Vor 40 Jahren löste ein “drittklassiger“ Einbruch den größten Politskandal der USA aus: die Watergate-Affäre. Am Ende musste der Präsident zurücktreten.
Das Klebeband über dem Türschnapper kam Frank Wills verdächtig vor. Es sorgte dafür, dass einige Türen im Watergate-Hotel- und Bürokomplex zwar zufielen, aber nicht verschlossen waren. Wachmann Wills nahm auf seinem Rundgang um ein Uhr morgens an diesem 17. Juni 1972 die Klebestreifen ab. Bei der nächsten Streife über die Flure waren sie wieder da. Wills rief die Washingtoner Polizei. Fünf Männer wurden im Hauptquartier des Präsidentschaftswahlkampfs der Demokraten festgenommen, der Vorwurf: Einbruch und Eingriff in die Telekommunikation. Sie hatten die Telefone verwanzt. Der Präsidentschaftsbewerber George McGovern hatte, das sollte sich im Laufe von zwei Jahren Recherche, Justizkrimi und menschlichem Drama herausstellen, einen Erzfeind, der keine Meile entfernt saß: ein Stück die Virginia Avenue herunter, dann links abbiegen in Richtung des größten Schreibtisches von Pennsylvania Avenue 1600. Dort steht das Weiße Haus.
Das unrühmliche Ende der Präsidentschaft von Richard Nixon und die Mutter aller Politskandale wurden in dieser Nacht vor 40 Jahren eingeläutet. Denn die Spur von diesem "drittklassigen Einbruch" bei den Demokraten - so Nixons Sprecher Ron Ziegler wenige Tage nach der Verhaftung - führte über Umwege ins Oval Office, die Schaltzentrale der Supermacht USA. Der Republikaner Nixon wollte ungefährdet wiedergewählt werden. Das wurde er im November 1972 auch. Denn zu diesem Zeitpunkt waren von einer umfassenden Watergate-Affäre zunächst nur zwei Lokalreporter der "Washington Post" überzeugt, die sonst über Unfälle und Kleinkriminelle berichteten: Bob Woodward und Carl Bernstein, beide noch nicht 30 Jahre alt.
Woodward hatte im Laufe des Gerichtsverfahrens gegen die Watergate-Einbrecher Details aufgeschnappt, die er eigentlich nicht glauben konnte. Die Ganoven, die in Anzügen und mit Gummihandschuhen gearbeitet hatten, wurden von einem erstklassigen Anwalt vertreten. Auf dem Bankkonto eines Mannes wurde ein Scheck über 25 000 Dollar entdeckt, der für das "Komitee zur Wiederwahl des Präsidenten" ausgestellt war. Für dieses Komitee arbeiteten ein G. Gordon Liddy und der frühere CIA-Mitarbeiter E. Howard Hunt. Sie wurden ebenfalls angeklagt.
Puzzleteil um Puzzleteil setzten "Woodstein" zusammen, wie Chefredakteur Ben Bradlee die beiden Spürhunde in der Redaktion rief. Am 10. Oktober, vier Wochen vor der Wahl, veröffentlichten sie in der "Post" einen Text über das Ausmaß der Spionage und Sabotage, das Nixons Kampagne zu verantworten habe. Mindestens 50 Leute seien eingebunden in die illegalen Aktivitäten unter Führung eines kalifornischen Anwalts namens Donald Segretti. Der wiederum hatte enge Drähte zu Nixons Beratern.
+++ "Die Politik weiß: Am Ende kommt alles heraus" +++
An Teflon-Nixon blieb vorerst nichts haften. Sein Wahlsieg über McGovern war einer der gewaltigsten in der US-Geschichte. Nixon hatte den ersten Amerikaner auf den Mond geschickt, Elvis ins Weiße Haus eingeladen, ließ in Vietnam Krieg führen, mühte sich aber um Diplomatie mit Chinas Mao, den Sowjets und führte geheime Operationen gegen linke Regierungen wie die von Salvador Allende. Wen kümmerte da ein drittklassiger Einbruch? Selbst die "Post" dachte so und verbannte die tröpfelnden Details der Affäre auf die hinteren Seiten.
In ihrem ersten gemeinsamen Text seit 36 Jahren schrieben Woodward und Bernstein in diesen Tagen zum 40. Jahrestag des Einbruchs in der "Washington Post", dass der Watergate-Skandal von damals ein Nichts sei im Vergleich zu dem, was man heute weiß: "Das war nur ein flüchtiger Blick in etwas weit Schlimmeres. Als er zum Rücktritt gezwungen war, hatte Richard Nixon das Weiße Haus zu einer kriminellen Unternehmung gemacht."
