Grassau. Der neue Verteidiger des HSV spricht über seine verspätete Entwicklung, den Stil von Trainer Tim Walter und den EM-Trend Dreierkette.
Das „Moin“ hat Sebastian Schonlau (26) bereits verinnerlicht. In bestem Norddeutsch begrüßt der Neuzugang des HSV das Abendblatt, als er zum Interviewtermin erscheint. Der als Defensivstütze eingeplante Profi, der sich ein Zimmer mit Neuzugang Jonas Meffert teilt, hinterlässt in der Lobby des Hotels „Das Achental“ einen souveränen Eindruck. Nur als sich Toni Leistner für einen Moment zum Gespräch dazusetzt und für einen Lacher sorgt, kommt Schonlau kurzzeitig aus der Ruhe. Die Fragen wollte Leistner dann aber doch lieber dem Abendblatt überlassen.
Hamburger Abendblatt: Wie haben Sie die ersten Tage in Grassau erlebt?
Sebastian Schonlau: Die Rahmenbedingungen hier sind wirklich gut. Die Plätze sind von einer hohen Qualität, das Essen schmeckt, und das Hotel ist auch eine sehr gute Wahl.
Sie haben bei Ihrer Vorstellung gesagt, dass Sie sich darauf freuen, nach einem schlechten Spiel bei einem großen Verein beleidigt zu werden. Wie genau meinten Sie das?
Schonlau: Es ist nicht so, dass ich auf Beleidigungen stehe (lacht). Kritik gehört aber aus meiner Sicht dazu. Ich freue mich einfach, dass die Aufmerksamkeit und das Interesse am HSV groß sind. Es wäre doch gewissermaßen auch enttäuschend, wenn wir uns abrackern und es niemanden interessieren würde.
Grassau hätte bereits Ihre zweite Sommervorbereitung mit dem HSV sein können.
Schonlau: Vor einem Jahr kam es leider aus verschiedenen Gründen nicht zum Wechsel. Natürlich hätte ich gerne bereits seit einem Jahr für den HSV gespielt.
Welche Ziele haben Sie mit dem HSV?
Schonlau: Maximalen Erfolg, das ist völlig logisch. Wir wollen unsere Rolle in der Liga annehmen und ihr gerecht werden. Wir wollen in jedem Spiel alles geben und natürlich gewinnen.
Das würde den Aufstieg bedeuten.
Schonlau: Das stimmt (lacht).
Der HSV gibt seit einem Jahr das Ziel Entwicklung aus. Kann man sich mit 26 Jahren noch entwickeln?
Schonlau: Definitiv. Natürlich bin ich keine 22 Jahre mehr alt, aber ich habe mich schon immer später entwickelt als andere. Ich bin ein Spätzünder. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass ich noch einige Jahre als Profi vor mir habe, in denen ich mich auch entwickeln will und muss.
Wo liegt Ihr größtes Entwicklungspotenzial?
Schonlau: Im athletischen Bereich kann ich noch zulegen. Es geht für mich aber auch darum, weiter in die Rolle eines Führungsspielers hineinzuwachsen. In Paderborn war ich eine Saison lang der Kapitän. Es war wirklich schön, Verantwortung zu tragen. Das ist das, was ich will und auch brauche.
Können Sie sich vorstellen, der Kapitän beim HSV zu werden?
Schonlau: Mit Tim Leibold haben wir aktuell einen Kapitän, der diese Rolle sehr gut ausfüllt. Ich will auf jeden Fall Verantwortung übernehmen, dafür brauche ich nicht zwingend die Binde.
Sie sind vom HSV wegen Ihrer Spieleröffnung geholt worden. Woher stammt Ihr für einen Verteidiger auffällig gutes Passspiel?
Schonlau: Ich habe in den ersten Jahren meiner Karriere im defensiven Mittelfeld gespielt. Als Jugendspieler bin ich später gewachsen als alle anderen in meinem Alter. Dadurch war ich gezwungen, spielerische Lösungen zu finden. Dieser Lerneffekt kam meiner heutigen Spielweise zugute.
Gegen Innsbruck (1:0) war zu sehen, welchen Fußball der HSV unter Tim Walter spielen will. Es verfestigt sich der Eindruck: Diese Spielweise wird Ihnen liegen?
