Hamburg. Stadtrivalen bemühen sich so professionell wie kaum ein anderer Club um die Fans von morgen. Doch es gibt namhafte Konkurrenz.
Das Cinemaxx am Dammtor. Eigentlich ein Kino, aber an diesem Adventssonntag das wohl größte Piratenschiff der westlichen Hemisphäre. Mehr als 400 Minifreibeuter laufen mit aufgemalter Augenklappe und bunten Luftballon-Schwertern durch das Foyer, in dem auch ein paar erwachsene Piraten ihr Unwesen treiben. Es gibt Captain Schwarzbart, einen braun-weißen Seemann auf Stelzen und eine Piratenbraut mit Gesichtsfarbe. Vor dem Eingang steht eine Pappkanone. Zwei zerfetzte Totenkopfflaggen flattern im Wind. Willkommen zur etwas anderen Weihnachtsfeier der Rabauken, dem etwas anderen Kidsclub des FC St. Pauli.
Doch was St. Pauli kann, kann der HSV auch. Hier wurde wenige Tage zuvor zur vorweihnachtlichen XXL-Autogrammstunde in den Volkspark gebeten. Und obwohl nicht ein einziger Pirat zu sehen war, enterten 1400 Kinder den VIP-Bereich auf der Osttribüne, wo alle Profis einen Nachmittag lang Unterschriften satt boten. Ein Dreikäsehoch fragte Pierre-Michel Lasogga, ob er dessen Telefonnummer haben dürfte (nein). Ein anderer wollte von Fiete Arp wissen, ob er im kommenden Sommer doch noch zu den Bayern wechsle (auch nein). Und ein Dritter fragte Bakery Jatta, ob auch er das Computerspiel „Fortnite“ spiele (und noch einmal nein).
35 von 36 Proficlubs führen eigenen Kidsclub
Das dreifache Nein ist an diesem Nachmittag die Ausnahme. Grundsätzlich sagt man beim HSV deutlich Ja zu den Nachwuchsfans. Genauso wie beim FC St. Pauli. Und auch im Rest von Fußball-Deutschland. Von 36 Erst- und Zweitligisten haben 35 Clubs einen eigenen Kidsclub (nur Union Berlin hat keinen). Immer mehr Vereine unterhalten eigene Fußballschulen. Es gibt Schulkooperationen und umfangreiche Ferienangebote. Der Grund für all den Aufwand ist keine höhere Mathematik: Die Clubs kämpfen um die Gunst der Fans und Kunden von morgen. Und kaum einer in Deutschland macht das so professionell wie die beiden Hamburger Clubs.
„Jeder kleine HSV-Fan ist wichtig für unsere Zukunft“, sagt Simon Köster, der Leiter der HSV-Fußballschule. Der 41 Jahre alte Familienvater ist so eine Art Lionel Messi des Kindermarketings. Vor 15 Jahren hat er die erste Fußballschule Deutschlands ins Leben gerufen, mittlerweile wurde der 90.000. Teilnehmer geehrt und das Konzept bis nach China exportiert. „Natürlich ist es aufgrund der sportlichen Situation der vergangenen Jahre schwieriger geworden, die Kids an uns zu binden“, sagt Köster im Stadionrestaurant Die Raute. „Wir müssen darum kämpfen, dass die Kinder in Hamburg und Norddeutschland dem HSV die Daumen drücken.“
Real Madrid als hartnäckiger Konkurrent
Obwohl der HSV und St. Pauli nur noch in der Zweiten Liga spielen, sind beide Clubs im Kampf um die Kids Dauergäste in der Champions League. In Deutschland kann ihnen nur und ausgerechnet der FC Ingolstadt das Wasser reichen, wo der einstige HSV-Fußballschulenmitinitiator Dirk Benke mit der Hilfe Audis ein kleines Imperium geschaffen hat. Doch Marktführer im Bereich der Fußballschulen sind weder der HSV noch St. Pauli oder Benkes Ingolstädter. Sondern Real Madrid.
Stefan Kofahl, ebenfalls ein Hamburger und Ex-HSV-Mitarbeiter, ist vor vier Jahren mit einem eigenen Fußballschulenplan durch ganz Europa getingelt. Sechs Topclubs wollten das Franchisekonzept made in Hamburg übernehmen, Madrid erhielt den Zuschlag. Für 229 Euro können nun Kinder im Alter zwischen sieben und 16 Jahren königlich in Deutschlands Provinz trainieren. Egal, ob in Scharmbeck, Flüchtorf, Forchheim, Godshorn oder Bahlingen.
Der „Zeit“ sagte Kofahl mal, dass die deutschen Clubs das große Potenzial der eigenen Fußballschulen verschlafen hätten. Nicht nur wegen derartigen Aussagen sieht man die königliche Konkurrenz beim HSV und bei St. Pauli durchaus kritisch. Zum einen ist Real Madrids Foundation Clinics Germany, so der offizielle Name der Kofahl-Schule, deutlich teurer als die eher moderaten Hamburger Angebote (zwischen 159 Euro und 187 Euro). Und zum anderen wird hinter vorgehaltener Hand immer wieder auch berichtet, dass die Konkurrenz aus Madrid extrem aggressiv auf dem ohnehin umkämpften Markt auftrete.
