Hamburg. Nach dem Ärger um einen AfD-Antrag sollen sich die Vereinsmitglieder nun offiziell gegen Diskriminierung aussprechen.

Auf der Mitgliederversammlung des HSV am 19. Januar stehen viele mehr oder weniger wichtige Dinge auf der Tagesordnung: Ein neuer Präsident soll gewählt werden, ein neuer Beirat und ein neuer Ehrenrat. Es geht mal wieder um das Thema Fernwahl und um die Begrenzung des weiteren Verkaufs von Anteilen. Doch für Peter Gottschalk ist vor allem ein Antrag entscheidend: Antrag Nummer acht, vier Unterpunkte, eine zentrale Botschaft: keine Toleranz für Intoleranz.

Ex-HSV-Seniorenrat Peter Gottschalk
Ex-HSV-Seniorenrat Peter Gottschalk © HA / Mark Sandten | HA

Donnerstagmorgen, 10.30 Uhr. Gottschalk (Foto) sitzt im Café Le Crobag in der Innenstadt und blättert in einem Aktenordner, den er zum Gespräch mitgebracht hat. „Wer auch immer gesagt hat, dass der Fußball unpolitisch sein muss, der irrt. Der Fußball ist hochpolitisch – und das soll er auch sein“, sagt der 77-Jährige, der vor allem einen Wunsch hat: Auch der HSV, sein HSV, soll sich trauen, politischer zu werden.

Gottschalks erster Antrag scheiterte

Den gleichen Wunsch hatte Gottschalk bereits vor einem Jahr. Auf der vergangenen Mitgliederversammlung wollte er einen Antrag einbringen, nach dem Mitglieder der rechtspopulistischen AfD beim HSV ausgeschlossen werden sollten. Doch gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht. Gottschalks Vorhaben ging nach hinten los. Eine Partei, die immer wieder durch Ausgrenzung auffällt, auszugrenzen, war die falsche Antwort. Gottschalk zog den Antrag nach heftigen Protesten zurück – um ihn mit allen relevanten Gremien im Verein gemeinsam zu überarbeiten und ihn ein Jahr später auf ein breiteres Fundament zu stellen.

„Zur AfD sage ich gar nichts mehr“, sagt er heute. Nachdem er seinen Ursprungsantrag zurückgezogen hatte, wollte er diesmal keinen Fehler machen. Anfang November traf er sich mit Vizepräsident Moritz Schaefer, Supporterschef Tim-Oliver Horn und drei Vertretern des politisch aktiven HSV-Fanzusammenschlusses „Netzwerk Erinnerungsarbeit“ im Fanhaus in der Stresemannstraße. Gemeinsam wurde mehr als eine Stunde über einen neuen Antrag debattiert, der drei Wochen später zu Papier gebracht wurde.

Borussia Dortmund lieferte das Vorbild

Dabei orientierten sich die Antragsteller auch an der Satzung von Borussia Dortmund, deren Text als Vorlage diente. Im neuen HSV-Entwurf heißt es nun: „Der Verein tritt rassistischen, verfassungs- und fremdenfeindlichen Bestrebungen sowie diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen, insbesondere aufgrund der Nationalität, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, des Geschlechts, des Alters, der sexuellen Identität oder einer Behinderung, aktiv entgegen.“ Was nach einer Selbst­verständlichkeit klingt, ist es in den heutigen Trump-Pegida-Bolsonaro-Zeiten schon lange nicht mehr.

Gottschalk bestellt einen Milchkaffee – und berichtet darüber, was ihm nach der letzten Mitgliederversammlung widerfuhr. Bei Facebook wurde der Wedeler übelst beschimpft: „Kopf ab“, „zurück ins KZ“ oder „zurück in die Grube“ musste Gottschalk über sich lesen. Der frühere Werber schüttelt sich. Sein Vater, ein überzeugter SPDler, sei in der Nazizeit als politischer Häftling im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert gewesen. Seine Mutter, eine von den Nazis so genannte Halbjüdin, versteckte sich in der bayerischen Provinz. „Ich will nicht, dass in meinem Hamburger Sport Verein Platz für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und ganz generell Diskriminierung ist“, sagt Gottschalk, dem wichtig war, dass im überarbeiteten Satzungstext nicht mehr verankert ist, dass der HSV nicht politisch sein dürfe. In der abgestimmten Version heißt es nun, dass der Verein keine parteipolitischen Ziele verfolgen dürfe.

Ausschlussverfahren soll vereinfacht werden

„Unsere Mitglieder erhalten so mit Abschluss ihrer Mitgliedschaft eine klare Orientierung, wofür der HSV steht, und bekennen sich in ihrem Handeln ebenfalls dazu“, sagt HSV-Vizepräsident Moritz Schaefer, der in dem neuen Satzungsentwurf noch einen weiteren Vorteil erkennt: Mitglieder, die sich offen rassistisch, fremdenfeindlich oder generell diskriminierend verhalten, könnten zukünftig besser sanktioniert und sogar ausgeschlossen werden.

Gesteigerten Gesprächsbedarf sahen die HSV-Verantwortlichen auch durch den Fall des mutmaßlichen Neonazis Sören S., über den das Abendblatt ausführlich vor dreieinhalb Monaten berichtete. Der Pinneberger, dem von mehreren Seiten rechtsradikales Gedankengut bescheinigt wurde, war im Oktober von den Fanbeauftragten zu einem Gespräch bestellt worden, in dem er nur mehr oder weniger die Vorwürfe ausräumen konnte. Eine echte Handhabe für einen Vereinsausschluss gab es trotz allgemeiner Zweifel an Sören S.s Bekenntnis zu den demokratischen Grundwerten nicht. „Ich muss gestehen, dass es bisweilen auch frus­trierend ist, dass man gegen offensichtlich rechte Fans nicht noch klarer und noch schneller vorgehen kann“, sagte seinerzeit HSV-Chef Bernd Hoffmann.

Der Antrag braucht 75 Prozent Zustimmung

14 Wochen später ist Sören S. immer noch HSV-Mitglied. Innerhalb der Ultraszene wurde dem Rechten bei Heimspielen zwar recht deutlich gemacht, dass er im Volkspark kein gern gesehener Gast mehr sei. Offiziell sind dem Verein aber weiterhin die Hände gebunden. Auch deswegen sagt Schaefer im Hinblick auf den Antrag, der am 19. Januar eine Zustimmung von 75 Prozent braucht, dass es wichtig sei, die bereits verankerten Werte und Normen aus dem Leitbild auch konkret in die Satzung mitaufzunehmen. Der Prozess von Ausschlussverfahren habe dadurch eine klarer definierte Grundlage.

Nach einer Stunde und zwei Milchkaffees klappt Gottschalk im Le Crobag seinen Aktenordner zu. „Mir ist dieser Antrag sehr wichtig“, sagt der frühere Leichtathlet und Marathonläufer. „Und ich habe einen langen Atem.“