Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 stieg der Hollywood-Star zum wichtigsten Botschafter der Sekte auf, behauptet der Biograf im Gespräch mit dem Abendblatt.
Der Name klingt wie ein Programm: Tom Cruise. Jemand, der kreuzt - nicht nur auf den Wogen des Erfolgs. Der Brite Andrew Morton hat ihm mehr als zwei Jahre Recherchen gewidmet, um herauszufinden, wer dieser Mann mit dem Millionen-Dollar-Lächeln wirklich ist. Ein "getriebener, fordernder, fokussierter Perfektionist", wie ein Ex-Scientologe sagt? Ein fürsorglicher Vater? Ein unglaublich präsenter, wandlungsfähiger Schauspieler? Oder ein Mann, der allmählich in seiner fast geschlossenen Gruppe den Realitätssinn verliert?
Morton ist mit seinen authorisierten Büchern über Lady Diana und Monica Lewinsky und einer nicht autorisierten Madonna-Biografie berühmt geworden. Er hat einen Riecher für Menschen, die gerade im Mittelpunkt des Interesses stehen. "All diese Leute - Madonna, Monica, Lady Diana, Tom Cruise - sagen etwas über unsere Gesellschaft aus", sagt Morton. "Diana über den Zustand der Monarchie, Monica über das Weiße Haus, Madonna über die Popkultur und Tom Cruise über Ruhm und die Umklammerung durch eine Art religiösen Extremismus. Und alle diese Leute formen auf ihre Art unsere Welt mit." Cruise habe ihn als Persönlichkeit interessiert. Für das Buch sprach Morton mit mehr als 130 Menschen - Cruise selbst war zu einem Interview nicht bereit.
Was ist aus dem strahlenden jungen Draufgänger geworden, den wir aus "Top Gun", "Rain Man" oder "Eine Frage der Ehre" kennen? 1986 hatte Cruise, gerade 23 Jahre alt, mit "Top Gun" seinen Durchbruch und war Hollywoods jüngster Shooting Star. Den schnappte sich die Schauspielerin Mimi Rogers, eine offizielle Scientology-Anwerberin. Sie erhielt für jedes neue Mitglied eine Provision. 1987 heirateten die beiden.
Der Science-Fiction-Autor Ron L. Hubbard, der Scientology 1954 gründete, gab die Devise aus, man müsse "Celebrities" (Prominente aus dem Showbiz) anwerben. Mit Cruise ging ein wirklich großer Fisch ins Netz. Er belegte unter Mimis Anleitung die teuren Einführungskurse, aber über seine Karriere entschied er weiterhin allein. Und sehr clever. Wozu brauchte er überhaupt Scientology? "Er selber sagte später, sie hätten ihn mit ihrer ,Study Tech'-Methode von seiner Dyslexie befreit und seine Karriere erst ermöglicht", sagt Morton. "Aber das ist eine späte Legende. Denn er hatte an seiner Schule schon Förderunterricht gehabt, da wurde ihm geholfen. Ich glaube, ausschlaggebend waren die Techniken von Scientology."
Beim sogenannten "Auditing" sollen Einsteiger ihr bisheriges Leben, auch ihre intimsten Erfahrungen offenlegen. "Sie dramatisieren und visualisieren ihre Schwächen und Erfahrungen, im Mittelpunkt stehen nur sie selbst. Das kommt gerade Schauspielern entgegen", sagt Morton. "Tom hatte eine unglückliche Kindheit, vor allem im Verhältnis zu seinem Vater. Jetzt konnte er das Drehbuch seines Lebens umschreiben."
Mit David Miscavige, Hubbards Nachfolger, entwickelte sich eine besonders enge Freundschaft, "die beiden wurden unzertrennlich". Es war die laute, machohafte Allianz zweier kleiner Männer mit Motorradrennen und Tontaubenschießen. Cruise ist knapp 1,70 Meter groß, Miscavige noch etwas kleiner.
Nach der Scheidung von Mimi Rogers umwarb Cruise heftig die Australierin Nicole Kidman. "Scientology spielte Cupido bei der Romanze, führte auch sie in die Organisation ein", sagt Morton. Allerdings galt Kidman immer als "unsichere Kantonistin".
