Hamburg. Nach dem nervenaufreibenden Spiel gab Timo Schultz den Spielern des FC St. Pauli frei: “Die sollen mal die Sau rauslassen.“

Spätestens mit dem Abpfiff von Schiedsrichter Harm Osmers hatte Timo Schultz den Plan für den kommenden Tag über den Haufen geworfen. Anstelle des für Sonnabend um 10 Uhr angesetzten Regenerationstrainings gab der Cheftrainer des FC St. Pauli seinen Derbyhelden nach dem 3:2-Triumph gegen den HSV kurzerhand für das gesamte Wochenende frei.

Mehr noch: Schultz schickte seine Jungs zum Feiern. „Das ist kein Befehl, aber eine fette Bitte. Die sollen mal die Sau rauslassen. Sofern das alles coronakonform bleibt, und das geht ja mittlerweile, dürfen sie sich heute mal richtig gehen lassen“, sagte Schultz.

Trainer des FC St. Pauli: "Die Jungs sollen auch mal feiern"

St. Paulis Trainer ordnete damit den nun bereits vierten Sieg im siebten Zweitliga-Stadtduell gegen den HSV (bei zwei Unentschieden und einer Niederlage) als das ein, was es auch objektiv betrachtet war: eine sowohl kämpferisch als vor allem auch fußballerisch überzeugende Leistung in einem emotional hochaufgeladenen Match. Besondere Leistungen erfordern eben auch besondere Maßnahmen, in diesem Fall Belohnungen.

 „Ich hoffe, dass sich die Jungs schon das eine oder andere Bierchen gönnen. Das haben sie sich verdient. Die sollen auch mal feiern, die sollen auch mal nicht ans Training am nächsten Tag denken oder an irgendwelche Fußball-Inhalte. Heute ist auch mal der Tag gekommen, wo man Fünfe gerade sein lassen und es sich mal richtig gut gehen lassen kann. Jeder auf seine eigene Art und Weise“, sagte Schultz weiter.

St. Pauli vs. HSV: Nervenaufreibendes Spiel vor 10.003 Fans

Er selbst plante, mit seinen beiden Co-Trainern Loic Favé und Fabian Hürzeler „noch eine Runde zu drehen“. Dabei ahnte er aber auch, dass dies nicht allzu lang werden würde. „Ich bin ehrlich gesagt auch ziemlich kaputt und froh, wenn ich dann irgendwann im Bett liege.“

So verdient der Sieg im 106. Derby gegen den HSV auch war, so nervenaufreibend war das Spiel vor 10.003 Fans für St. Paulis Trainer eben auch bis zum Ende der sechsminütigen Nachspielzeit gewesen. Eine einzige Unaufmerksamkeit in der Schlussphase hätte noch einmal zwei wertvolle Punkte kosten können. So aber standen am Ende nicht nur ein Tor mehr zu Buche, sondern auch mehr Torschüsse (15:9), eine bessere Laufleistung (117,9:116,5 km) und eine stärkere Zweikampfquote (52:48 Prozent).

FC St. Pauli: Stürmer Makienok brachte Team auf Siegerstraße

Dazu kam der Faktor Glück, weil Schiedsrichter Osmers eine Berührung von Innenverteidiger Jakov Medic gegen HSV-Stürmer Bakery Jatta beim Stand von 1:1 nicht als strafstoßwürdiges Foul bewertet hatte und Video-Assistent Günter Perl im „Kölner Keller“ diese Einschätzung auch nicht als krasse Fehlentscheidung angesehen hatte. Auf die Frage, wie er denn die Elfmeter-Szene gesehen hatte, antwortete Schultz denn auch schmunzelnd: „Gar nicht. Es gab doch keinen Elfmeter, oder?“

Statt auf einen möglichen Rückstand reagieren zu müssen, hatte Schultz nur wenige Minuten später genießen können, wie Stürmer Simon Makienok sein Team mit einem Doppelpack zum 3:1 auf die Siegerstraße brachte. Der 30 Jahre alte Däne krönte damit vorerst seine positive Entwicklung seit Beginn der diesjährigen Sommervorbereitung.

