Sport, Homosexualität und gesellschaftlichenr Druck - eine Reportage über Startschuss e.V., den ersten schwul-lesbischen Sportverein Hamburgs.

Hamburg. Nachdem ich mich durch die schier endlosen Gänge des Sportparks Öjendorf zur Fußballhalle durchgekämpft habe, weiß ich bereits nach kurzer Zeit, dass es sich gelohnt hat. Ich bin auf einem Männer-Fußballturnier, das mit 16 Mannschaften – unter ihnen Teams aus London, Kopenhagen und Prag – und 150 Teilnehmern eines der größten seiner Art in Europa ist. 16 Mannschaften, 150 Spieler? „Auf so einem Turnier war ich letztes Wochenende auch.“, mag sich der geneigte Fußballkenner wahrscheinlich denken. Ganz sicher nicht! Ich bin nämlich bei den Startschuss-Masters – das Turnier ist nach dem gleichnamigen ersten schwul-lesbischen Sportverein Hamburgs benannt –, also einem der größten schwulen Fußballturniere Europas. Die Mannschaften heißen nicht wie sonst im partiell dumpf-stumpfen Amateur- und Freizeitfußball „Knochenbrecher SV“ oder „Blutgrätsche 05“ sondern „Blaue Bengel Bielefeld“ oder „Queerpass St.Pauli“ und Torhüter englischer Mannschaften tragen auf dem Spielfeld schon mal eine Kapitänsmütze . Im Gegensatz zu so manch anderem Fußballturnier fällt sofort positiv auf, dass zwar ebenso verbissen auf dem Platz um den Sieg gekämpft wird, das Turnier ansonsten nach den Spielen aber den sonst eher fußballunüblichen Charme eines Familienfestes versprüht. Da wird mannschaftsübergreifend zusammengestanden, angefeuert, gefachsimpelt und geflachst. Carsten Stock, Leiter der Fußballabteilung bei Startschuss und Organisator und Initiator des Turniers in Personalunion, bestätigt: „Es ist wie eine Familienfeier. Du freust dich, Freunde zu treffen.“ Das Turnier habe neben dem sportlichen Anreiz vor allem auch Netzwerkcharakter und biete die Möglichkeit mit Gleichgesinnten – vor allem auch aus anderen Städten und Ländern – in Kontakt zu kommen. Gemeinsam Sport treiben und miteinander in Kontakt treten – eine Aussage, die auch für den gesamten Verein getroffen werden könnte.

„Wenn die Abteilungen funktionieren, höre ich schon mal zwei Jahre nichts von denen.“

Insgesamt über 600 Mitglieder zählt Startschuss e.V. heute, knapp 20 Jahre nach der Vereinsgründung im Jahre 1990 und ist damit in Relation zur Größe der Stadt nach dem Verein Janus in Köln der zweitgrößte schwul-lesbische Sportverein Deutschlands. Geführt wird der Verein ehrenamtlich von einem fünfköpfigen Vorstand, dem auch der 52-jährige Manno Peters angehört. Der Meteorologe ist im Vorstand für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig und seit 1991, also zwei Jahre nachdem er nach Hamburg zog, bei Startschuss. Der Verein hat kein eigenes Vereinsheim sondern nur eine Postadresse bei Hein&Fiete, dem schwulen Informationsladen Hamburgs. „Der Verein arbeitet sehr abteilungsbetont.“, erklärt Peters die Vereinsstruktur und ergänzt lachend: „Wenn eine Abteilung funktioniert, dann höre ich auch schon mal zwei Jahre nichts von denen.“ Eine Aussage, die angesichts zwei bis drei Mal im Jahr stattfindender Treffen mit den Abteilungsleitern mit einem Augenzwinkern zu sehen ist. Ansonsten aber gibt „der Vorstand nur den Rahmen und versucht den Verein am Laufen zu halten“. Für den Inhalt sorgen die Abteilungen und wie in jedem anderen Verein hängt Vieles davon ab, wie sich die Mitglieder – siehe Carsten Stock - engagieren. Insgesamt gibt es im Verein 18 Abteilungen, die sich auf 17 Sportarten verteilen. Volleyball gehört gemeinsam mit der Fitnessabteilung und – selbstironisch auf der Homepage als „unglaublich aber wahr“ betitelt – Fußball zu den drei Sportarten der Vereinsgründung. Über die Jahre kamen von B wie Badminton bis Y wie Yoga altbekannte und neuzeitlichere Sportarten ins Programm von Startschuss, mit jeweils völlig unterschiedlichen Treff-Rhythmen und Gruppengrößen. Badminton und Volleyball zählen hierbei zu den größten des Vereins und decken, wenn auch mit unterschiedlichen Gruppen, beinahe jeden Tag der Woche mit Angeboten ab. Dazwischen liegen Abteilungen wie zum Beispiel Tischtennis, die sich zweimal in der Woche treffen und sogar – ebenso wie die Volleyballer – Mannschaften für den Ligaspielbetrieb abstellen. Eine der Frauen-Tischtennis-Mannschaften spielt als einzig lesbische Mannschaft in der Bezirksliga und kämpft um Siege und Punkte. „Probleme oder blöde Bemerkungen gab es aber nie.“ erklärt Mannschaftsführerin Ines und ergänzt: „Vielen Gegnerinnen ist das zunächst gar nicht bewusst und erst im Gespräch ergibt sich, dass Startschuss ein schwul-lesbischer Sportverein ist. Über die Jahre wissen es dann aber doch einige.“


