Hamburg. Mit einer Lizenz aus Lettland wollen Sandra und Peter-Michael Reichel im Sommer 2021 ein Event mit den ATP-Herren veranstalten.
Die Schlagzeilen, die das deutsche Damentennis am Donnerstag produzierte, waren unschön. Eine „düstere Zukunft“ sah die Deutsche Presse-Agentur heraufziehen, der Sport-Informationsdienst prophezeite „magere Jahre“. Auslöser für das Schwarzmalen war die ernüchternde Bilanz der Australian Open in Melbourne, bei denen am Donnerstag Mona Barthel (30/Neumünster) als letzte Deutsche in Runde zwei mit 4:6, 1:6 an der Tschechin Karolina Muchova (24) scheiterte. Letztmals vor fast elf Jahren hatte die dritte Runde eines Grand-Slam-Turniers ohne weibliche deutsche Beteiligung stattgefunden.
In Hamburg ließ man sich die Laune davon nicht verderben. Nachdem am Mittwochabend bekannt geworden war, dass die Damentennisvereinigung WTA den für das Herrenturnier am Rothenbaum zuständigen Österreichern Sandra und Peter-Michael Reichel den Kauf einer Damenlizenz gestattet (wir berichteten), freute sich Sportsenator Andy Grote am Donnerstag über den Coup. „Das ist eine hoch attraktive Weiterentwicklung des Sportkalenders. Der Stellenwert Hamburgs im internationalen Tennis wird dadurch ausgebaut“, sagte der SPD-Politiker dem Abendblatt. Wie hoch die finanzielle Unterstützung der Stadt sein wird, konnte Grote noch nicht beziffern. „Klar ist aber, dass es eine zusätzliche Förderung geben wird, denn es ist ein eigenes Event mit entsprechendem Aufwand“, sagte er.
Tennis am Rothenbaum 2021
Als Tochter und Vater Reichel 2018 den Zuschlag für die Ausrichtung des Herrenturniers der 500er-Serie (dritte Kategorie hinter Grand Slam und Masters, 500 Weltranglistenpunkte für den Sieger) erhielten, versprachen sie, sich für die Rückkehr eines Damenevents starkmachen zu wollen. 2002 hatte es zuletzt in Hamburg den Betty Barclay Cup gegeben, ehe die Lizenz nach Philadelphia (USA) verkauft wurde. „Wir sind sehr froh, dieses Versprechen nun halten zu können“, sagte Peter-Michael Reichel, dessen Beziehungen zur WTA eine entscheidende Rolle spielten.
Mit der Ausrichtung von Damenturnieren in Linz, Bad Gastein und Nürnberg hatten die Reichels ihre Kompetenz vor der Übernahme in Hamburg vor allem auf der WTA-Tour nachgewiesen. Als nationale Zugpferde kommen Andrea Petkovic (33/Darmstadt), Barthel, aber auch Hamburger Toptalente wie Noma Noha Akugue (17) und Eva Lys (19) infrage. Eine Verpflichtung der deutschen Topspielerin Angelique Kerber (33/Kiel) hält Peter-Michael Reichel für „sehr schwierig, sie spielt nicht gern auf Sand“.
Damen und Herren spielen parallel
Die nun erworbene Lizenz stammt vom 250er-Event „Baltic Open“ in Jürmala (Lettland), sie ist schon von diesem Jahr an gültig. Allerdings ist noch unklar, wie ein zusätzliches Damenturnier in den Kalender eingebaut werden kann. Die Präferenz der Reichels ist klar, sie wollen die Damen parallel zu den Herren (in diesem Jahr 10. bis 18. Juli) aufschlagen lassen und langfristig ein kombiniertes Event veranstalten. Allerdings steht die Herrentennisorganisation ATP zusätzlichen „Combined Events“ reserviert gegenüber, die Chance auf Zustimmung taxiert Peter-Michael Reichel auf 50:50.
Die bestmögliche Alternative wäre eine terminliche Staffelung innerhalb von 14 Tagen, wie sie bis 2002 auch praktiziert wurde. Das Problem daran: Da im Bebauungsplan Harvestehude 11 unter Paragraf 2 geregelt ist, dass die Anlage an der Hallerstraße im Jahr an maximal 22 Tagen inklusive Auf- und Abbau für Sport- und andere Großveranstaltungen genutzt werden kann, könnte ein auf zwei Wochen ausgeweitetes Tennisgeschehen mit den Plänen der Stadt kollidieren, am Rothenbaum auch weiterhin ein großes Beachvolleyballturnier auszurichten. „Wir wollen beide Sportarten am Standort fördern“, unterstrich Grote.
Termine-Kollision: Dauerhafte Lösung ab 2022 geplant
Damen- und Herrenturnier in unterschiedlichen Monaten auszutragen, ist für die Reichels nur eine theoretische Alternative. „Aufbau und Organisation zweimal im Jahr zu machen, das wäre nicht unser Wunsch“, sagte Peter-Michael Reichel. Da in diesem Jahr wegen der Pandemie die Kalender von WTA und ATP für den Sommer noch nicht feststehen und zudem wegen der Olympischen Sommerspiele in Japan (23. Juli bis 8. August) lediglich zwei Wochen zwischen dem Grand-Slam-Turnier in Wimbledon (bis 11. Juli) und Tokio liegen, deutet sich an, dass eine dauerhafte Lösung für die neue Rothenbaum-Konstellation erst 2022 möglich sein wird.
Darüber wollen alle beteiligten Partner bald das Gespräch suchen. Carsten Lütten, Präsident des Clubs an der Alster, der das Erbbaurecht auf der Anlage besitzt und Eigentümer des Stadions ist, sagte: „Wir stehen den Plänen sehr positiv gegenüber, sofern die Tennisturniere in den Sommerferien stattfinden und die Nutzung der Anlage für unsere Mitglieder nicht stärker einschränken.“ Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennis-Bundes, der ein Nutzungsrecht für das Stadion hat und die Lizenz für das Herrenturnier hält, gibt sich etwas zurückhaltender. „Natürlich ist ein zusätzliches Event wünschenswert. Aber wir müssen gemeinsam schauen, wie wir die beste Lösung für alle finden können“, sagte er. Am Sonntag sei dazu eine Videokonferenz mit den Reichels geplant.
Fakt ist, dass die deutsche Turnierlandschaft im Damentennis eine enorme Aufwertung erfährt. Im vergangenen Jahr waren zwei Rasenturniere in der Vorbereitung auf Wimbledon in Berlin und Bad Homburg dazugekommen, die coronabedingt ausfielen, für dieses Jahr aber bereits eingeplant sind – Berlin vom 14. bis 20. Juni, Bad Homburg vom 21. bis 27. Juni. Dazu kommen auf Sand der traditionsreiche Porsche Grand Prix in Stuttgart (19. bis 25. April) und, ebenfalls neu, ein 250er-Event in Köln (16. bis 22. Mai). Viele Chancen also für die deutschen Damen, um zu beweisen, dass die Zukunft doch nicht so düster ist.