Trainer Schultz mit viel Lob für 2,01-Meter-Stürmer Makienok

Nachdem er in allen Testspielen getroffen hatte, erzielte er nun auch in der Liga seine ersten beiden Saisontore. Damit egalisierte er schon seine Trefferzahl aus der für ihn unbefriedigend gelaufenen Vorsaison. Auch da hatte er ein Tor gegen den HSV erzielt, beim 2:2 im Volksparkstadion. „Ich hoffe, dass ich jetzt auch gegen andere Mannschaften Tore schieße“, sagte er später im Glückgefühl des Derbysieges.

Derbysieg für den FC St. Pauli: Stürmer Simon Makienok brachte sein Team mit einem Doppelpack zum 3:1 auf die Siegerstraße.
Derbysieg für den FC St. Pauli: Stürmer Simon Makienok brachte sein Team mit einem Doppelpack zum 3:1 auf die Siegerstraße. © picture alliance / xim.gs | xim.gs / Philipp Szyza | Unbekannt

„Simon hat sein Krafttraining umgestellt, ist mehr in die Explosivkraft gegangen. Er war extrem fleißig und profitiert jetzt davon, dass er über einen längeren Zeitraum trainiert und auch spielt“, lobte Trainer Schultz seinen 2,01-Meter-Stürmer, der als eigentlicher Rechtsfuß beide Treffer gegen den HSV mit links erzielt hatte.

Derbysieg für FC St. Pauli: Marcel Hartel laufstärkster Spieler

„Es war ein sehr großer Moment für mich und ein geiles Spiel für uns“, sagte Makienok nach dem Spiel. „Er ist ein positiv verrückter Typ, der immer gute Laune hat, der immer mitreißt, der immer irgendwo versucht, auch seine Mitspieler positiv anzustacheln. Das sieht bei ihm manchmal alles nicht ganz so filigran aus. Das ist aber normal bei Spielern dieser Größe. Er ist ein guter Kicker. Er hat einen vernünftigen Abschluss mit rechts und mit links, mit dem Kopf sowieso“, lobte Timo Schultz den Nebenmann von Sturmführer Guido Burgstaller, der diesmal ohne eigenen Treffer geblieben war, aber das Tor zum 1:0 durch Finn Ole Becker aufgelegt hatte. „Ich habe ein gutes Gefühl, dass diese Saison besser für mich läuft“, sagte Makienok und genoss es sichtlich, von den eigenen Fans gefeiert zu werden.

Dass auch Marcel Hartel ein wichtiger Faktor beim Derbysieg sein würde, war vor dem Anpfiff nicht absehbar gewesen. Ganze zwei Trainingseinheiten hatte der 25 Jahre alte, vom Bundesligisten Arminia Bielefeld verpflichtete Mittelfeldspieler mit seinen neuen Kollegen absolviert, bevor ihn Trainer Schultz sofort in die Startelf beorderte. Mit 12,51 abspulten Kilometern war er gleich der laufstärkste Spieler auf dem Feld. „Jeder hat heute gesehen, warum wir ihn verpflichtet haben. Er ist extrem laufstark, ein super Zocker, extrem spielfreudig. Er verkörpert genau das, was wir auf der Rautenposition haben wollen“, lobte Schultz seinen neuen Mann.

FC St. Pauli kann eine erste gute Zwischenbilanz ziehen

Mit zwei Siegen und einem Unentschieden aus den ersten drei Ligaspielen sowie dem – keineswegs selbstverständlichen – Weiterkommen im Pokal kann der FC St. Pauli eine erste gute Zwischenbilanz ziehen. „Das ist sicherlich ein gelungener Saisonstart. Wir wollen uns auch nicht kleiner machen, als wir sind“, sagte Trainer Timo Schultz denn auch, wohlwissend, dass schon am kommenden Sonnabend mit dem Auswärtsspiel beim SC Paderborn „die nächste schwere Aufgabe“ wartet.

Und so wich der Coach denn auch der Abendblatt-Frage, ob die Leistung beim Derbysieg das Prädikat „aufstiegsreif“ zu bewerten sei, geschickt aus. „Es war auf jeden Fall eine Leistung, die das Prädikat Derbysieg verdient hat. Um alles andere kümmere ich mich ab Montag“, sagte Schultz. „Ich habe vor allem in Magdeburg, aber auch heute viele Sachen gesehen, die wir einfach besser machen müssen, damit wir noch besser und erfolgreicher spielen.“ Der Mann hat auch nach seinem zweiten Derbysieg noch große Ziele.