Sotogrande. Vier Anhänger besuchten den HSV im Trainingslager in Südspanien. Von den Beschränkungen ließen sie sich nicht aufhalten.
Torsten Spielmann ärgerte sich nur kurz. Der Niederländer kommt aus Millingen in der Nähe von Nijmegen. Am Freitag hätte der HSV-Anhänger auf der Trainingsanlage des Santa Maria Polo Clubs von Sotogrande gerne beim Testspiel zwischen seinem Lieblingsclub und dem Verein aus seiner Heimat zugeschaut. Doch einen Tag zuvor sagten die Holländer das geplante Spiel kurzerhand ab. Offenbar gab es bei Nijmegen Corona-Verdachtsfälle, wie Spielmann von niederländischen Freunden gehört hatte.
Stattdessen spielte der HSV am Freitagnachmittag kurzerhand gegen den Karlsruher SC. Spielmann (49) und seine Lebensgefährtin Astrid Steenbock (53) fuhren allerdings nicht mit nach Estepona, wo der KSC trainiert. „Das Risiko, sich dort mit Corona anzustecken, ist uns zu groß“, sagt Spielmann. Er sitzt am Freitag auf der kleinen Holztribüne des Polo Clubs und schaut aus sicherer Entfernung dem HSV-Team beim ersten Training zu.
Trotz aller Unsicherheiten hatten Spielmann und Steenbock entschieden, von den Niederlanden nach Spanien zu fliegen, um ihren HSV zu sehen. „Wir wollten einfach mal wieder das Gefühl genießen, zu reisen. Und auch aus 50 Metern Entfernung ist es schön, nah bei der Mannschaft zu sein“, sagt Spielmann.
HSV: Fans haben sich bei Spiel kennen- und lieben gelernt
Seit 27 Jahren begleitet der HSV-Anhänger den Club in die Trainingslager. Er war in Dubai, Indonesien oder Portugal dabei. Und auch von der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes in das Corona-Hochrisikogebiet Spanien sowie der Ankündigung des HSV, in Sotogrande unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu trainieren, ließen sich die beiden nicht hindern. Sie wussten, dass sie irgendwie einen Weg finden, auf die Anlage zu kommen.
Und der HSV wusste, dass einige Fans genau das versuchen werden. Daher hat der Club mit Andreas Witt einen fest angestellten Fanbetreuer mit nach Spanien genommen. Anstatt die Fans auszusperren, kümmert sich Witt um die HSV-Anhänger, hilft ihnen bei allen organisatorischen Fragen, passt aber auch gleichzeitig auf, dass sie der Mannschaft nicht zu nahe kommen. Die Fans dürfen den Trainingsplatz nicht betreten, müssen zudem einen Mund-Nasen-Schutz tragen.
Trotz der strengen Vorschriften ließen es sich vier Anhänger nicht nehmen, die rund 3000 Kilometer nach Südspanien zu reisen und die gesamte Woche zu allen Einheiten zu kommen. Zwei von ihnen sind Spielmann und Steenbock. Der Niederländer und die Kielerin hatten sich im Dezember 2015 bei einem HSV-Spiel auf der Nordtribüne im Volksparkstadion kennen- und lieben gelernt. Seitdem reisen sie zusammen der Mannschaft hinterher.
Fan-Abende mit dem HSV
Normalerweise organisiert die Fanbetreuung des HSV in den Trainingslagern einen gemeinsamen Fan-Abend. Doch der konnte naturgemäß auch diesmal nicht stattfinden. Zu besten Zeiten waren bei diesen Events im österreichischen Zillertal bis zu 800 Fans dabei.
Letztmals fand dieser Abend im Januar 2020 in Lagos (Portugal) statt. Der HSV hatte in der Altstadt eine Bar reserviert. Und Hunderte Fans saßen mit Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel beim Bier zusammen und genossen die Stimmung.
Auch Kerstin Schönrock erinnert sich an diesen Abend. Sie ist alleine aus Frankfurt nach Sotogrande gereist und hat sich ein Zimmer im Mannschaftshotel des HSV gebucht. So macht es die 54-Jährige nun schon seit vier Jahren. Erstmals war sie im Sommer 2018 nach Bad Erlach in Österreich gekommen. Die Nähe zur Mannschaft und zum damaligen Trainer Christian Titz hat sie begeistert. „Es war beeindruckend, wie viel Zeit sich Titz für uns genommen hat und wie nahbar er war.“
Nun erlebt Schönrock in ihrem siebten Trainingslager mit Tim Walter bereits ihren fünften Trainer. Sie hat ein Gefühl für die Stimmung im Team entwickelt. „Im Januar 2019 habe ich unter Hannes Wolf in La Manga schon geahnt, dass die Rückrunde nicht so gut wird“, sagt sie. „Aber hier ist bislang eine gute Stimmung in der Truppe.“
„Für mich ist es hier wie Freunde treffen“
Im vergangenen Sommer erlebte sie im Teamhotel in Grassau am Chiemsee einen lustigen Abend, als Walter im Hotelrestaurant sein Ständchen für die Mannschaft einstudierte. „Wir sind der HSV“ von Abschlach. Fotos oder Videos hat Schönrock davon nicht gemacht. Sie weiß, dass nicht jeder so nah an die Mannschaft kommt. Und das auch eigentlich nicht soll. Doch der HSV will seine treuesten Fans eben auch nicht ausschließen oder enttäuschen – trotz der außergewöhnlichen Umstände. Greifbar sein, lautet das Motto des HSV. „Für mich ist es hier wie Freunde treffen“, sagt Schönrock.
Viele Freunde gibt es für die Frankfurterin in Sotogrande aber nicht zu sehen. Die meisten HSV-Fans haben ihre Reise kurzfristig storniert. Zum Spiel am Freitag kamen noch fünf weitere Hamburger Anhänger angereist. Trainingslager-Allesreiser Christoph Schlösser und sein Sohn kamen zusammen mit ein paar Freunden nach Estepona.
Für die HSV-Anhänger war das Spiel am Freitag die vorerst letzte Möglichkeit, ihre Mannschaft live in einem Stadion spielen zu sehen. Nach dem Senatsbeschluss, vorerst wieder Geisterspiele einzuführen, ist aktuell völlig unklar, wann die Fans im Stadion wieder dabei sein dürfen.
Kerstin Schönrock wollte sich eigentlich Karten für das Stadtderby gegen den FC St. Pauli in zwei Wochen bestellen. Daraus wird nichts. Umso glücklicher ist sie, trotz der Pandemie in Spanien dabei gewesen zu sein.