Fieberhaft suchen Spezialeinheiten der Polizei eine Frau, deren Mordspuren sich durch ganz Europa ziehen. Jetzt tauchte ihr genetischer Fingerabdruck sogar im Wagen eines V-Mannes der Polizei auf. Der Mann sitzt in Untersuchungshaft. Ist dieser Verdächtige der Schlüssel zum Phantom?
Irgendwo ist sie unterwegs. Irgendwo dort vermutlich, wo Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am Rhein aufeinandertreffen. Sie ist bewaffnet und äußerst brutal, schießt ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund. Wie sie aber aussieht, wie alt sie ist und was sie vielleicht als nächstes vorhat, ist den Ermittlern völlig unklar. Denn alles, was sie von ihr haben - und auch immer wieder finden - sind Haare, Fingerabdrücke, Hautfitzelchen. Und die damit entschlüsselte DNA sagt sicher nur eines: Es ist eine Mörder in , Einbrecher in und Räuber in , also eine Frau.
Immer wieder schlagen die Datenbanken an, wenn sie mit dieser DNA gefüttert werden. Sie geben dann an, wo diese DNA bereits zuvor gefunden wurde. An mehr als 20 völlig unterschiedlichen Tatorten ist die Phantom-Frau in den vergangenen 15 Jahren nachweislich gewesen, davon an fünf Mordtatorten und nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und Frankreich. Nie zuvor haben die Ermittler so ein Phantom oder wie sie es auch nennen, so eine Spurenlegerin, gejagt. Eine, die jederzeit wieder zuschlagen kann.
Diese Geschichte kann man sich so gar nicht ausdenken, so unglaubwürdig erscheint sie, findet auch der Polizeisprecher Peter Lechner aus Heilbronn. Von dort nahm die Spur vor knapp einem Jahr ihren Lauf. Damals wurde die 22 Jahre alte Polizistin Michelle K. mit einem Kopfschuss regelrecht hingerichtet. Einfach so, scheinbar grundlos während einer Pause, die sie im Stadtgebiet im Einsatzwagen machte. Ihr Kollege überlebte einen Kopfschuss schwer verletzt. Dass er inzwischen wieder arbeiten kann, grenzt an ein Wunder. Erinnern kann er sich an nichts. Seitdem jagt eine Sonderkommission die andere. Allein in Rheinland-Pfalz arbeiten die drei Sokos "Parkplatz", "Georgier" und "Zelle" an dem Fall. Mehrere Ermittlungsteams sind damit beschäftigt, genauso wie auch in Oberösterreich. Neben dem Abarbeiten von fast 2000 Spuren allein in Heilbronn müssen sich die Kollegen ständig untereinander abstimmen.
Und dennoch gibt es in Heilbronn auch nach fast einem Jahr intensiver Ermittlungen keine verwertbaren Hinweise auf Identität und Wohnort der rätselhaften Frau. Neue Hoffnung keimt auf, seit die Polizei in der vergangenen Woche die DNA der Verdächtigen ausgerechnet in einem von der Polizei gekauften und mit GPS überwachten weißen Ford Escort analysieren konnte. Dieser war einem in der Islamisten-Szene eingesetzten V-Mann des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellt worden. Darin fand die Polizei auch das Blut von einem von drei ermordeten Autohändlern aus Georgien, die Ende Februar aus dem Altrhein gezogen wurden. Der V-Mann sitzt unter Mordverdacht in Haft. Dass auch die unbekannte Frau in die Morde verwickelt war, schließt die Polizei allerdings aus. Doch irgendwann, vermutlich im Laufe des vergangenen Jahres, muss sie in dem Auto, das im Mai 2007 von der Polizei erworben wurde, gesessen haben. Kann der V-Mann weiterhelfen? Oder das Bewegungsbild des Ford? Baden-Württembergs Polizeipräsident Erwin Hetger frohlockt bereits: "Ich bin überzeugt, dass uns dieses Faustpfand zum Erfolg führen wird. Der Kreis wird immer enger."
Bei den vier Haaren, die ein Mensch statistisch pro Stunde verliert, und den eine Million toten Zellen, von denen er sich alle 40 Minuten trennt, ist es fast unmöglich am Ort des Verbrechens keine DNA-Spuren zu hinterlassen. Ob der Spurenleger aber auch der Täter ist, muss die Polizei ermitteln.