Woodward hatte damals eine Quelle, die er "Deep Throat" nannte, nach einem Pornofilm. Er traf den Mann in einer Tiefgarage. Deep Throats Rat war: Folgt dem Geld! Erst die Finanzströme offenbarten den Pfad von den Einbrechern bis ins Weiße Haus. Schon das FBI hatte die Namen von Nixons Wahlkampfhelfern bei den Einbrechern entdeckt und eine Untersuchung gestartet. Doch Nixon behinderte die FBI-Recherchen. Kein Wunder, dass als Deep Throat später ein FBI-Mann enttarnt wurde. Denn Woodward hat seine Quelle nie preisgegeben. William Mark Felt Senior, von "Vanity Fair" im Jahr 2005 entlarvt, war sogar Vizechef des FBI.
Wegen des Recherchedrucks, den Woodward und Bernstein mit ihrer Hartnäckigkeit aufgebaut hatten, fiel einer der politischen Hintermänner nach dem anderen um. Wegen Falschaussagen oder Behinderung der Justiz standen plötzlich Nixons Stabschef Bob Haldeman sowie seine Berater John Ehrlichman und John Dean im Visier der Ermittler. Der Präsident warf sie am 30. April 1973 raus: "Zwei der feinsten Staatsdiener, die ich kenne", sagte Nixon. Dean wurde der beste Zeuge des Senatsausschusses zur Affäre.
Im Laufe der Senats-Anhörungen wurden immer seltsamere Auswüchse von Nixons Präsidentschaft öffentlich. Ein Stabsmitarbeiter gab zögerlich zu, dass es ein System von Tonprotokollen im Weißen Haus gab. Der Ausschuss forderte die Bänder an. Nixon - im strengen Gewaltenteilungssystem der USA ist das möglich - verweigerte das mit Verweis auf das Exekutivprivileg.
Im Gezerre um die Tonbänder gipfelte Nixons Groll und Selbstmitleid in dem Moment, als er im November 1973 bei einer Pressekonferenz im Fernsehen sagte: "Ich bin kein Verbrecher." Da wussten alle: Er ist einer.
Am 29. April 1974 kündigte er die Veröffentlichung der Bänder an. Auf ihnen war zu hören, wie Nixon vulgär fluchte, dass er mit antisemitischen Sprüchen um sich warf - enge Mitarbeiter wie Henry Kissinger waren Juden - und das Ausspionieren seiner Gegner befeuerte. Er war besessen von den Kennedys, den Reportern, den Vietnam-Kriegsgegnern. In seiner Paranoia wollte er das Sexleben von Edward Kennedy ausforschen und ihn abhören lassen. "Wir ruinieren den Hurensohn für 1976." Den nächsten Wahlkampf.
Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofes vom Juli 1974 musste Nixon alle Bänder aushändigen. Es war der Anfang vom Ende. Eine bis dato geheime Aufnahme enthüllte, dass Nixon und sein Berater Dean sich offen über die Watergate-Vertuschung unterhielten. Das war der "rauchende Colt", der zeigte, dass Nixon über zwei Jahre gelogen hatte. Der Kongress bereitete die Amtsenthebung vor (Impeachment). Der republikanische Senator Barry Goldwater erklärte die Präsidentschaft für praktisch beendet: "Zu viele Lügen, zu viele Verbrechen." Am 8. August 1974 trat Nixon als erster Präsident der US-Geschichte zurück. Die erste wichtige Amtshandlung von Nachfolger Gerald Ford: Er begnadigte Nixon. Ford sprach von einer "amerikanischen Tragödie, in der wir alle eine Rolle gespielt haben". Der Führer der freien Welt hatte gelogen, erpresst, betrogen. Die Pressefreiheit, der erste Verfassungszusatz der USA, war gleichzeitig mit Füßen getreten und zur wichtigsten Errungenschaft der modernen Politik erhoben worden.
Die "Washington Post", deren Verlegerin Katharine Graham unter erheblichem Druck gestanden hatte, heimste Pulitzerpreise ein. Und das, nachdem Generalstaatsanwalt John Mitchell noch zu Reporter Bernstein in einem Telefonat gesagt hat: "Wenn Sie das drucken, werden Katie Grahams Titten durch die Mangel gedreht."
Die Lokalreporter Woodward und Bernstein machten auf unterschiedlichen Pfaden Karriere. Woodward, heute 69, schrieb diverse Bestseller: über Bill Clinton und George W. Bush. Sein Name steht noch heute im Telefonbuch - man kann ja nie wissen, ob ein Informant anrufen möchte. Bernstein, heute 68, hatte mäßigen Erfolg als Kolumnist, ist einige Male mit zu viel Promille im Blut falsch abgebogen, hatte etliche Affären und schrieb ein beachtetes Buch über Papst Johannes Paul II.
Im laufenden US-Wahlkampf sind die Zeichen beinahe umgedreht. Präsident Barack Obama muss sich gegen Vorwürfe wehren, er habe geheime Informationen an die Medien weitergegeben, um seine Wahlchancen zu verbessern. "New York Times" und "Washington Post" hatten berichtet, die USA seien an Cyber-Angriffen auf das iranische Atomprogramm beteiligt. Obama ließ dementieren. Das, so sagte er, wäre ja ein Verstoß gegen geltende Gesetze. Da werden Bob Woodward und Carl Bernstein aber gelacht haben.