge seien etwa Stress oder Schlaflosigkeit - solche Beschwerden würden künftig weniger. Auch der wirtschaftliche Nutzen durch eine Zeitumstellung sei gering, heißt es immer wieder. Laut einer Umfrage unterstützen 60 Prozent der Russen die Änderung.
Nur leise regt sich Protest gegen die Verfügung aus dem Kreml. „Wir meinen, dass das Land genügend Probleme auch ohne die Zeitreform hat“, sagt Iwan Melnikow von den oppositionellen Kommunisten.
Ändern wird sich nun der Zeitunterschied zum Westen. Problematisch könnte dies etwa für Händler und Pendler an der finnisch-russischen Grenze werden, die demnächst mit einem Schritt zwei Stunden überwinden statt bisher einer. Berlin liegt derzeit das ganze Jahr über zwei Stunden hinter den russischen Metropolen Moskau und St. Petersburg. Künftig werden es im Winter drei sein. Doch Probleme entstünden dadurch nur einer geringen Minderheit, glauben Experten.
7 bis 17 Prozent mehr Tageslicht verspricht hingegen Medwedews Berater Arkadi Dworkowitsch durch den Wegfall. Das sei auch eine „Kompensation“ für einige Gegenden, die im vergangenen Jahr eine Stunde näher an Moskau herangerückt waren. Der Verzicht auf die Umstellung von Sommer- auf Normalzeit ist nicht das erste Mal, dass Medwedew an der Uhr dreht. Auf seinen Befehl hin hatte Russland im Vorjahr die Zahl der Zeitzonen von elf auf neun reduziert. Neue Wirtschaftsprojekte und eine einfachere Verwaltung verspricht sich der Kreml davon. Immer wieder lobt der Präsident große Länder wie die USA oder China, die mit deutlich weniger oder sogar nur einer Zeitzone auskämen.
Vor allem im fernen Osten Russlands protestieren aber noch immer Bewohner für die Rückkehr zur alten Zeit. Statt bislang neun Stunden sind sie dem Machtzentrum Moskau nun acht Stunden voraus. Im Winter bricht die Dunkelheit schon mitten am Nachmittag herein. Hunderte demonstrieren regelmäßig. Ihr Motto: „Gebt uns die Sonne wieder!“ Im nächsten Winter bleibt es dort wieder länger hell.