Auf der malerischen Insel sind noch viele Spuren des Malers. Nächstes Jahr bekommt er in Hamburg ein eigenes Museum.
Vor der Blauen Stunde kommt in Forio das zarte Rosa. Es färbt Strand und Stadt, die Häuser um die Bucht, die weiße Seefahrerkirche Santa Maria del Soccorso auf der Landzunge, die Dächer und Kuppeln und hoch über allem den mächtigen Monte Epomeo mild ein. Es nimmt den Kontrasten die Schärfe und lässt alles wie verzaubert erscheinen. Für eine knappe halbe Stunde legt sich das warme Licht über die Insel im Golf von Neapel, bis die Sonne im Meer versunken ist und das tiefe Blau des Abends alles umhüllt.
Die Liegen an den Stränden sind längst verwaist, noch haben sich die Restaurants an der Uferpromenade nicht gefüllt, die Italiener essen spät, und die Horden von Neapolitanern, die in der italienischen Sommerferienzeit über die Insel herfallen, haben die Insel wieder verlassen, obwohl das Wetter noch so warm ist wie im mitteleuropäischen Sommer. Im Herbst gehört Forio an der Westküste der 46 Quadratkilometer großen Mittelmeerinsel wieder mehr den Einheimischen, die zwar zum großen Teil vom Tourismus leben, andererseits aber auch froh sind, wenn sich der Trubel des Sommers ein wenig gelegt hat.
Man trinkt einen Espresso in einem der Straßencafés, ein Glas Wein in einer Bar an der Piazza, die Jugendlichen donnern mit ihren Mopeds und Motorrädern die Uferpromenade entlang, und vor der Chiesa di San Gaetano wird eine Bühne aufgebaut, wo es später am Abend ein Konzert mit neapolitanischer Volksmusik geben wird.
Wer an einem der Tische sitzt, die Camillo Calise vor seinem Ristorante Epomeo an der Piazza aufgestellt hat, der verfügt über einen Logenplatz, kann bequem verfolgen, wie junge Frauen mit schicken Kleidern, alte Herren mit Hut und dunkler Sonnenbrille, Hausfrauen im lebhaften Gespräch, junge Burschen mit gegelten Haaren und dem neuesten Smartphone in der Hand und Familien mit hübsch herausgeputzten Kindern von links nach rechts und von rechts nach links vorüber ziehen.
Erinnerung an den Maler aus Hamburg
"Eduardo hat abends oft hier gegessen und sich mit Freunden getroffen“, sagt Camillo, der sich gut an den Maler aus Hamburg erinnern kann. Er war noch Kind, als sein Onkel Pasquale die Pizzeria geführt hat und Eduard Bargheer hier regelmäßig zu Gast war. Nicht nur hier übrigens, sondern auch nebenan in der Bar Maria, wo er und seine Künstlerfreunde Werner Gilles und Hans Purrmann den einheimischen Weißwein getrunken haben.
1939 hatte sich der auf Finkenwerder geborene Maler auf der italienischen Insel niedergelassen, war erst im Torrione, dem wahrzeichenhaften Stadtturm untergekommen, hatte dann in einem Klostergebäude an der Via Roma ein Atelier gemietet und sich 1958 sein erstes Haus gebaut. 1967 erwarb er dann auf der nahe gelegenen Via Gaetano Morgera ein verwinkeltes Grundstück, wo er sich ein neues Künstlerhaus nach eigenen Entwürfen erbauen ließ, das bis heute nahezu unverändert erhalten ist und von kulturinteressierten Touristen auf Anfrage besichtigt werden kann.
Bargheer und die Hamburger Sezessionisten
Eduard Bargheer war Mitglied der Hamburger Sezession, aber nicht nur seine Kunst widersprach den Vorgaben der Nationalsozialisten. Er hatte jüdische Freunde und verachtete die hasserfüllte Ideologie der braunen Machthaber. Nicht zuletzt deshalb war er nach Italien gegangen, wo zwar auch der Faschismus herrschte, aber in einer anderen, im Alltag weit weniger spürbaren Ausprägung.
