Die Liga diskutiert die Millionenspritzen des HSV-Mäzens. Neben Kritik gibt es auch Verständnis für das Hamburger Vorgehen.

Es war schon relativ spät am Abend, als die Gespräche in der „Tankstelle“, einer HSV-Kneipe auf dem Kiez, noch einmal so richtig an Fahrt aufnahmen. Der schwache Saisonstart gegen Ingolstadt war in der Talkrunde mit Marketingvorstand Joachim Hilke bereits emotional diskutiert worden, genauso wie die pinkfarbenen Trikots und Bruno Labbadias bisherige Weigerung, das mutmaßliche Supertalent Alen Halilovic von Anfang an spielen zu lassen. Ein paar Allesfahrer hatten es sich auf den Barhockern gemütlich gemacht, der Vorsinger der Poptown-Ultras war da und auch viele Anhänger, die ihrem Ärger sonst nur anonym im Internet Luft machen. Auf der Großbildleinwand liefen gerade die schönsten HSV-Tore der vergangenen Jahre, als ein Fan aus der ersten Reihe eine fast philosophische Frage in den Raum stellte: „Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim und jetzt Leipzig. Die finde ich alle doof. Aber nun frage ich mich: Sind wir denn besser als die?“

Die Liga diskutiert die HSV-Abhängigkeit

An diesem Sonnabend (15.30 Uhr/Sky) spielt der HSV in der BayArena gegen Leverkusen, am kommenden Sonnabend ist RB Leipzig in Hamburg zu Gast. Das sind zwei der vier unter Fans als „Schurkenclubs“ bekannten Vereine, die von der DFL eine offizielle Investoren-Ausnahmeregelung haben. Leverkusen hängt am Tropf von Bayer, Leipzig ist von Red Bull abhängig, der VfL wird von VW großzügig subventioniert und Hoffenheim von Mäzen Dietmar Hopp. Doch nachdem der HSV dank der Finanzspritze von Milliardär Klaus-Michael Kühne in den vergangenen Wochen überaus kräftig investiert hat, stellt sich mittlerweile nicht nur einigen Fans in der „Tankstelle“ die Frage, ob der Club nicht längst ähnlich abhängig wie der VfL, Leverkusen, RB und 1899 ist. Auch die halbe Liga diskutiert genau diese Frage. Und nach exklusiven Zahlen, die dem Abendblatt vorliegen, ist die Antwort einfach: Ja, ist er.

Für 2017/18 Überschuss prognostiziert

So dürfte der HSV nach eigenen Angaben, die der Club Interessenten an der neuen 40-Millionen-Euro-Anleihe zugänglich machte und die dem Abendblatt vorliegen, in der vergangenen Saison ein Minus von knapp 6,2 Millionen Euro gemacht haben. Es ist das sechste Millionenminus in Folge. Doch viel spannender als die Vergangenheit ist ja die Zukunft. Und in der soll bekanntlich alles besser werden. So hat der HSV für die laufende Saison eine rote Null vorausgesagt, für 2017/18 wurde sogar ein Überschuss von 8,4 Millionen Euro prognostiziert.

Der Haken an der ganzen Geschichte: Es sind die Zahlen aus der Zeitrechnung v. K. – vor Kühne. Zur Erklärung: Im März, also vor gerade mal einem halben Jahr, gingen die Verantwortlichen des HSV noch davon aus, dass man wenig bis gar kein Geld für Neuzugänge zur Verfügung hätte, es wurden Transfereinnahmen für die laufende Saison von fünf Millionen Euro veranschlagt, und der Profi-Gehaltsetat sollte von 49,449 Millionen Euro um rund zehn Millionen Euro auf 39,902 Millionen Euro gesenkt werden. Die Konsequenz wäre gewesen, dass der HSV nach Bobby Wood, Christian Mathenia und Luca Waldschmidt keinen weiteren Spieler hätte verpflichten können und wahrscheinlich mit Clubs wie Darmstadt und Freiburg um einen Relegationsplatz gekämpft hätte.

Ausgeglichener Haushalt wird verfehlt

Hätte, wäre, könnte. Doch im Konjunktiv gewinnt man nun mal keine Spiele. Und bekanntlich kam rechtzeitig zur Öffnung des Sommer-Transferfensters alles ganz anders. Ex-Sportchef Peter Knäbel musste gehen, Kühne erklärte sich bereit, im großen Stil zu investieren, und Clubchef Dietmar Beiersdorfer durfte einkaufen gehen: fünf Millionen Euro für Alen Halilovic, 14 Millionen Euro für Filip Kostic und irgendetwas zwischen sieben und zehn Millionen Euro für den Brasilianer Douglas Santos. Wer weiß das schon so genau?

Ziemlich genau weiß man aber mittlerweile, dass der noch im März angestrebte ausgeglichene Haushalt um einen Fehlbetrag in zweistelliger Millionenhöhe auch in dieser Spielzeit verfehlt wird. Doch weil Kühne als Investor einspringt, der neben den Ablösesummen auch für die Gehälter aufkommt, ist der Aufschrei in Hamburg überschaubar. Im Gegenteil: „Ich denke, es ist bei den Menschen angekommen, dass Kühne uns guttut. Er lebt den HSV“, sagt Clubchef Dietmar Beiersdorfer. „Kühne ist unglaublich wichtig für uns.“

Bleibt die Frage: Zu wichtig?

