31 Hochhäuser, mehr als 3500 Apartments und knapp 18.000 Bewohner: ein Besuch in den olympischen Apartments von Rio de Janeiro.
Das olympische Dorf zeigt seine Größe nicht sofort. Es öffnet sich dem Besucher Schritt für Schritt, Zaun um Zaun. Unübersehbar ist es aber schon von Weitem.
Die Siedlung aus 31 Hochhäusern mit jeweils 17 Etagen und mehr als 3500 Apartments im Stadtteil Barra im bürgerlichen Süden von Rio de Janeiro überragt die grüne Kulisse des städtischen Hinterlandes mühelos. Banner an den Balkonen künden vom Innenleben der Gebäude. Schwarz-Rot-Gold wohnt oben, darunter passenderweise die gleichfarbigen Belgier. Links davon leuchtet das gelbgrüne Australia, auf der anderen Seite das rot-weiß-gestreifte Polen. Es sind die ersten olympischen Vergleiche in Sachen Eigenwerbung. Und auch: kleine Muskelspiele. Die größte Fassaden-Flagge hängt über drei Etagen und verdunkelt mindestens neun Apartments. Sie ist weiß-blau-rot: Russland. Ein unüberhörbarer optischer Schrei: Welt, seht her, wir sind da.
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Das deutsche Haus, ein paar Blöcke weiter, ist inzwischen zu zwei Dritteln gefüllt. Seine maximale Auslastung erreicht es am 14. August, wenn auch die Leichtathleten angereist sind. Dann zählt es exakt 551 Bewohner. Dirk Schimmelpfennig, als Vorstand Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) eine Art Hausherr, spricht vom Spartanischen und Funktionalen der Quartiere, aber auch von den „durchaus positiven“ Reaktionen, die er von den Athleten erhalten habe.
Als am 18. Juli die Vorhut des DOSB im Haus Einzug hielt und Probleme bei der Wasserversorgung auftraten, suchten und fanden sie die deutscheste aller Lösungen – sie haben die Handwerker gleich selbst mitgebracht.
Zwei Betten, zwei Nachttische, ein Plastikkleiderschrank, Klimaanlage – das etwa ist das Standardmobiliar der in nüchternes Weiß getauchten Athletenzimmer. Die Leipziger Kanuten Jan Benzien und Hannes Aigner lenken sich, so oft es geht, mit einem 1500-Teile-Puzzle des berühmten Rio-Panoramas ab. Ein Geduldstück, passend zur Unterkunft. Manches ist fertig, das Ganze durchaus erkennbar, doch irgendwo fehlt immer noch etwas.
Thüringens Bahnrad-Goldhoffnung Kristina Vogel, deren Mitbewohnerin im engen Apartment 803 wie immer Teamsprint-Kollegin Miriam Welte ist, nimmt die Umstände gelassen. „Klar, wir sind europäische Standards gewohnt“, sagt sie und schiebt ihr Rennrad durch die Tür, „aber abgesehen von den Duschen, die am Anfang nicht richtig funktionierten, ist es okay. Tag für Tag kommt das olympische Gefühl etwas mehr.“
Auch bei Trixi Worrack, der Cottbusserin, die jetzt in Erfurt lebt, steigt das Lampenfieber. Die 34-Jährige startet in Rio bei ihren vierten Olympischen Spielen, im Straßenrennen der Frauen am Sonntag möglicherweise sogar als Kapitänin. Nach dem gestrigen Training („Ideales Wetter!“) kam sie gleich mit einem doppelten Sixpack Wasser auf den Schultern aus der Mensa marschiert. Nachschub fürs Zimmer.
Die Küche ist derweil auf alle Geschmäcker eingestellt: von italienisch bis chinesisch, von Gegrilltem bis zum Vegetarischen, von vegan bis koscher. „Der ganze Globus wird kulinarisch abgedeckt“, sagt Michael Schirp, Presseattaché des deutschen Teams. Zubereitet werden die Portionen von einem amerikanischen Caterer. Ein Unternehmen mit internationalem Milliardenumsatz, das seit Jahren regelmäßig die Ausschreibungen der olympischen Verpflegung gewinnt.
Der Weg, den wir von draußen hierher genommen haben, führt durch zwei Sicherheitsschleusen. Flughafenroutine. Mensch und Material werden durchleuchtet. Manchmal piept es. Ach ja, der Gürtel.
Hinter der ersten Schleuse befindet sich die sogenannte internationale Zone. Ein großes Karree mit einem gleichermaßen sündhaft grünen wie dichten Rasenteppich, einer Sandecke mit Beachvolleyballfeld und ziemlich stylischen Sitzecken.
Hier hocken Syrer neben Israelis, plaudern Chinesen mit Argentiniern, lachen Türken mit Kanadiern. Umrahmt von Pavillons, die alles Nötige zur täglichen Ablenkung bieten: Beautysalon, Postamt, Telefonladen, dazu der Olympic Store mit den Souvenirs im Zeichen der Ringe und den vom Kommerz der Spiele diktierten Preisen. Die längste Schlange wartet ausgerechnet an einer Filiale des unvermeidlichsten aller amerikanischen Schnellrestaurants. Olympia hin, Wettkampf her, Platz für einen Burger ist immer.
Plötzlich ein blondes Lächeln. Britta Heidemann posiert mit einer Trainingsgruppe aus Antigua für Fotos. Die Fecht-Olympiasiegerin von 2008, die die Qualifikation für Rio verpasst hatte, ist in eigener Mission unterwegs. „Ich mache ein bisschen Wahlkampf“, sagt die 33 Jahre alte Kölnerin, die für die Athletenkommission des IOC kandidiert. Sehen und gesehen werden. Das ist im Sport nicht anders als in der Politik. „So“, sagt sie, „jetzt will ich noch mal meine koreanische Mitbewerberin treffen“ – und bleibt doch fünf Meter weiter bei grün-weißen Trainingsanzügen stehen. Das nächste Hallo, das nächste Foto. Diesmal mit einem Quintett aus dem Niger.
Hochbetrieb herrscht auch hinter dem zweiten Zaun und der zweiten Sicherheitsschleuse. Zwischen den Wohngebäuden, deren großzügige Lage von einer Ringstraße samt eigener Buslinie umfasst wird, herrscht eine Art Feierabendverkehr: Busse, Transporter, dazu Biker und Jogger auf einem eigenen, signalroten Radweg. In Abständen stehen Polizisten, grimmig und schwer bewaffnet. Wer nicht draußen unterwegs ist, strampelt im hoffnungslos überfüllten Fitnesscenter auf einem der unzähligen Laufbänder oder stemmt Hanteln. Eine olympische Massenbewegung.
17.700 Athleten, Trainer, Betreuer und Funktionäre werden in den Spitzenzeiten im rund 1,2 Milliarden Euro teuren Olympischen Dorf von Rio leben. Eine Kleinstadt und, je nach Blickwinkel auf die gelungenen Wasserspiele und Grünanlagen zwischen den Häusern, fast ein Luxus-Wohnpark. Ein Idyll von außen, doch leider mit unübersehbaren Lücken und Macken im inneren Detail. An manchen Stellen mehr Schein als Sein.
Ein Dorf, das zu Olympia und seiner Idee passt.