Hamburg. Nach vier erfolgreichen Highlight-Spielen ist Sandhausen der Anfang einer Serie von Duellen gegen kleine Clubs. Hat der HSV dazugelernt?

Als sich die Hamburgerin Stephanie Franke im Dezember 2019 mit ihrem Wohnmobil in Richtung Sandhausen aufmachte, ahnte sie noch nicht, dass sie diese Reise niemals vergessen wird. Eigentlich wollte die glühende HSV-Anhängerin nur ein Autogramm von Ex-HSV-Profi Dennis Diekmeier ergattern. Doch die Unterschrift des inzwischen 32 Jahre alten Rechtsverteidigers des SV Sandhausen geriet schnell zur Nebensache. Denn einen Tag vor dem damaligen Duell der beiden Clubs (1:1) schipperten knapp 200 Menschen beider Fanlager über den Neckar – und Stephanie lernte mit Sandhausen-Fotograf Uwe Schmidt die Liebe ihres Lebens kennen.

Seit zwei Jahren leben die beiden mittlerweile in Sandhausen. Ihre Verbindung ist so stark, dass der 59-Jährige inzwischen sogar die Farben gewechselt hat. Bis zu jener Bootstour war Schmidt Sandhäuser durch und durch, doch am heutigen Sonnabend (13.30 Uhr/Sky und im Liveticker auf abendblatt.de) wird der Kurpfälzer im Stadion am Hardtwald dem HSV die Daumen drücken. „Stephanie hat meinetwegen ihre Heimat verlassen. Da ist es für mich selbstverständlich, dass wir uns jetzt auch die Liebe zu einem Verein teilen“, sagt Schmidt der „Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg“ über seine Liebesgeschichte, die fast zu kitschig klingt, um wahr zu sein.

Fanfreundschaft zwischen HSV und Sandhausen

Das Schicksal der beiden Fans ist der bisherige Höhepunkt einer kleinen Fanfreundschaft, die über die vier Zweitligajahre des HSV entstanden ist. Alles begann vor dem ersten Aufeinandertreffen im August 2018, als der SV Sandhausen 50 Plakate rund um den Hamburger Hauptbahnhof aufhängte – mit einer Wegbeschreibung, wie es in die Kurpfalz geht. Sogar die ARD-„Tagesschau“ berichtete über die humorvolle Aktion, auf die ein 3:0-Sieg der Hamburger folgte. Vor dem Rückspiel fünf Monate später lud der HSV Supporters Club die Sandhäuser Anhänger zu einer Hafenrundfahrt ein, ehe sich weitere elf Monate später Stephanie Franke und Uwe Schmidt auf dem Neckar begegneten.

An diesem Sonnabend sind dagegen keine Gastgeschenke geplant, auch wenn die Favoritenrolle klar sein sollte, wenn der Tabellendritte beim abstiegsbedrohten 15. antritt. Doch zieht man nur die jüngsten drei Spieltage in Betracht, ist es sogar das Topspiel 1. gegen 4. Während der HSV mit dem Selbstbewusstsein aus drei Siegen in Serie (9:1 Tore) anreist, befreite sich der im Winter fast runderneuerte SV Sandhausen in diesem Zeitraum mit sieben Punkten aus der Abstiegszone (4:0 Tore).

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Tim Walter kommt die aktuelle Form des Gegners ganz gelegen. Er kann sie für seinen psychologischen Einfluss auf die Mannschaft und das direkte Umfeld des HSV nutzen, um vor Sandhausen zu warnen. Man nehme den SVS ernst, werde ihn beileibe nicht unterschätzen, gehe die Partie wie jede andere an und werde natürlich eine gehörige Portion Mut und Bereitschaft an den Tag legen. Viel investieren werde sein Team natürlich auch. Es sind Sätze, die ein Trainer, und vor allem Walter, eben so sagt, wenn man hoch favorisiert bei einem Abstiegskandidaten antritt. Das Duell ist der Anfang einer ganzen Serie ähnlicher Spiele.