Schonlau: Auf jeden Fall. Natürlich muss auch ich in diese Aufgabe hineinwachsen, das geht nicht von heute auf morgen. Mir gefällt die Spielidee von Tim Walter, weil er immer den Ball haben will. Als Innenverteidiger ist man deutlich mehr im Spiel als in anderen Mannschaftsteilen. Und was gibt es Schöneres im Fußball, als häufig den Ball zu haben?
Sie sind ein riskantes Aufbauspiel bereits aus Paderborn gewohnt. Wie bekommt man einen solchen offensiven Spielstil in Einklang mit defensiver Stabilität?
Schonlau: Wenn alle Spieler wissen, was sie tun sollen, dann ist das Risiko eines solchen Spielaufbaus deutlich minimiert. Für uns ist es wichtig, dass wir mutig sind und auch am eigenen Strafraum spielerische Lösungen suchen.
Wie lange dauert dieser Prozess, bis alle die neue Spielweise verinnerlicht haben?
Schonlau: Man kann dafür keine genaue Zeitspanne nennen. Manche Spieler trauen sich von Anfang an mehr zu, andere brauchen dafür länger. Wichtig ist, dass alle versuchen, mutig zu spielen.
Weder ihr bisheriger Trainer in Paderborn, Steffen Baumgart, noch Ihr neuer Trainer Tim Walter gelten als Fan einer Dreierkette, die bei der EM bei elf von 16 Achtelfinalisten vorzugsweise praktiziert wurde. Wie stehen Sie zu dieser taktischen Variante?
Schonlau: Prinzipiell bin ich offen für eine Dreierkette. Unter Steffen Baumgart bin ich allerdings in die Viererkette hineingewachsen und kenne die Abläufe genauer. Beide Spielsysteme bringen ihre Vorteile mit sich. Am Ende entscheidet darüber natürlich der Trainer – ich spiele beides.
Die Dreierkette gilt als Fundament für den eigenen Ballbesitz. Sie bietet auch eine zusätzliche Rückspieloption, die Walter immer fordert. Das könnte doch zu Ihnen und Walters Philosophie passen, oder?
Schonlau: Wenn man das so hört, dann trifft diese These sicherlich zu. Unser Spiel beim HSV ist aber nicht so statisch, wie es ein reines 4-4-2 vermuten lässt. Wir wollen alle permanent in Bewegung bleiben. Dadurch sieht es manchmal nach einer Dreierkette im Spielaufbau aus.
Eine Dreierkette gilt auch als die bessere Absicherung bei Kontern – also genau die gegen Innsbruck erkennbare Schwäche.
Schonlau: Egal ob man mit einer Dreier- oder Viererkette spielt: Wichtig ist, kompakt zu stehen. Das heißt auch, dass alle ins Gegenpressing übergehen müssen, sobald wir den Ball verlieren. Bei uns hat sich der Spruch etabliert, lieber fünf Meter zu sprinten als 40 Meter hinterherzulaufen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir auch eine gute Konterabsicherung.
Weltfußballer Robert Lewandowski ist bei der EM trotz einer Dreierkette früh ausgeschieden. Sie haben sowohl gegen ihn als auch seinen potenziellen Nachfolger Erling Haaland gespielt: War einer der beiden der härteste Gegenspieler in Ihrer Karriere?
Schonlau: Wenn ich mich entscheiden muss, dann ist es Lewandowski. Er ist einfach phänomenal.
Also fällt die Wahl nicht auf Simon Terodde, der doppelt für den HSV gegen Sie im Paderborner Trikot getroffen hat?
Schonlau: Ich hätte ihn sicherlich auch nennen können (lacht). Für meinen Geschmack hat er in diesem Spiel zu häufig geknipst.
Diesmal treffen Sie bereits zum Saisonauftakt auf Terodde. Können Sie seinen erfolgreichen Einstand für Schalke verhindern?
Schonlau: Das will ich hoffen. In diesem Spiel geht es aber nicht nur um mich und Simon Terodde. Natürlich ist es unser Ziel, ihm den Ligastart auf Schalke zu vermasseln.
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