„Ich bin heute zum ersten Mal hier und wenn es mir gefällt, bleibe ich dabei.“

Es ist ein semigemütlicher, leicht humider Dienstagabend, als ich mich abends an der Jahnkampfbahn bei einer der kleinsten Abteilungen des Vereins, der Laufabteilung, einfinde. Sieben Männer werden wir insgesamt. Abzüglich mir also sechs, die vorrangig des Laufens und der Gruppe wegen da sind. Das seien zwei mehr als sonst oft kommen, wird mir von Michael, dem Abteilungsleiter, erzählt, während wir den Stadtpark Pfützen umkurvend und das Tempo variierend durchlaufen. „Ich bin heute zum ersten Mal hier und wenn es mir gefällt, bleibe ich dabei.“, erfahre ich von einem der Läufer. Die Laufgruppe ist ein gutes Beispiel dafür, wie viele der Gruppen im Verein funktionieren. Es ist ein unverbindliches Angebot, die Mitglieder können sich die Gruppe und das Angebot anschauen und entscheiden, wann und wie oft sie wiederkommen. So kommt es, dass die Gruppen sehr stark in Zusammensetzung und Teilnehmeranzahl variieren können. Bei im Ligaspielbetrieb befindlichen Mannschaften ist das natürlich ein wenig anders. Da ich immer in einer solchen gespielt habe, wundere ich mich. Doch Manno Peters, der sich heute auch zum Laufen eingefunden hat, erklärt mir, dass man das differenziert betrachten müsse. In die von ihm angeleitete Outdoorgruppe beispielsweise kämen auffällig viele, die „ansonsten mit der Schwulenszene nicht viel zu tun haben und vorsichtig die Fühler ausstrecken“ wollen. Sie orientieren sich erst einmal, prüfen ob Angebot und Teilnehmer ihnen zusagen. Vor dem Hintergrund, dass die Teilnehmer ihr Coming Out vielleicht noch nicht hatten, sie noch unsicher und im Kontakt mit anderen zurückhaltend sind, kann ein zwangloses Sportangebot in wechselnder Gruppe unter Umständen genau die Lockerheit bringen, die zu einem geänderten (Selbst)Verständnis führt. Dies ist ein definitiver Mehrwert von Startschuss, da der Sport bei Startschuss speziell für diejenigen, die im Berufs- oder auch im Privatleben noch nicht ihre eigentliche Persönlichkeit leben, eine Art Refugium, eine Insel oder schlicht den „homosexuellen Bereich“ ihres jeweiligen Lebens darstellen kann. Eine Funktion von Startschuss sieht Peters genau aus diesem Grunde in der Integration derer, die zaghafter und zurückhaltender sind.


„Ich sehe da vor allem die Besserungen“

Die Selbstfindung und das Coming Out mache man natürlich zuallererst mit sich selber im Inneren aus, so das Vorstandsmitglied. Der Sport in der Gruppe könne aber dazu beitragen, eine neue Selbstverständlichkeit in sein Leben zu bringen. Das sei ein ebenso langer wie langsamer Prozess, ebenso wie der der gesellschaftlichen Akzeptanz von Homosexualität insgesamt. „Aber ich sehe da die Besserungen“, sagt Peters in Bezug auf die gesellschaftlichen Entwicklungen seit der Gründung von Startschuss vor zwanzig Jahren. Wie für einzelne Personen in ihrem Leben selbst, hat sich auch im Großen eine – zugegeben – nach wie vor stark ausbaufähige Selbstverständlichkeit eingestellt. Aber auch im Verein selbst machen sich Veränderungen und ein „Umdenken“ bemerkbar. In den Anfangstagen von Startschuss war der Verein – sicher auch den damaligen Verhältnissen geschuldet – ein geschützter Raum, in dem man „mal nur unter sich sein wollte“. In zweierlei Hinsicht hat sich dies bis heute verändert. Zum einen öffnete sich der Verein zusehends und es gibt auch heterosexuelle Vereinsmitglieder, die sagen: „Ich mache lieber mit Homosexuellen Sport.“. Die Quote liegt allerdings bei unter fünf Prozent. Zum anderen sagen aber auch viele Homosexuelle heute, dass sie zum Sporttreiben nicht in einen explizit schwul-lesbischen Sportverein gehen müssen. Startschuss hat dies aber nicht geschadet. Die Mitgliederzahl hält sich seit Jahren konstant bei über 600. Der Verein, der sich fast ausschließlich über Mitgliederbeiträge finanziert, hat durch sein Angebot, vor allem aber auch durch seine Turniere stark verbindende und vernetzende Wirkung – in Hamburg, Deutschland und Europa.

„Es sind ganz langsame, kleine Schritte, aber irgendwann klappt das schon.“

Die Startschuss-Masters haben dies stellvertretend ein Mal mehr unter Beweis gestellt. Und durch ihre Internationalität, die Siegerehrung und den Empfang im Rathaus haben sie das Thema Homosexualität auch wieder ein kleines Stück weit voran in die Gesellschaft getragen, wieder ein kleines Stück in Richtung Selbstverständlichkeit. „Es sind ganz langsame, kleine Schritte, aber irgendwann klappt das schon.“ sagt mir Carsten Stock, bevor wir uns verabschieden. Ich schlängel mich wieder durch die Gänge des Sportparks, verlaufe mich auf dem Weg nach draußen zwei Mal und denke: Auch dazu mag ein Sportverein, vor allem aber die Mitglieder durch ihr Engagement beitragen.