Als Sandhausen dem HSV den Aufstieg kostete

Nach den Highlight-Spielen im Pokal-Achtelfinale beim Bundesligisten 1. FC Köln (5:4 n.E.), dem Derbysieg gegen St. Pauli (2:1), dem dominanten 5:0 beim damaligen Tabellenführer Darmstadt 98 und dem 2:0-Erfolg gegen Aufstiegsrivale Heidenheim, stehen in den kommenden Wochen mit Ausnahme des Nordderbys gegen Werder Bremen (27. Februar) reihenweise „Schwarzbrotspiele“ an. Spiele, mit denen der HSV in den zurückliegenden drei Zweitligaspielzeiten stets seine Probleme hatte.

So wie vor einem Jahr beim Gastspiel in Sandhausen. Es war der 29. Spieltag, als der von Daniel Thioune trainierte HSV als Tabellenzweiter anreiste und sein wahrscheinlich schlechtestes Saisonspiel zeigte. Sandhausen, damals Tabellenvorletzter und seit zwei Tagen aus der Quarantäne, schoss 17-mal aufs Tor, gewann 56 Prozent der Zweikämpfe und spielte genau so, wie es dem HSV überhaupt nicht liegt: eklig und mit vielen langen Bällen. Am Ende siegten die Gastgeber hochverdient mit 2:1. „In keiner Phase der Partie war zu sehen, wer an diesem denkwürdigen Abend gegen den Abstieg spielte und wer am Ende der Saison aufstiegen will“, kommentierte das Abendblatt die Vorstellung der Hanseaten und sprach von einer „Lehrstunde“.

Sandhausens Dennis Diekmeier (l.) im Duell mit Manuel Wintzheimer, der vor einem Jahr das einzige HSV-Tor schoss.
Sandhausens Dennis Diekmeier (l.) im Duell mit Manuel Wintzheimer, der vor einem Jahr das einzige HSV-Tor schoss. © imago/Jan Huebner | Unbekannt

Diese war auch Jonas Boldt nicht entgangen. Der Sportvorstand war reichlich bedient ob der Leistung, die er am Hardtwald zu sehen bekam. Die schon zuvor reifenden Aufstiegszweifel nach den Spielen in Hannover (3:3) und gegen Darmstadt (1:2) erreichten nun ihren Höhepunkt. Trainer Thioune stand unmittelbar nach der Partie in Sandhausen kurz vor seiner Entlassung. Boldt rückte letztlich nur davon ab, weil der HSV inmitten einer englischen Woche schon drei Tage später in Regensburg (1:1) und vier weitere Tage danach gegen Karlsruhe (1:1) spielte. Es waren zwei weitere „Schwarzbrotspiele“, die der HSV erneut nicht gewann, und die Thioune den Job sowie den HSV den Aufstieg kosteten. So wie schon die beiden Jahren zuvor.

HSV kämpft gegen Sandhausen-Syndrom

Damit der HSV in dieser Saison nicht sein nächstes Déjà-vu erlebt, haben Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel den Kader im Sommer erneut stark verändert. Mit dem Ziel, die Mannschaft entwicklungsfähiger aufzustellen, wurde sich von den sogenannten Säulenspielern verabschiedet und jüngere sowie hungrigere Achsenspieler verpflichtet.

Ob die Hamburger diesmal ihre größte Schwäche abstellen können und der Plan der Verantwortlichen aufgeht, wird sich bereits an diesem Sonnabend zeigen. „Es ist extrem schwer, dort zu spielen. Die Stimmung ist hitzig, und es wird viele Zweikämpfe geben. Doch dafür sind wir bereit“, glaubt Walter.

Uwe Schmidt und Stephanie Franke werden genau hinsehen – und gemeinsam mit Walters HSV mitfiebern.