Rio De Janeiro. Ex-Europameister Jürgen Spieß spricht über das systematische Doping in seiner Sportart. Er gibt sich keinen Illusionen hin.

Der deutsche Gewichtheber Almir Velagic (Speyer) sieht sich in Rio von Dopern umgeben. „Wenn man sich die Wettkämpfe hier anschaut, ist das einfach nur peinlich. Das sind junge Leute, die fangen fast mit Weltrekord an“, sagte der Superschwergewichtler. „Der Kasache, der die Gewichtsklasse bis 77 Kilo gewonnen hat (Nijat Rachimow, die Red.), war schon mal positiv, kommt zurück und macht 40 Kilo mehr. Komischerweise hat er anscheinend die zwei Jahre genutzt.“ Viele Athleten „spielen mit diesen Lasten, mit Weltrekorden. Es ist lächerlich“, sagte Velagic (34). Ähnlich sieht es Ex-Europameister Jürgen Spieß (32/Speyer), der in der Klasse bis 105 Kilo mit 390 Kilo Zehnter wurde. Mit Blick auf das Doping in seiner Sportart gibt er sich keinen Illusionen hin.

Herr Spieß, Bundestrainer Oliver Caruso hat neun Ländern vorgeworfen, den deutschen Startern mit systematischem Doping die Medaillen zu klauen. Welcher Platz wäre Ihrer Leistung denn angemessen?

Jürgen Spieß: Das ist schwer zu sagen. Wir haben ein paar schwarze Schafe, das ist bekannt. Wir wissen das ja seit Jahren. Der Iraker, der vor mir Erster in der Gruppe B geworden ist, war auch schon zwei Jahre gesperrt. Wir werden von vorne bis hinten verarscht.

Wie gehen Sie mit den Dopingfällen um?

Man hört irgendwann auf, sich aufzuregen, und schüttelt nur noch den Kopf. Das ist Machtlosigkeit. Das Traurige ist, dass man, wenn man selber mal Erfolge hat, gleich unter Generalverdacht steht. Ich hoffe, dass wir jetzt an einem Punkt angelangt sind, an dem der Weltverband seinen Kopf einschaltet. Die ganzen feinen Herren in ihren Schlipsen, die abends zum Bankett gehen und es sich gut gehen lassen, die sollen sich mal überlegen, dass wir in ein paar Jahren gar nicht mehr da sind, wenn sie ihren Scheiß weiter so machen.

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Glauben Sie, dass sich nach den Spielen in Rio etwas ändert?

Ich habe das Gefühl, dass das Thema nach Olympia wieder unter den Teppich gekehrt wird. Wir stehen als Gewichtheber ja nur alle vier Jahre im Mittelpunkt. Nach Olympia kräht kein Hahn danach. Vor Tokio können wir uns dann wieder aufregen, dass die Gewichtheber alle voll sind. Das wäre die größte Katastrophe.

Warum sind Sie trotzdem noch dabei?

Vor acht Jahren in Peking hat Almir Velagic gesagt: „Wenn ich den zehnten Platz mache, ist das meine Medaille.“ Unter den Bedingungen, die wir haben, trifft der Satz mehr denn je zu. Aber Ilja Iljin, der zweimal Olympiasieger war und jetzt gesperrt ist, war vor ein paar Tagen hier in Rio in der Halle und wurde gefeiert wie ein Popstar. Das sagt alles.

Wie gehen Sie mit den Dopern um?

Mit vielen Gegnern verstehe ich mich gut. Da sind nette Kerle dabei, das sind für mich nicht alles Arschlöcher. Die Jungs können ja nichts dafür, bei dem System, in dem sie aufwachsen. Für die ist es genauso normal, Stoff zu nehmen, wie dass ich mir morgens einen Kaffee einschenke. Der Fisch stinkt vom Kopf.

Was meinen Sie genau?

Der Trainer von Kasachstan zum Beispiel ist verantwortlich für fünf olympische Goldmedaillen, die aberkannt wurden. Und der hüpft hier wieder auf der Bühne rum. Was hat der Mann hier zu suchen? Was muss noch passieren? Die Sportler sind nur Opfer des Systems. Die, die was ändern könnten, sind immer wieder dabei. Die hocken sich hier den Arsch breit, noch die nächsten 20 Jahre, und hauen sich den Bauch voll. Wenn man anfängt, die mal abzusägen – wem tut’s denn weh?