Hamburg. Khalid Atamimi über die Hinrunde in der Regionalliga, Ex-Kollege Fabian Hürzeler und die geplante Video-Dokumentation des Abendblatts.
Der Anfang war hart. Die ersten fünf Spiele in der Regionalliga Nord hat der Eimsbütteler TV als Aufsteiger verloren. Das Jahr jedoch beendet Trainer Khalid Atamimi (32) mit seinen überwiegend sehr jungen, talentierten Fußballern auf Rang 16 – mit allen Chancen auf den Klassenerhalt für den krassen Außenseiter, der erst ein Jahr zuvor in die Oberliga aufgestiegen war. Den doppelten Aufstieg gab es noch nie seit der Einführung der derzeitigen Ligenstruktur. Die Liga zu halten wäre deshalb eine Sensation angesichts des Mini-Etats von rund 300.000 Euro.
Das Abendblatt hat Atamimi, der beruflich als Schifffahrtskaufmann arbeitet, zum Weihnachtsinterview getroffen. Zum Abschluss eines turbulenten Halbjahres, das auch deshalb besonder ist, weil das Abendblatt die Mannschaft ein Jahr lang im Rahmen einer Dokumentation begleitet und nach dem Saisonende eine mehrteilige Serie ausstrahlen wird.
Herr Atamimi, was bedeutet Weihnachten für Sie?
Khalid Atamimi: Ich bin Muslim. Weihnachten feiern wir eigentlich nicht. Ich habe aber in der fünften Klasse meinen Freund Casper kennengelernt. Bei seiner Familie werde ich am 24. Dezember stets eingeladen. Leckeres Essen, eine sehr schöne Stimmung, der erste Weihnachtsfeiertag danach bei den Großeltern, der zweite entspannt daheim. Das ist für mich Weihnachten.
Auch in diesem Jahr?
Es ist noch offen, ob ich kurzfristig nach Indonesien fliege. Mein Vater lebt dort mit vielen Verwandten, wenngleich der engste Kreis meiner Familie hier in Hamburg daheim ist.
Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Auf jeden Fall. Meine Religion ist der Islam. Im großen Hamsterrad des Alltags besteht für uns alle die Gefahr zu vergessen, wo wir eigentlich herkommen. Mein Glaube erdet mich immer wieder und macht mich glücklich. Durch ihn wertschätze ich die Dinge ganz anders. Ich versuche, meinen Glauben bestmöglich zu leben. Ich habe sogar schon in der Kabine gebetet. (lächelt) Das Abendblatt hat mich dabei ja gefilmt.
Neue Serie: Abendblatt begleitet den ETV ein Jahr
Sie sprechen es an: Seit den Aufstiegsspielen Ende Mai gegen Bremerhaven und Kilia Kiel begleitet das Abendblatt Sie und Ihr Team mit der Kamera für eine Doku über die Saison des Eimsbütteler TV in der Regionalliga Nord.
Dazu fällt mir eine lustige Geschichte ein. Als sich unser Aufstieg abzeichnete, sagte ich zu unserem Teammanager und Spieler Jasper Hölscher: „Unser Ding müsste man verfilmen.“ Ich hatte da so ein Bauchgefühl. Zwei Wochen später kam eine WhatsApp von ihm: „Khalid, das Abendblatt will uns verfilmen.“ Ich schrieb ihm: „Siehst du, es passiert!“
Und, wie haben Sie es empfunden, plötzlich häufig von Kameras begleitet zu werden?
Klar, am Anfang war das für uns alle sehr ungewohnt. Das erste Spiel daheim gegen den Niendorfer TSV verloren wir im strömenden Regen. (lacht) Da musste einer der Kameraleute sehr leiden, als ich ihn nach dem Abpfiff wegschickte. Mittlerweile sind die Jungs vom Abendblatt aber gefühlt fast schon wie Teammitglieder, wir freuen uns, wenn sie mit dabei sind.
ETV-Trainer Atamimi über Serie: Habe nichts zu verbergen
Haben Sie keine Angst, zu viel preiszugeben?
Wir haben uns am Anfang schon Gedanken darüber gemacht. Für mich kann ich als Trainer und Mensch sagen: Ich habe nichts zu verbergen. Ich bin das offenste Buch der Welt.