Auf der italienischen Insel, auf der auch die deutsche Bundeskanzlerin immer mal wieder ihre Urlaube verbringt, hat man den Hamburger Maler, der im kommenden Jahr im Jenischpark sein eigenes Museum erhält (siehe Extratext), bis heute nicht vergessen.
Motivsuche: Bargheer fuhr mit dem Eselskarren
Nur ein paar Schritte von der Pizzeria Epomeo entfernt, vor der doppeltürigen Basilika Santa Maria di Loreto, treffen wir Bürgermeister Francesco del Deo, einen sehr eleganten Herrn im dunkelblauen Anzug, der viel über den Maler weiß. „Jeder kannte ihn, er sprach unseren Dialekt. Und auch noch so lange nach Eduardos Tod wissen die Menschen in Forio von ihm“, sagt er und zeigt auf ein Mosaik an der Fassade der Barockkirche. Es zeigt Vito, den Ortsheiligen von Forio, und ist ein Geschenk des Hamburger Künstlers an die Stadt, die ihn 1948 – für einen Deutschen in dieser Zeit höchst ungewöhnlich – zum Ehrenbürger erklärt hat.
Forio ist im Wortsinne malerisch; die manchmal frischen, mitunter auch bröckelnden Fassaden der Häuser erstrahlen in jenen Pastelltönen, die sich auch auf Bargheers Gemälden wiederfinden, ebenso wie die vielfach gestaffelten kubischen Dachlandschaften, die er von der Dachterrasse seines Atelierhauses aus betrachten konnte. Und wenn er sich umwandte, dann hatte er den Monte Epomeo im Blick, der mit seiner 789 Meter hohen schroffen Felsspitze den höchsten Punkt der Insel markiert. Einige Tage ließ sich der Maler morgens im Eselskarren zum Berg hinauffahren, um hier seine Motive zu finden.
Aber Eduardo, wie ihn die Ischitaner heute noch nennen, ging es nicht nur um die wunderbare Natur dieser Insel, die ihm zu Zufluchts- und Inspirationsort wurde, sondern auch um deren Menschen. Mit vielen der Einheimischen war er befreundet, hat mit ihnen geredet, gegessen, getrunken, und oft hat er sie auch porträtiert. Einer von ihnen ist Avvocato Nino d’Ambra, ein Anwalt, ehemaliger Bürgermeister, sozialistischer Politiker und Kunstsammler. Wir treffen ihn in seinem Stadtpalais, das sich genau gegenüber der prächtigen, allerdings etwas abgelegenen Hauptkirche S. Vito befindet.
Der 83-Jährige, der hier ein historisches Archiv betreibt und regelmäßig Vorträge und Veranstaltungen organisiert, ist umgeben von Kunst und Geschichte, lebt zwischen Gemälden, Büchern und Dokumenten.
"Eduardo war ein großer Redner"
Eduard Bargheer ist in seiner Kunstsammlung prominent vertreten, mit jenen Ischia-Motiven, in denen die Landschaft schon auf ihre Strukturen zurückgeführt wird, aber auch mit sehr persönlichen Porträts. „Eduardo war ein großer Redner und hat immer viel erzählt, zu uns war er immer freundlich. Als Kind hat er mich oft porträtiert, in Öl, als Aquarell oder Zeichnung“, sagt der alte Herr, für den der Umgang mit dem berühmten Maler in seiner Kindheit etwas völlig Normales war. Er führt uns in seine privaten Räume und ist auch bereit, sich neben einem der Knabenporträts fotografieren zu lassen.
Als Bargheer 1937 nach Ischia kam, war die Insel noch verträumt und arm. Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, denn in den 1950er-Jahren zog es Künstler, Schriftsteller und Filmstars nach Ischia. Zunächst zwar nicht nur nach Forio, sondern auch ins benachbarte Lacco Ameno, wo der Verleger und Filmproduzent Angelo Rizzoli das Luxushotel L’Albergo della Regina Isabella eröffnete.
