Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger geht auf Distanz zu “Tatort Internet“. Quoten sinken
Hamburg. Die Kritik an der RTL-2-Sendung "Tatort Internet", die von Ministergattin Stephanie zu Guttenberg und dem Hamburger Ex-Innensenator Udo Nagel moderiert wird, reißt nicht ab. "Es besteht die Gefahr, dass Unschuldige angeprangert und große Schäden angerichtet werden und der Rechtsstaat in eine Schieflage gerät", sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der "Passauer Neuen Presse". "Wir müssen aufpassen, dass es keine Vorverurteilungen gibt, bevor die Justiz ermittelt." Einen "öffentlichen Pranger" brauche der Rechtsstaat nicht.
In der Sendung spürt ein Reporterteam mit verdeckten Recherchen mutmaßliche Pädophile auf und stellt sie zur Rede. In mindestens zwei Fällen war es Internetnutzern trotz Anonymisierung der beschuldigten Personen gelungen, ihre Klarnamen zu recherchieren. Einer von ihnen ist der 61 Jahre alte Leiter eines Kinderdorfs der Caritas Würzburg. Er war am 14. Oktober entlassen worden, nachdem er anonymisiert in der Sendung als Täter auftauchte. Seitdem wird der Mann vermisst. Auch der Leiter der Netzwerk-Fahndung des bayerischen Landeskriminalamtes, Günter Maeser, hält "Tatort Internet" für problematisch. In seiner Einheit, vor 15 Jahren die Erste ihrer Art in Europa, fahnden zwölf Beamte nach Straftaten im Netz. Maeser glaubt, dass die Sendung "noch eine Reihe von einstweiligen Verfügungen, Klagen und Prozessen nach sich ziehen wird".
Die Anonymisierung der mutmaßlichen Pädophilen sei nicht ausreichend: "Wenn Sie an den Würzburger Fall denken, dann stellt sich die Frage, ob die Angabe ,der Leiter einer Caritas-Jugendeinrichtung, 61 Jahre alt', genug anonymisiert ist. Wenn so jemand identifizierbar ist, steht er am Pranger und fühlt sich in die Ecke getrieben. Sein Job, seine Ehe, die ganze Existenz steht auf dem Spiel, und das kann zu Kurzschlusshandlungen führen, die im Falle des Würzburgers nun ja auch befürchtet werden." Auf die Frage, ob die Sendung ihm bei seiner Arbeit helfe, sagt Maeser: "Ich halte mehr von Kampagnen mithilfe von Werbefilmen. An Schulen müsste mehr aufgeklärt und auch gezielt an die Eltern herangetreten werden."
Der Würzburger Diözesanvorsitzende Clemens Bieber fordert die Absetzung von "Tatort Internet". Er sei überzeugt, die Sendung diene nicht dazu, "Täter zur Strecke zu bringen und Kinder zu schützen", sagte er mit Blick auf den Fall des Kinderdorfleiters. Obwohl der Mann der Redaktion von "Tatort Internet" bereits vor fünf Monaten ins Netz gegangen war, hatte RTL 2 die Caritas darüber vor Ausstrahlung der Sendung nicht informiert. Gegen den Mann ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Würzburg wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Die Staatsanwaltschaft war ebenso wenig vorab vom Sender unterrichtet worden. RTL 2 hatte sein Schweigen bisher damit begründet, dass eine Information des Arbeitgebers die Persönlichkeitsrechte des Mannes verletzt hätte. "Wenn ich Prävention betreiben will, warte ich nicht Monate mit so einer Kenntnis", sagte dagegen Strafrechtler Klaus Laubenthal der Nachrichtenagentur KNA. Das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen sei schon dadurch berührt gewesen, dass er so dargestellt worden sei, dass man ihn identifizieren konnte.
RTL 2 hat jetzt Konsequenzen angekündigt. Nach Angaben einer Sprecherin will der Sender nun Arbeitgeber benachrichtigen, wenn Mitarbeiter, die "in ihren Arbeitsverhältnissen mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben", bei eindeutigen Chats mit Minderjährigen erwischt werden. Zudem werde man vier Tage vor Ausstrahlung einer jeden Sendung künftig den Strafverfolgungsbehörden Sendekopien übergeben.
Die öffentliche Debatte um die Sendung tut "Tatort Internet" offenbar nicht gut. Die zweite Ausgabe der Sendung sahen am Montag nur noch 790 000 Angehörige der für RTL 2 wichtigen werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. In der Woche zuvor lag ihre Zahl noch bei 950 000. Normalerweise haben kontroverse Debatten um eine Sendung steigende Quoten zur Folge. Beim Thema Kindesmissbrauch scheint dieser Mechanismus nicht zu funktionieren.