Goldmedaillengewinner muss für sein Verhalten bei der Siegerehrung heftige Kritik einstecken - auch von einem Hamburger Leichtathleten.
Der neue Olympiasieger pfiff auf die Etikette und vor allem auf die Hymne. Als bei der Siegerehrung die deutsche Fahne für Christoph Harting hochgezogen wurde, da benahm sich der neue Olympiasieger im Diskuswerfen völlig daneben. Er verschränkte die Arme vor der Brust, pfiff vor sich hin und machte Faxen wie ein Halbstarker, der sich von Erwachsenen nichts sagen lassen will. Und dann verhielt er sich auch noch so, als sei doch alles in Ordnung.
„Ich bin ein Mensch, der Rhythmus braucht, der Rhythmus liebt, der gute Musik über alles schätzt“, sagte Christoph Harting und ergänzte: „Es ist schwer, zur Nationalhymne zu tanzen, habe ich festgestellt.“ Aussagen wie diese und sein Verhalten zuvor aber irritierten selbst Harting nahe stehende Menschen wie seinen Trainer Torsten Lönnfors: „Keine Ahnung, was das sollte, ich verstehe es nicht. Christoph muss aufpassen, dass er jetzt nicht frei dreht“, sagte er der „Bild“.
Zuvor hatte Harting Gesten und Posen sprechen lassen. Nach seinem in der Tat sensationellen Wurf zu Diskus-Gold, mit dem er sich zum Nachfolger seines Bruders Robert kürte, versuchte er mit aufreizender Lässigkeit und irritierender Überheblichkeit, das Publikum zum Jubeln zu animieren. Er deutete an, sich wie sein Bruder das Trikot zu zerreißen – und beließ es dann doch dabei, sich in die deutsche Fahne zu hüllen.
Harting gratuliert Bruder Christoph
„Hey kleiner Bruder“, schrieb Robert Harting bald danach bei Facebook, „der Generationenwechsel ist eingeleitet. Ich freue mich extrem für dich. Du hast einen klaren Harting im letzten Versuch gezeigt.“ Der „klare Harting“ im letzten Wurf war die Weltjahresbestleistung von 68,37 m, damit stellte Christoph Harting das Klassement völlig auf den Kopf. Weltmeister Piotr Malachowski aus Polen (67,55) konnte nicht mehr kontern, ihm blieb Silber.
Dass Daniel Jasinski aus Wattenscheid ebenfalls im letzten Wurf noch mal einen rausgehauen hatte und mit 67,05 m Bronze gewann, wurde durch das Verhalten von Christoph Harting ebenso überschattet wie dessen eigene grandiose Leistung. Dem ZDF verweigerte er hernach ein Interview. "Das ist“, sagte Sportchef Dieter Gruschwitz, „ein einmaliger Vorgang und besonders bedauerlich für die vielen Fans vor dem Fernseher“.
Sein unorthodoxes Verhalten während der Siegerehrung, als er Faxen wie ein Halbstarker machte, rief zudem teilweise heftige Kritik in Sozialen Medien hervor. Auch der Hamburger Weitspringer Sebastian Bayer reihte sich in die Kritik ein. "Ich würde lieber auf diese Medaille verzichten", schrieb der 30-Jährige bei Facebook.
Die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag, sagte, sie habe die Szenen nicht gesehen. Sie betonte jedoch, man dürfe erwarten, dass sich bei Olympischen Spielen „die Athletinnen und Athleten auch als Repräsentanten unseres Landes erweisen“. Der deutsche Chef de Mission Michael Vesper wollte sich auf Anfrage zunächst nicht zum irritierenden Verhalten von Christoph Harting äußern – auch er hatte die Szenen nicht gesehen.
Freitag und Vesper dürften aber wenig begeistert sein vom Auftritt des fünften deutschen Diskus-Siegers der Olympia-Geschichte, über den sein Bruder sagte: „Sportlich brauche ich somit nichts mehr beweisen, denn das kannst jetzt du. Nimm es mit und pflege diese Fähigkeiten. Den Diskus schenke ich dir. Respekt!“
Ein Selbstdarsteller, der nicht spricht
Robert Harting hatte begeistert auf der Tribüne geklatscht, als sich der kleine, in Wahrheit aber sechs Zentimeter größere Bruder unten als der große Sieger inszenierte. Die sportliche Ehre der Familie war 24 Stunden nach dem Quali-Desaster von Robert Harting wiederhergestellt, den schier unglaublichen deutschen Erfolg am frühen Morgen perfekt machte Jasinski, der sagte: „Ja Wahnsinn, ich freue mich riesig, das war der beste Wettkampf meines Lebens, auf den Punkt.“
Der Olympiasieger wollte erst nicht reden wie schon die ganze Saison. „Mahlzeit“, rief er durch die Gänge des Olympiastadions, dann war er schon wieder verschwunden. Dem ARD-Hörfunk sagte er nur: „Ich bin kein Medienmensch, ich bin keine Kunstfigur, ich bin Sportler und lasse meine Leistung sprechen.
Hertha springt Harting zur Seite
Seine Selbstinszenierung nach dem Gold passte nicht unbedingt zu dieser Aussage, aber: Die Leistung sprach Bände. Bis zum sechsten Durchgang hatte Weltmeister Malachowski geführt und Martin Kupper (Estland/66,58) auf Rang zwei gelegen. Dann aber schlugen die beiden Deutschen zu. Selbst Robert Harting war verblüfft. „Christoph hat eine Medaillenchance. Aber Gold ist eigentlich nicht drin“, hatte er vor Wettkampfbeginn dem ZDF gesagt.
So kann man sich täuschen. Am Ende holte der kleinere Harting seine erste Medaille bei einer großen Meisterschaft, aber sie schien ihm nichts wert. Nach der Siegerehrung nahm er sie sofort vom Hals, wog sie kurz in der Hand und wirbelte sie am Band durch die Luft – dauergrinsend.
Und am Sonntag erhielt Christoph Harting dann auch erstmals Rückendeckung in größerem Stil. Denn Fußball-Bundesligist Hertha BSC aus Christoph Hartings Heimatstadt Berlin nahm den peinlichen Auftritt mit Humor und der Eigenart der Hauptstädter. „Lebt eben in Berlin, der gute Christoph Harting“, twitterte die Hertha am Sonntag: „So kennen wir uns, wir sind halt bisweilen eigen. Aber am Ende immer herzlich.“