Ischia wurde zur Promi-Insel
Liz Taylor, Richard Burton und Maria Callas mieteten sich hier ein, und Luchino Visconti ließ sich nur wenige Kilometer entfernt seine Villa La Colombaia erbauen, in deren Park sich auch das Grab des Regisseurs befindet. In Forio traf sich Bargheer derweil mit den amerikanischen Schriftstellern Wystan Hugh Auden und Truman Capote, mit Hans-Werner Henze, Ingeborg Bachmann, Herbert List, Gustaf Gründgens, Will Quadflieg und Marion Dönhoff. Der Gräfin vermittelte er später in Forio ein verwunschenes Haus, das sich bis heute im Familienbesitz befindet.
Eduard Bargheer ist 1979 gestorben. Obwohl er sich schon eine Grabstätte auf dem von ihm so oft gemalten Campo Santo von Forio gesichert hatte, ließ er sich dann doch in seinem Geburtsort Finkenwerder beisetzen. Sein Haus in Forio mutet noch immer so an, als könnte er jeden Moment wieder zur Tür eintreten, doch wäre er über das heutige Leben auf „seiner Insel“ wahrscheinlich recht erstaunt. Der Tourismus hat in den letzten Jahrzehnten enorm zugenommen, viele Hotels wurden erbaut, die meisten verfügen über eigene Thermalbäder. Die heißen Quellen mit ihrem salz-, brom- und jodhaltigen Wasser locken nicht nur Kranke, sondern vor allem auch Gesundheitsbewusste auf die Insel.
Die „Poseidongärten“ in der von ihm oft gemalten Bucht von Citara hat Bargheer noch selbst gekannt. Lucia Beringer, die heutige Inhaberin, gehört zu den etwa 400 deutschen Frauen, die heute auf Ischia leben und meistens im Tourismusgewerbe tätig sind. Die meisten von ihnen sind mit Italienern verheiratet. „Von Ostern bis Ende Oktober haben wir geöffnet, unser Publikum besteht überwiegend aus Ausländern“, sagt die Geschäftsfrau, die den Thermalpark mit mehr als 20 Pools und zahlreichen Gesundheitseinrichtungen leitet. Die größte Gästegruppe seien die Deutschen, sagt sie. „Aber jetzt kommen auch viele Franzosen, nachdem Arte einen Beitrag über uns gebracht hat.“ Und dann spricht auch sie von dem Hamburger Maler, der in ihren Poseidongärten gleich zwei Kunstwerke hinterlassen hat: das Mosaik des namengebenden Meeresgottes in den Außenanlagen sowie eines im Restaurant, das den Flötenspieler von Tarquinia zeigt.
Der Maler Eduard Bargheer
1901auf der Elbinsel Finkenwerder geboren, absolvierte Bargheer eine Lehrerausbildung, entschied sich aber schon bald für eine künstlerische Laufbahn. 1925 erhielt er ein privates Stipendium, das ihm seine erste Italien-Reise ermöglichte. 1928 wurde er Mitglied der Hamburger Sezession. Von der Gegenständlichkeit ausgehend, entwickelte er eine Bildsprache, die abstrahierende und symbolisierende Elemente einschließt. Um den Konflikten der NS-Zeit auszuweichen, lebte und arbeitete der Nazigegner von 1940 an dauerhaft auf Ischia. Eduard Bargheer war einer der einflussreichsten deutschen Künstler der Nachkriegszeit, er nahm 1948 an der Biennale Venedig sowie 1955 und 1959 an der Documenta in Kassel teil. Er lebte abwechselnd auf Ischia und in Hamburg. Am 1. Juli 1979 starb er in seinem Haus in Blankenese.
Das Museum
Zurzeit entsteht im ehemaligen Gartenbauamt im Jenischpark das Bargheer-Museum. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Ernst-Barlach-Haus und zum Jenisch Haus wird es mit einem Bestand von mehreren Tausend Werken an den bedeutenden Hamburger Maler und Grafiker erinnern. Geplant sind programmatische Ausstellungen mit Werken von Eduard Bargheer und seiner Künstlerfreunde und Zeitgenossen. Die Eröffnung ist für Mai 2017 geplant.
Das Bargheer-Haus in Forio kann nach vorheriger Anmeldung besichtigt werden, sofern sich die Nachlassverwalter auf der Insel aufhalten. Anmeldung unter Tel. 040-86 50 07. Infos: www.eduard-bargheer-museum.de