Der Medienaufwand für Sie als Trainer ist in der Regionalliga Nord generell deutlich größer als in der Oberliga Hamburg. Haben Sie vorher kein Mediencoaching genommen, um sich darauf vorzubereiten?
Nein. Ich bin einfach ehrlich. Warum soll ich mich anders darstellen, als ich bin? Oder das sagen, was die Medien gerne hören würden? Wir sind in der Regionalliga Nord immer noch im Amateurbereich. Die Leute sollen sich mit uns identifizieren können. Wir wollen sympathisch und nahbar sein. Dazu gehört Ehrlichkeit. So wecken wir das Interesse der Leute. Ich freue mich über jeden journalistischen Beitrag, zu dem ich beitragen kann, damit die Leute etwas über uns und den Eimsbütteler TV erfahren.
Atamini: Ab und zu muss es knallen!
Dieser Blick hinter die Kulissen förderte durchaus auch Spannungen wie mit ihrem neuen Co-Trainer Jonas Struckmann zutage. Da gab es Gesprächsbedarf.
Wie alle Mitglieder unseres Trainerteams leistet Jonas exzellente Arbeit. Alleine seine Impulse im taktischen Bereich haben uns schon enorm verbessert. Als ich gesundheitlich ausfiel oder beruflich nach Indonesien reisen musste, waren immer mindestens zwei Trainer für das Team da. Die Zusammenarbeit im gesamten Trainerteam läuft sehr gut. Darüber hinaus passt die Erfahrung, die ich in zwölf Berufsjahren in Unternehmen gesammelt habe, auch auf Jonas und mich: Es muss ab und zu einfach mal knallen! Du schaust dir klar in die Augen, sagst dir deutlich, was du denkst. Danach ist es wichtig, sich die Hand zu geben. Nur so weiß jeder, woran er ist. Dieser Prozess lief zwischen Jonas und mir ab – und nun kommen wir immer besser auf einen Nenner.
Teamcoach Smolka wechselte zum FC St. Pauli
Nicht mehr auf einen Nenner kommen können Sie in der täglichen Arbeit im Trainerteam mit Fabian Hürzeler und Hinnerk Smolka als Teamcoach für den mentalen Bereich. Hürzeler ist Cheftrainer beim FC St. Pauli, Smolka dort Teamcoach. Welche Lücken hat der Aufstieg der beiden beim ETV hinterlassen?
Wir haben sowohl von Fabian als auch von Hinnerk unglaublich profitiert. Von Fabian besonders im Bereich der Trainingsintensität. Hinnerk hat das Team im mentalen Bereich sehr gut entwickelt. Sportlich haben wir Fabians Abschied im Trainerteam immerhin so aufgefangen, dass wir den Regionalligaaufstieg gewuppt haben. Im mentalen Bereich haben wir das selbstständig gelöst. So treffen sich regelmäßig alle gemeinsam oder die Spieler nur für sich. Besprochen werden zum Beispiel charakterliche Dinge.
Bezüglich des Charakters lobten Sie Ihr Team oft für seine große Moral und die spielerische Entwicklung, kritisierten wiederum fehlende Demut und mangelnden Respekt vor der Regionalliga Nord. Wie sehen Sie das im Rückblick?
Ich bin ein Mensch, der nicht um den heißen Brei herumredet. Mit dem von meiner Mannschaft betriebenen Zeitaufwand bin ich mega zufrieden. Aber wie wir die Dinge tun, da haben wir noch Steigerungsbedarf. Bei 80 Prozent der Spieler fehlt mir manchmal entweder die letzte Bereitschaft, oder sie haben noch nicht erkannt, was die Regionalliga Nord wirklich bedeutet. Nur: Wie sollten sie das auch wissen? Nur wenige Spieler bei uns haben Regionalligaerfahrung. Wir sind ein besonderer Verein. Wir betreiben mit wenig Geld mit einer brutal jungen Mannschaft viel Aufwand, um in dieser Liga zu spielen. Hätte die Gewöhnung daran früher eingesetzt, hätten wir mehr Punkte. Doch der Trend mit nur zwei Niederlagen aus den letzten neun Spielen zeigt nach oben.
