Britta Heidemann krönt ihre Karriere mit dem Olympiasieg - Rivalin Duplitzer half mit.
Peking. Am Ende eines langen Tages, es war in Peking kurz vor Mitternacht, konnte Britta Heidemann die vielen Gedanken, die in ihrem Kopf herumschwirrten, dann doch nicht mehr ordnen. "Sorry", antwortete sie einem chinesischen Journalisten, der sie um ein letztes Statement in der Landessprache gebeten hatte, "sorry, ich kriege jetzt keinen klaren Satz mehr raus."
Britta Heidemann, muss man dazu wissen, spricht fließend Mandarin, und wäre sie nicht gerade Olympiasiegerin im Degenfechten geworden, als erste deutsche Fechterin überhaupt, sie hätte sich den Reportern stundenlang druckreif auf Chinesisch mitteilen können. So sagte sie erst auf Deutsch, später auf Englisch, was wohl alle Olympiasieger im Augenblick danach sagen: "Ein Traum ist wahr geworden. Ich habe jetzt in meiner Karriere alles erreicht."
Im vergangenen Jahr war die Leverkusenerin in St. Petersburg Weltmeisterin geworden, diesmal besiegte sie im Finale die Rumänin Ana Branza mit 15:11 Treffern. Das Gefecht hatte die 25-Jährige von Beginn an überlegen geführt, war schnell 4:0 in Führung gegangen. Im weiteren Verlauf behielt sie auf der Planche alles unter Kontrolle, und als sie den letzten Treffer gesetzt hatte, riss sie sich die Maske vom Kopf, stieß einen markerschütternd spitzen Schrei aus, fiel ihrem Trainer Manfred Kaspar und ihrem Bruder Gerrit in die Arme.
Auf der Treppe der Tribüne in der olympischen Fechthalle saß Imke Duplitzer, ihre Mannschaftskameradin und Rivalin, mit der sie sich in den vergangenen Monaten des Öfteren um die Deutungshoheit über China duelliert hatte. Duplitzer, offen, ehrlich und geradeaus, keine Freundin des Establishments und des Funktionärswesens, hatte die Eröffnungsfeier am vergangenen Freitag in Peking aus Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen in China boykottiert und auf ihrem Zimmer im olympischen Dorf ein Buch gelesen. Nur das Feuerwerk habe sie ein wenig in ihrer Konzentration gestört, sagte sie. "Ich habe nichts gegen die 1,3 Milliarden Chinesen, bloß gegen jene eine Million, die von diesem System profitiert."
Heidemann wiederum hat chinesische Regionalwissenschaften an der Universität Köln studiert, das Land mehr als 20-mal bereist und viele Freunde hier gefunden. Die mediale Darstellung Chinas in Deutschland tadelt sie als einseitig, es würden vorrangig die Probleme gesehen, zu selten die spürbaren Fortschritte, die in den vergangenen 30 Jahren erzielt wurden. Sie will ausgleichen, vermitteln, Vorurteile abbauen helfen.
Die Gegensätze könnten nicht größer sein. Hier Heidemann, das blonde Cover-Girl, das sich einst im "Playboy" auszog; dort die acht Jahre ältere brünette Duplitzer, die sich öffentlich zu ihrer Homosexualität bekannte. Und dann war die ehrgeizige Bonnerin auch noch im Viertelfinale ausgeschieden, an einem verlorenen Tag, wie sie am Abend sagte, "an dem ich schon beim Aufstehen wusste, das nichts passte. Da bricht schon eine Welt zusammen, wenn man wieder nur Fünfte wird."
Aber Duplitzer ist eine große Sportlerin, die das Fairplay hochhält, den Teamgeist, die sich im Halbfinale und im Finale in den Dienst der Rivalin stellte. Immer wieder rief sie Heidemann die zu fechtende Zeit zu, half ihr bei der Orientierung, wenn sie sich gefährlich nah auf das Ende der Bahn zubewegte. "Macht ihr Trainer das, erhält er erst eine gelbe, dann eine rote Karte und Britta in diesem Moment einen Straftreffer. Deshalb habe ich diesen Job übernommen", sagte Duplitzer. Als Heidemann Gold gewonnen hatte, applaudierte sie, den Weg nach unten, zur Siegerin, versperrten ihr Ordner. Die aufrichtigen Glückwünsche holte sie in der Nacht im "Deutschen Haus" nach, dem Treffpunkt für Gäste aus Sport, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Hotel Kempinski.
Dort bereitete auch Heidemann ihr Gefühlsleben noch einmal auf. "In den Tagen vor dem Wettkampf habe ich alle Stimmungslagen durchlebt. Einen Tag war ich hektisch, den anderen panisch, den nächsten weinerlich, am Vortag locker und bei der Fahrt in die Halle ziemlich angespannt." Die Kämpfe hätten ihr ganz schön zugesetzt, obwohl sie alle - bis auf das Halbfinale gegen ihre chinesische Freundin Li Na - deutlich gewann. Spät in der Nacht waren sich Heidemann und Duplitzer endlich einig. Was sie als nächstes machten, wurden sie gefragt. "Urlaub!" sagten beide. Danach will Heidemann nach China zurückkehren und dort arbeiten. Und Duplitzer wird darüber nachdenken, ob sie ihre Karriere fortsetzt. Es könnte sich lohnen. Für das Team Heidemann/Duplitzer gäbe es in den nächsten Jahren noch viel zu gewinnen.