Menschen irren tränenüberströmt und staubbedeckt umher. Vom Chef der UN-Friedensmission auf Haiti gibt es kein Lebenszeichen.

Port-au-Prince. Horror und Verzweiflung herrschen nach dem schweren schweren Erdbeben in Haiti. Hunderte, wenn nicht tausende Tote werden befürchtet. Auf den Straßen und Gehwegen der Hauptstadt Port-au-Prince liegen Leichen. Das Zentrum der Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt im ärmsten Land Amerikas ist „zerstört“, berichtet ein Augenzeuge. Auch den Präsidentenpalast, eines der wenigen wirklich massiven Gebäude, hat es getroffen.

Zu Tausenden irren die Menschen, viele von ihnen in Tränen aufgelöst, durch die Straßen der Metropole. An jeder Ecke bieten sich neue Schreckensbilder. „Das ist eine wirkliche Katastrophe“, entfährt es Pierre. Staubbedeckt ist er mehrere Kilometer gelaufen, um zu sehen, ob seine Zuhause noch steht. Nach dem Beben haben die Einwohner ihre Häuser verlassen und Zuflucht auf Freiflächen gesucht – aus Furcht, sie könnten von einstürzenden Gebäuden erschlagen werden.

„Sie verbringen die Nacht im Freien, weil sie Angst vor den Nachbeben haben“, sagt Sara Fajardo vom katholischen Hilfsdienst. Ein blutüberströmter, am linken Arm verletzter Arzt ist sich sicher, dass die Zahl der Toten in die Hunderte gehen wird, sobald ein besserer Überblick eine Zählung der Opfer ermöglichen wird.

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Einige Gebäude sind wie Kartenhäuser zuammengestürzt, nur noch Schutthaufen sind von ihnen übrig. Der blütenweiße Präsidentenpalast, der am zentralen Champ-de-Mars-Platz in der Sonne gleißt, ist schwer beschädigt. Seine eingestürzte Kuppel wirkt wie ein Symbol des Desasters.

Zerstört sind auch die in der Nähe gelegenen Ministerien. Krankenhäuser, Hotels und Schulen liegen in Trümmern. Das Hauptquartier der UN-Blauhelmmission MINUSTAH, ein fünfstöckiges Betongebäude an der Ausfallstraße zum Vorort Pétionville, ist zum größten Teil eingestürzt. Unter dem Schutt werden zahlreiche Tote und Verletzte vermutet. MINUSTAH-Soldaten tun ihr Möglichstes zur Rettung der Menschen.

Vom Chef der UN-Friedensmission auf Haiti hat es seit dem Beben kein Lebenszeichen gegeben. Dies teilte der französische Außenminister Bernard Kouchner am Mittwoch in Paris mit.

In einer Seitenstraße liegt eine verletzte Jugendliche. Der brasilianische Sender TV Globo zeigt, wie Helfer sich um sie bemühen. Etwas weiter braucht ein Mann Hilfe, dessen Beine unter großen Steinblöcken zerquetscht wurden. „Überall Zerstörung, wohin man auch sieht“, sagt Marie Claire. Das medizinische Labor, in dem sie arbeitet, ist eingestürzt. Nur knapp ist sie mit dem Leben davongekommen.

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Kurz nach dem Erdstoß der Stärke 7,0 ist die auch sonst nur spärlich erleuchtete Hauptstadt in dunkelste Nacht getaucht. Panik macht sich breit. Fahrzeuge der haitianischen Polizei, der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes sind auf der Suche nach Verletzten unterwegs, doch immer wieder versperren ihnen Gebäudetrümmer und Geröll den Weg. Das Telefonnetz ist nahezu vollständig, die Stromversorgung komplett zusammengebrochen. Kaum eine Fernseh- oder Radiostation sendet noch. Nur einige wenige Hörfunksender sind zu empfangen. Sie strahlen Notrufe aus.

Im Internet und in Twitter-Blogs tauchen erste Bilder der Katastrophe auf. Ein kleines Mädchen ist zu sehen, über und über mit Staub bedeckt. Es versucht, sich aus einem Geröllhaufen zu befreien. Ein anderes Foto zeigt die Leichen zweier Frauen auf einem Pritschenwagen. „Bald gehen meine Batterien aus, dann kann ich nicht mehr kommunizieren“, schreibt ein Twitterer. „Es wird eine lange Nacht, wir schließen alle in unsere Gebete ein.“