Wenn man zusammenträgt, was man bisher über die Spur der DNA der Frau weiß, ergibt sich für die Unbekannte ungefähr folgendes Bild: Sie bricht gern in Wohnungen, Autos und Gartenlauben ein. Offenbar trink sie auch mal einen und spritzt sich Heroin. In den Lauben übernachtet sie manchmal, bedient sich an den Vorräten und durchsucht das Inventar nach Wertvollem. Aber auch Zigarettenschachteln lässt sie gern mitgehen. Die Polizei geht davon aus, dass sie dort mit mindestens einem Komplizen unterwegs ist. Sie scheint sich aber auch in der oft dubiosen Szene von Gebrauchtwagenmärkten und -händlern, im Drogen- und Obdachlosenmilieu zu bewegen. Das ergibt sich aus einer kleinen Schnittmenge der Taten. Ein Muster kann das noch nicht sein, denn die Arten und das Vorgehen bei ihren Verbrechen sind scheinbar ohne Zusammenhang.
Die erste bekannte DNA-Spur der Frau stammt aus dem Mai 1993. Sie hinterlässt sie in der Wohnung einer erdrosselten 62 Jahre alten Rentnerin in Idar-Oberstein. Die nächste findet sich erst acht Jahre später in der Freiburger Wohnung eines ebenfalls erdrosselten 61 Jahre alten Rentners. Daraus entsteht bei der Polizei dort die Soko "Schlinge".
2001 verletzt sich auf einem Autobahnparkplatz bei Gerolstein ein Kind an einer Einwegspritze. Weil die Eltern wissen wollen, ob sich das Kind infiziert hat, geben sie die Spritze zur Untersuchung. Gefunden wird nur die DNA der Phantom-Frau. In Mainz bricht sie in einen Wohnwagen ein und hinterlässt einen angebissen Keks - mit ihrer DNA. Im Dezember 2003 die erste Spur aus Heilbronn: Am Tankdeckel eines gestohlenen Autos klebt die DNA. Der Autodieb wird gefasst, eine Frau aber war nicht bei ihm, gibt er an. Es folgt eine Einbruchserie in Oberösterreich bei Linz und dann die wohl merkwürdigste Spur: Am 6. Mai 2005 schießt in Worms Randolf S. auf seinen Bruder, den Chef eines Sinti-Clans. Angeblich stammt die Waffe vom verstorbenen Vater. Auf einer der abgegebenen Kugeln findet sich die Spur der Phantom-Frau. Eine Frau? Randolf S. weiß von nichts. Im August 2007 ist die Gesuchte wieder in einer aufgebrochenen Laube in Kornwestheim. Die Polizei gibt eine Warnung an die Gartenbesitzer heraus.
Die Ermittler decken jeden sprichwörtlichen Kieselstein auf, um der Unbekannten irgendwie näher zu kommen. In Heilbronn werden allein 1500 Autos und deren Halter überprüft, die sich während des Polizistenmordes in der Nähe aufhielten. Ein Zeuge hatte sich Teile eines Nummernschildes eines Wagens merken können, in den er zur Mordzeit einen blutverschmierten Mann (keine Frau!) einsteigen sah.
Die Milieus, in denen sich die gesuchte Frau aufhalten könnte, werden durchkämmt, Speicheltests genommen und alles Unmögliche für möglich gehalten. Sieht die Frau vielleicht gar nicht aus wie eine? Verteilt jemand vielleicht die DNA absichtlich, indem er etwa mit einem Taschentuch kleinste Körperteilchen fallen lässt? Polizeisprecher Lechner hält das für höchst unwahrscheinlich. Zu unterschiedlich sind die Tatorte. "Warum sollte jemand so etwas tun", fragt er. In welche Richtung vor allem ermittelt wird, bleibt im Dunkeln. Gerade in diesem Fall muss sich die Soko "nach allen Seiten offenhalten". Der Leiter der Soko "Parkplatz" in Heilbronn, Frank Huber, hat sein Ermittlungskonzept extra "extern" überprüfen lassen, um keinen "Tunnelblick" zu bekommen.
Vor allem in Heilbronn ist der Druck, den Tod der Kollegin aufzuklären, besonders groß. Schließlich sind bei dem Mord auch zwei Polizeipistolen und die Handschellen aus dem Einsatzwagen verschwunden. Hat die Unbekannte sie mitgenommen? Und wenn ja, wann setzt sie sie das nächste Mal ein?
Am 25. April jährt sich der Mord an der erst 22-jährigen Polizistin Michelle K. aus Heilbronn. Eine Gedenkfeier ist geplant.