Müntefering und seine Kraftquelle: Eine Polemik von Armgard Seegers

Macht Macht wirklich so sexy, dass man über 40 Jahre Altersunterschied hinwegsehen kann? Was könnte es sonst sein, das junge Frauen in die Arme arg gereifter Herren treibt, zu Männern mit Bauch, Haarausfall, Falten oder mit Brillengläsern aus dem Sortiment Glasbausteine? Jetzt also soll SPD-Chef Franz Müntefering (69) mit der 29 Jahre alten Michelle Schumann, einer Mitarbeiterin aus seinem Büro, eine Affäre haben. "Ich bin gut drauf", kommentierte Müntefering die Affäre gewohnt knapp. "Er strotzt vor Tatendrang" heißt es aus seinem Umfeld. Man mag es sich lieber nicht so genau vorstellen.

Früher galten Chefs, die sich an Untergebene ranmachten, als unappetitlich. Auch wenn manche Mitarbeiterin säuselte: "Ich ordne mich liegend gern unter", es galt als Tabu. Heute sieht man das lockerer. Zumindest zum politischen Alltag gehört es seit Langem. Ex-Kanzler Helmut Kohl (79) heiratete im vergangenen Jahr seine 34 Jahre jüngere Frau Maike Richter, die zuvor seine Mitarbeiterin gewesen war. Auch Ex-Kanzler Willy Brandt hatte mit 69 Jahren seine ehemalige Assistentin geheiratet. Brigitte Seebacher war 32 Jahre jünger. Und Fast-Kanzler Franz Josef Strauß (gest. 73) war nach dem Tod seiner Frau mit einer 31 Jahre Jüngeren, Renate Piller, liiert. Da ist Günter Verheugen (65), der sich mit seiner nur 14 Jahre jüngeren Stabschefin (!) Petra Erler zusammentat, fast eine rühmliche Ausnahme. Auch wenn man hier ebenso wenig versteht, warum diese Frau nur auf innere Werte schaut.

Merken die reifen Herren eigentlich, dass sie neben einer sehr viel jüngeren Frau ziemlich alt aussehen? Oder dass Politiker, die mit ihren Mitarbeiterinnen Affären haben, leicht zu Witzfiguren werden? Berühmtestes Beispiel ist der ehemalige US-Präsident Bill Clinton (62), der Komikern und Kabarettisten Material lieferte für Witze wie: "In Washington DC wurden 100 Frauen gefragt, ob sie mit Bill Clinton Sex haben wollen. Zwei antworteten mit 'Ja', zwei mit 'Nein' und 96 mit 'nie wieder'."

Aus evolutionsbiologischer Sicht kommt es bei der menschlichen Partner-Wahl nur auf das Aussehen an, weil hübsche und wohlgestaltete Individuen über die besten genetischen Voraussetzungen verfügen. Evolutionsbiologe Karl Grammer erklärt: "Innere Werte? Die Schönheit der Seele? Vergessen Sie's. Was zählt, ist das Aussehen." Wie passt das mit unseren Politikern zusammen, die phänotypisch eher weniger an George Clooney (48) erinnern? Zumal auch andere Vorzüge einer Partnerschaft, etwa gemeinsame Freizeit, mit einem Lebensgefährten aus der Politik durch Treffen mit Ortsvereinen, Wahlkampf oder Sitzungen mit open end sehr eingeschränkt sind.

Bleibt die Frage, was die Freundinnen der jungen Michelle Schumann von deren neuem Freund halten? Bringt sie ihn jetzt mit zum Karaoke-Abend oder wenn mal wieder eine Nacht durchgetanzt wird? Oder gibt sie sich diesen altersgemäßen Freizeitvergnügungen nicht mehr hin? Ganz zu schweigen was die Eltern denken, die wahrscheinlich 15 Jahre jünger sind als der neue Partner ihrer Tochter. "Müntes" Töchter immerhin sind nur gut zehn Jahre älter als dessen neue Freundin. Das könnte gerade noch passen.

Franz Müntefering war bisher ein Politiker, dem man Anerkennung zollte. Nicht nur, dass er von seinem Amt als Arbeitsminister zurücktrat, um seine krebskranke Frau bis zu deren Tod 2008 zu pflegen. Auch seine Art zu kommunizieren, in kurzen, stakkatohaften Sätzen, die auf ein Verb verzichten, ist reif für den Duden: "Müntesprech" heißt das Ganze und lautet dann, "Wachstum vorbei, heute Krise" oder so, wie Ex-Kanzler Gerhard Schröder (65) Franz Müntefering verabschiedete: "Arbeit gut, Hilfe groß, Mensch klasse."

Natürlich könnte "Münte" seine neue Liebesgeschichte jetzt knackig kommentieren: "Frau jung, ich glücklich", aber eigentlich möchte man es so genau dann auch gar nicht wissen.

Armgard Seegers ist Kultur-Redakteurin beim Hamburger Abendblatt.