Morton zeigt Cruise und Kidman aber auch als Opfer. Geradezu kübelweise wurde Dreck über sie ausgeschüttet, nachdem sie zwei Kinder adoptiert hatten. Britische Medien unterstellten Cruise, er sei wohl doch schwul oder impotent. Nicole Kidman sagte dann, dass eigene Kinder nach einer Eileiterschwangerschaft für sie gefährlich wären. Sicher bestärkten auch die demütigenden öffentlichen Attacken den Rückzug in die schützende "Seifenblase" Scientology, sagt Morton. Wie auch das Gerücht, Cruises jüngste Tochter Suri (mit Katie Holmes) sei aus dem gefrorenen Sperma Ron Hubbards entstanden. Morton: "So eine Behauptung ist infam."
1993 hatte Cruise den Status "Operierender Thetan III" erreicht: Der OT III wird in Hubbards "Schöpfungsmythos" eingeweiht. Demnach soll Xenu, der Herrscher einer fernen, überlegenen Galaxie, wegen Überbevölkerung einen Teil seiner Thetanen auf die Erde geworfen haben. Wo sie sich als negative Einflüsse an Menschen anhefteten. Diese muss der Operierende Thetan schrittweise ablegen - in weiteren teuren Kursen. Ein Teil des deutschen Publikums kennt das vielleicht aus der TV-Satire-Serie "South Park", die Hubbards Idee verballhornte. "Von OT III zu OT IV hat Tom allerdings zehn Jahre gebraucht", sagt Morton. "Er lehnte es wütend ab, überhaupt über seine Scientology-Mitgliedschaft zu reden."
Das änderte sich erst mit den Terroranschlägen des 11. September 2001, bei denen auch ein Freund von Cruise in den Twin Towers in New York getötet wurde. Erst jetzt habe sich Cruise öffentlich seinen großen Lobby-Aktionen für Scientology gewidmet. sagt Morton. "Man kann sagen, 9/11 änderte sein Leben." Cruise gründete und finanzierte Scientology-Einrichtungen, etwa zur ,Entgiftung' der New Yorker Feuerwehrleute, für Schulkinder, er suchte Botschafter und Politiker im Weißen Haus auf." Er besuchte auch den US-Botschafter in Deutschland und versuchte, für die "Menschenrechte" für Scientology in Deutschland zu werben.
1997 erschien im "Wall Street Journal" ein offener Brief, unterzeichnet von Dustin Hoffman, Goldie Hawn, Tom Cruises Anwalt und anderen, an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Mit der Forderung, die "Intoleranz" in Deutschland gegenüber Scientology zu beenden. "Das US-State Department hat die Unterzeichner scharf kritisiert wegen der aggressiven Sprache", sagt Morton, "und wegen des Vergleichs von Scientology in Deutschland mit der Notlage der Juden unter Hitler. Das war geschmacklos." Dieser Brief sei von Scientology gesteuert worden. Viele der Unterzeichner hätten den Zweck gar nicht gekannt.
Auch dass Tom Cruise die Filmrolle als Graf von Stauffenberg in dem Film "Walküre" spielen sollte, sei ein Plan von Scientology und sogar auf höchster Ebene gefallen, schreibt Morton. Einer seiner "Zeugen" ist der deutsche Scientology-Aussteiger Christian Markert. "Nicht nur Markert, auch Miscavige hat offen gesagt, dass in Berlin eine große neue Basis aufgebaut werden soll. Der Film spricht ein deutsches Erbe an; der deutsche Held wird verkörpert durch einen Scientologen und Weltstar, der für Blockbusters bekannt ist. Sehr clever."
Morton hat bisher keine Klagen von Scientology erhalten. Die Resonanz, sagt er, begeistere ihn. "Bezeichnend ist, dass sich eine Menge Scientologen meldeten und mich öffentlich unterstützen. Gerade gestern gab ein Familienmitglied von David Miscavige, Jenna Miscavige Hill, eine öffentliche Erklärung ab. Sie sagte, das Buch sei zutreffend. Fans von Nicole Kidman, Leute aus Tom Cruises Bekanntenkreis sagten mir, die Atmosphäre bei Scientology sei im Buch zutreffend wiedergegeben. Das freut mich ungeheuer."