Eberl und Hübner beklagen sich

„Man fragt sich zum Teil schon, wo bei manchen Clubs das Geld plötzlich herkommt“, sprach Gladbachs Sportdirektor Max Eberl in dieser Woche das aus, was zuletzt viele in der Bundesliga nur hinter vorgehaltener Hand sagen wollten: „Beim HSV ist es eine Einzelperson, die scheinbar willkürlich große Transfers trotz fehlender Einnahmen möglich macht. Das widerspricht einem fairen Wettbewerb“, sagte Eberl der „Welt“. Eine Meinung, die auch Frankfurts Manager Bruno Hübner teilt: „Es ist ein Stück weit deprimierend, wenn man sieht, wie der HSV wieder für zig Millionen neue Spieler geholt hat, obwohl er hoch verschuldet ist“, sagte Hübner der „FAS“.

Längst wird nicht nur auf dem Kiez in der HSV-Kneipe „Tankstelle“ diskutiert. Im Gespräch mit dem Abendblatt gibt etwa Schalkes Finanzvorstand Peter Peters zu bedenken: „Auch Privatpersonen, die Geld investieren, wollen wie Unternehmen selbstverständlich Geld verdienen und einen gewissen Einfluss haben.“ Er sei trotz Verbindlichkeiten und neuer Anleihen jedenfalls froh, als Club unabhängig zu sein: „Wir wollen nicht den Interessen fremder Dritter ausgesetzt sein.“

Rettig: HSV hat Wettberwerbsvorteil

Genau vor dieser Gefahr warnt im Gespräch mit dem Abendblatt auch St. Paulis kaufmännischer Geschäftsführer Andreas Rettig: „Das Ziel eines Investors ist in der Regel ein Return on Investment.“ Zum Stadtnachbarn möchte sich Rettig nicht explizit äußern, doch ganz allgemein zur Diskussion über die bisherigen Ausnahmeclubs sagt er: „Die erteilten Ausnahmegenehmigungen stellen eine Verletzung der Integrität des Wettbewerbs dar, da diese Clubs 100 Prozent ihrer Geschäftsanteile – des werthaltigsten Guts der Vereine – kapitalisieren können, während andere nur maximal 49,9 Prozent veräußern dürfen. Es hat sich gezeigt, dass diese ,Investorenclubs‘ eine frühzeitige Planungssicherheit haben, ungeachtet des sportlichen Erfolges, Sponsoren- und Ticketeinnahmen. Sie haben einen Wettbewerbsvorteil, da sie sich unter anderem ganzjährig auf dem Transfermarkt bewegen können.“

Herthas Preetz äußert Verständnis

Der Hamburger Wettbewerbsvorteil ist in der Liga nicht umstritten, die Bewertung dessen dagegen sehr wohl. So gibt es neben den Ausnahmeclubs auch Traditionsvereine, die Verständnis für den HSV und für das Modell Kühne zeigen. „Ohne die Hilfe von Klaus-Michael Kühne hätte der HSV sicherlich nicht so stark in diesem Sommer investieren können“, sagt Michael Preetz, der Geschäftsführer von Hertha BSC, macht gegenüber dem Abendblatt allerdings deutlich: „Man sollte nicht falsche Empörung heucheln. Wenn man ehrlich ist, dann muss man wohl zugeben, dass ein Großteil der Bundesligaclubs dankbar für einen privaten Geldgeber wie Herrn Kühne wäre.“

Preetz erinnert daran, dass es nicht nur vier Ausnahmeregelungen in der Bundesliga gibt, sondern zahlreiche verschiedene Modelle. „Das Thema Fremdfinanzierung in der Bundesliga ist ein sehr komplexes Thema. Essenziell wichtig ist dabei aus Sicht von Hertha, dass die Entscheidungsgewalt immer zu 100 Prozent beim Club bleibt. Das kann und möchte ich aus der Ferne beim HSV nicht beurteilen.“

Die Frage nach dem Financial Fairplay

Aus der Nähe ist die Sache dagegen klar. Zumindest für HSV-Clubchef Beiersdorfer, der sich entschieden gegen den Verdacht der externen Einflussnahme wehrt: „Wir entscheiden, welcher Spieler verpflichtet wird und ob er in unser sportliches Konzept passt.“ Immer wieder hat auch Beiersdorfers Vorstandskollege Frank Wettstein betont, dass der Club die Gelder an Kühne zurückzahlen würde, sollte das vereinbarte Ziel Europapokal tatsächlich erreicht werden. „Verfehlen wir die Ziele, erlöschen die Forderungen“, erklärte der HSV-Finanzchef kürzlich. Damit drohe dem HSV auch kein Problem mit dem Financial Fairplay der Uefa, die zu großen Investitionen von außen einen Riegel vorschieben will.

Darauf machte auch Schalkes Peters noch einmal aufmerksam: „Natürlich dürfte auch der HSV das mittelfristige Ziel haben, sich durch die Millionen-Investments wieder international zu qualifizieren. Sobald das gelingt, müsste sich der Club natürlich auch den Regeln und Vorgaben des Financial Fairplays unterwerfen. Generell ist es also ratsam, von Anfang an das Financial Fairplay zu berücksichtigen.“


An diesem Sonnabend geht es allerdings weder um Financial Fairplay noch um Europa. Dem Verlierer droht ein echter Fehlstart – und im Falle des HSV unschöner Gesprächsstoff für den nächsten Tankstellen-Talk.