Die psycholytische Behandlung ist umstritten. Sie soll seelische Blockaden lösen - mithilfe von rausch-ähnlichen Zuständen. Doch ein Arzt in Berlin verlor die Kontrolle.

Berlin. Auf dem Praxisschild vor dem unscheinbaren Haus im Berliner Norden steht "Psycholytische Einzel- und Gruppentherapie". Doch was das bedeutet, fragen sich viele Nachbarn erst, als am Wochenende Rettungswagen die Straße verstopfen und Polizisten das Haus absperren. Zwölf Männer und Frauen sind dort am Sonnabendvormittag zur Gruppensitzung gewesen. Einige Stunden später sind zwei tot. Sie haben ein Gemisch aus verschiedenen Drogen zur Bewusstseinserweiterung genommen. Ein 50-jähriger Arzt und Psychotherapeut mixte den tödlichen Cocktail und gab ihn seinen Patienten. Nun ermittelt die Mordkommission, ob es sich um einen Unfall, fahrlässige Tötung oder Totschlag handelt.

Die Gruppensitzung des Therapeuten und seiner 41-jährigen Frau - das Paar hat vier Kinder - lief völlig aus dem Ruder. Die psycholytische Therapie will starke seelische Blockaden und Abwehrmechanismen mithilfe von Drogen wie LSD, Meskalin, Ecstasy, anderen Amphetaminen oder Heroin lösen. Die Patienten sollen in rauschähnliche Zustände verfallen und sich dem Therapeuten öffnen. Die Idee stammt von dem Schweizer Arzt und Psychiater Dr. Samuel Widmer, Gründer der "Kirschblütengemeinschaft", die sich der spirituellen Selbsterkenntnis verschrieben hat. "Erlaubt sind das Narkosemittel Ketamin und Ephedrin", sagte Widmer "bild.de". Harte Drogen wie LSD, Kokain oder Heroin seien bei der Therapie in der Schweiz und Deutschland verboten. Er verstehe nicht, wie es in Berlin zu den Todesfällen kommen konnte.

Nach ersten Ermittlungen nahmen die Männer und Frauen verschiedene Substanzen. Was genau, müssen die Gerichtsmediziner klären. Unklar ist auch noch, ob die Drogen gespritzt, geschluckt oder getrunken wurden. Die Wirkung war jedenfalls heftig. Den Patienten wurde übel, manche mussten sich übergeben. Um 15.30 Uhr alarmierte ein Teilnehmer per SMS die Feuerwehr.

Die tödliche Wirkung ließ sich aber in zwei Fällen nicht mehr stoppen. Ein 59-jähriger Mann starb in der Praxis, der Notarzt konnte ihn nicht mehr wiederbeleben. Ein 28-Jähriger fiel ins Koma und starb im Krankenhaus. Ein dritter Patient (55) schwebt noch in Lebensgefahr. Andere kamen mit Vergiftungen ins Krankenhaus, konnten aber inzwischen wieder entlassen werden.

Der 50 Jahre alte Arzt und Therapeut, der auch "Suchttherapie" anbietet und gegen "spirituelle Krisen" helfen will, wurde festgenommen. Er gestand, seinen Patienten Psycho-Drogen gegeben zu haben. Die Polizei geht bisher nicht davon aus, dass er vorsätzlich jemanden töten wollte.

Offenbar versuchte sich der Therapeut weit jenseits der von Krankenkassen und Wissenschaft akzeptierten Methoden - und ist damit nicht allein. Im Internet und Stadtmagazinen wimmelt es von unseriösen oder esoterischen Angeboten für kranke oder Sinn suchende Menschen. Hypnotherapie, Bioenergetik, astrologisches Coaching, Kunsttherapie, Schwitzhüttenzeremonien oder Mantrensingen bilden ein buntes Durcheinander. Offiziell anerkannt von den Krankenkassen sind nur diese drei Methoden: Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Psychoanalyse.