Gastspiel in Meppen war ein Highlight der Hinserie
Wie haben Sie den Saisonbeginn mit fünf Niederlagen am Stück erlebt?
Als lehrreich. Viele Trainerkollegen sagten mir vor der Saison „Pass bloß auf! In der Regionalliga Nord wird anderer Fußball gespielt als in der Oberliga Hamburg.“ Ich wollte es erst nicht glauben. Mittlerweile glaube ich meinen Trainerkollegen.
Als eine Konsequenz nahm der ETV Abschied vom Hurrafußball mit hohem Pressing. Wie kam es dazu?
Durch eine intensive Analyse. Wir waren zu Saisonbeginn im alten System total gut – aber nur zu Spielbeginn. Die Fitness reichte dafür nicht. So wurde unser Pressing im Spielverlauf zunehmend mit Bällen in die Tiefe schnell überspielt. Also haben wir auf ein tieferes 5-4-1 umgeschaltet, den Gegner mehr kommen lassen. Dazu haben wir uns mehr Kondition durch Läufe geholt und viele weitere kleinere taktische Anpassungen vorgenommen. Nun hören wir öfter von den Gegnern: „Taktisch seid ihr ja extrem gut organisiert.“ Das freut uns.
Ein solches Lob spendete auch der SV Meppen, wo der ETV knapp mit 0:1 verlor. Die Partie in der Hänsch-Arena…
…war einfach geil. Vor zwei Jahren haben wir noch in der Landesliga vor wenigen Fans gespielt. Nun auswärts vor über 4500 Zuschauern antreten zu dürfen – das war Gänsehaut pur. Schon der Gang durch den Spielertunnel in diesem blauen Licht war einfach irre. Das Spiel musste dann wegen einer Verletzung des Schiedsrichters unterbrochen werden. Ich habe im Spaß zu mir gesagt: Eigentlich müssten wir abbrechen, damit wir in einem Wiederholungsspiel dieses Abenteuer hier ein zweites Mal erleben dürfen.
Profitrainer? Für Atamimi keine Utopie
Wecken solche Erlebnisse Ihr Verlangen, Profitrainer zu werden?
In meinem Leben ist es oft so gekommen, wie es kommen soll. Würde ich ein Angebot bekommen, würde ich darüber nachdenken. Aber das ist weit entfernte Zukunftsmusik. Eins ist mir klar: Wenn ich so etwas wie in Meppen jede Woche erleben dürfte, würde ich die Wörter Stress und Trauer nicht mehr kennen. Wichtig ist mir, demütig zu bleiben.
Wie ist es mit Ihren Spielern, wenn Angebote im Winter kommen?
Wer zu einem potenziellen Drittligaaufsteiger oder in den Profibereich wechseln will, dem legen wir keine Steine in den Weg. (lacht) Hoffentlich kommt für uns eine gute Ablöse dabei herum.
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Sollen noch Spieler geholt werden?
Wir hätten gerne ein bis zwei Spieler mit Qualität, die schon Regionalligaerfahrung gesammelt und Bock auf unser junges Team haben.
Wie haben Sie die Mannschaft in den Weihnachtsurlaub entlassen?
Mit einem Laufplan für die erste Weihnachtswoche. Am 2. Januar sehen wir uns wieder.
ETV-Trainer Atamimi: Schaffen den Klassenerhalt
Schafft Ihre Mannschaft den Klassenerhalt?
Zu 100 Prozent ja.
So optimistisch?
Ja. Und ich hoffe, meine Jungs lesen das hier: Wir schaffen es! Wofür treffen wir uns denn sonst fünfmal in der Woche, um mit riesiger Leidenschaft und großer Emotion Fußball zu spielen? Wir sind der Außenseiter und können die Märchenstory nur schreiben, wenn wir in jeder Sekunde daran glauben, es zu packen und immer unser Bestes geben.
Gelingt es Ihnen, über die Feiertage ausnahmsweise nicht an Fußball zu denken?
Unmöglich. (lacht) Fußball ist die schönste Nebensache der Welt. Die Premier League läuft, ich habe unsere Vorbereitung im Kopf. Ich werde bestimmt an Fußball denken.