St. Pauli: Es geht um die Fans von morgen
Geld wollen St. Pauli und der HSV aber natürlich auch mit ihren Angeboten verdienen. Sogar beim Kiezclub hat man im Kinder- und Jugendbereich beim Umsatz mittlerweile die Millionengrenze durchbrochen. Doch wichtiger als der kurzfristige Gewinn sei der langfristige Effekt, sagt Oliver Hetze. St. Paulis Teamleiter Kinder- und Jugendmarketing sitzt im Café Pauline, einen Freistoß vom Millerntor entfernt, und bestellt das Gute-Laune-Frühstück. Ein kleiner Obstsalat mit Powermüsli, Gemüsesticks mit Kräuterfrischkäse und zwei Scheiben Vollkornbrot. „Unterm Strich geht es natürlich immer darum, dass die Kids Spaß haben“, sagt Hetze. „Aber die Campteilnehmer von heute sind die Fans von morgen.“
Beim FC St. Pauli hat man sich beim immer wichtiger werdenden Kindermarketing für fünf Rabauken-Säulen entschieden: Kidsclub, Fußballschule, ein Breitenfußballangebot für den Stadtteil (FUNiño), Kindergeburtstage und Schulkooperationen. Besonders auf die fünfte Säule ist man am Millerntor stolz. So übernehmen an 35 Grundschulen an sieben Standorten in ganz Hamburg vom FC St. Pauli ausgebildete Trainer das Nachmittagsangebot der Schulen. „Für uns geht es natürlich auch darum, die Kinder möglichst früh für den FC St. Pauli zu begeistern“, sagt Hetze. „Damit verdienen wir kein Geld. Aber unter dem Strich sollte eine schwarze Null stehen.“ Und ein gern gesehener Nebeneffekt: „Die Trainer schauen natürlich auch hin, ob es besonders talentierte Kids gibt. Wenn das der Fall ist, dann wird das in einem internen Portal vermerkt.“
Beim HSV hat dieses Nebenbei-Scouting zu beachtlichen Erfolgen geführt. Jonas David (18) aus dem aktuellen Profikader war mit sieben Jahren zum ersten Mal bei einem HSV-Fußballcamp, genauso wie Uwe-Seeler-Enkel Levan Öztunali (22, Mainz 05). Doch der Scoutingabteilung der Profis wollen Köster und Co. natürlich keine Konkurrenz machen. Viel wichtiger als die Talentsichtung sei die frühe Bindung an den HSV. „Wir wollen den HSV erlebbar machen“, sagt Köster.
Ein Geburtstag mit dem Dino kostet 199 Euro
Durchaus hilfreich für diese Zielsetzung ist Maskottchen Dino Herrmann, der sich besonders bei der jüngeren Zielgruppe großer Beliebtheit erfreut. Man kann den Plüschsaurier für kindgerechte Museumstouren buchen, genauso wie bei Kindergeburtstagen im Stadion. Eine Geburtstagsfeier am Wochenende mit acht Kindern und dem HSV-Dino ist für den Spottpreis von 199 Euro zu haben, Essen in der Raute kann für zusätzliche 59 Euro dazugebucht werden.
„Zuletzt ist es schwieriger geworden, Kinder für den HSV zu begeistern“, gibt Köster zu. Abstiegskampf, Trainerentlassungen und Dauerchaos haben sich bis ins Kinderzimmer herumgesprochen. „Das sportliche Abschneiden der vergangenen Jahre macht sich bemerkbar, auch wenn der HSV für viele Kleine noch immer was Großes ist.“
Tatsächlich hat eine Studie des früheren HSV-Vermarkters Sportfive ergeben, dass der wichtigste Anhaltspunkt für Kinder bei der Wahl ihres Lieblingsclubs die familiäre Prägung sei. Auf Platz zwei folgt das Image der Clubs, und erst am drittwichtigsten soll den Kindern sportlicher Erfolg sein.
Ein Glück. Denn in der Kategorie Erfolg konnten zuletzt weder der HSV noch der FC St. Pauli punkten. Aber am Image kann man ja auch ligaunabhängig arbeiten. „Wir wollen den FC St. Pauli so darstellen, wie er ist: sympathisch, nahbar, weltoffen, bunt und vielfältig“, sagt Hetze. Für den 39-Jährigen bedeutet das, dass man bei den Kindern auch abseits des Fußballplatzes punkten muss. Deswegen bietet St. Pauli auch jede Menge alternative Kinderaktivitäten an: Rundgänge durch den Stadtteil, Keksebacken in der Adventszeit, einen gemeinsamen Laternenumzug – oder eben eine Piraten-Weihnachtsfeier. Und das Beste: Bei St. Paulis Kleinen ist sogar der große HSV ein gern gesehener Gast. „Uns ist bewusst, dass nicht jedes Kind St.-Pauli-Fan wird“, sagt Hetze. „Auch kleine HSV-Fans sind bei uns willkommen.“