Hamburg. Afrikanische Trainer spielen Clips zu. Einer erhebt Vorwürfe gegen die “Sport Bild“. Bemerkenswerter Rat eines DFL-Justiziars.
Mittwoch ist „Sport Bild“-Tag. So lautet schon seit 1988 der Wahlspruch der auflagenstärksten Sportzeitschrift Europas. „,Sport Bild‘ ist immer dabei, liefert Hintergründe, lüftet Geheimnisse, bietet spannende Einblicke“, schreibt das Magazin über sich selbst. Und obwohl das meinungsstarke Blatt auch unbequem sein kann, hat die Fußballbranche großen Respekt. Und zumindest der HSV seit drei Wochen auch großes Unbehagen.
Am 7. August hatte die „Sport Bild“ mit ihrer Titelgeschichte „Ist HSV-Star Bakery Jatta in Wahrheit Bakary Daffeh?“ eine Lawine ins Rollen gebracht, die seitdem alles und jeden unter sich begräbt. Im Kern geht es um die Frage, ob der HSV-Profi seine Identität gefälscht und bei seinem Alter geschummelt habe. Beweise für diese Annahme konnte die „Sport Bild“ nicht liefern, dafür Indizien und Belastungszeugen. Der HSV konterte mit dem Reisepass Jattas, der von den Ämtern beglaubigt wurde.
Nürnbergs Zeuge Sané sagt vor Sportgericht aus
Am gestrigen Mittwoch war erneut „Sport Bild“-Tag – und es folgte Teil vier der Jatta-Serie, die mittlerweile ganz Fußball-Deutschland in Atem hält. Diesmal titelt das Magazin: „Das ist Nürnbergs Kronzeuge“. Daneben wird der Senegalese Seydou Sané gezeigt, der Präsident von Casa Sports, dem Ex-Club von Bakary Daffeh. Sané soll nun vor dem DFB-Sportgericht am 9. September aussagen und Beweise liefern. Beweise, dass Jatta und Daffeh eben doch ein und dieselbe Person seien. Beweise, dass alles eine „große Lüge“ („Bild“) sei.
Und geht es nach dem 1. FC Nürnberg, dann wohl vor allem auch Beweise, die ausreichen würden, um sich nach der deftigen 0:4-Klatsche die sportlich verlorenen drei Punkte juristisch am grünen Tisch zurückzuholen.
Die anfängliche Posse um einen gambischen Fußballer, der möglicherweise älter oder auch nicht ist, ist längst zu einer gesellschaftspolitischen Diskussion geworden. Um Fußball geht es schon lange nicht mehr. Es geht um juristische Winkelzüge, um journalistische Standards, um Ethik und um Moral.
Jatta: Bochum und KSC hoffen auf Nürnberg
Nach dem 1. FC Nürnberg hatten auch der VfL Bochum und der Karlsruher SC Protest gegen die Wertung der Spiele eingelegt, weil Jatta für den HSV spielte. In den offiziellen Begründungen wird von „Fristwahrung“, „Vereinswohl“ und von „Haftung“ gesprochen. Was dort nicht steht: Mittlerweile haben zwei der drei Clubs (Nürnberg und Bochum) mit Anwalt Christoph Schickhardt sogar den gleichen Rechtsbeistand. Der KSC lässt sich von Dr. Markus Schütz vertreten. Alle drei Clubs scheinen zu hoffen, dass „Nürnbergs Kronzeuge“ Sané vor dem DFB-Sportgericht belastbare Beweise vorlegt. Denn: Das Nürnberg-Urteil dürfte richtungweisend für die nachfolgenden Verhandlungen sein.
Nach Abendblatt-Informationen soll Sané tatsächlich einen Spielerpass Daffehs aus dessen Zeit bei Casa Sports im Senegal mitbringen. Wobei sich natürlich die Frage stellt: Kann ein Spielerpass, egal ob von Bakery Jatta oder von Bakary Daffeh, wirklich aussagekräftiger sein als ein gültiger Reisepass?
Die Antwort sollte klar sein. Alles andere als klar scheint dagegen zu sein, was Zeugenaussagen und Zitate aus Gambia oder aus dem Senegal im Fall von Jatta wirklich wert sind. Es dauerte nicht lange nach dem ersten Bericht, ehe gleich mehrere „Zeugen“ ihre Dienste gegen entsprechende Infohonorare anboten. Und auch bei Nürnbergs neuem Zeugen Sané, einem Bildungsinspektor, scheint unklar, ob er erst seit 2017 – also nach Jattas Engagement beim HSV – oder schon seit 2014 Präsident von Daffehs Club Casa Sports ist.
Brisantes Video entlastet Bakery Jatta
Dem Club, in dem auch Ibou Diarra als Trainer gearbeitet hat. Er wurde ebenfalls von der „Sport Bild“ kontaktiert und soll nach der Vorlage eines aktuellen Jatta-Fotos im HSV-Trikot bestätigt haben, dass dieser Daffeh sei und er ihn einst trainiert habe. Dem Abendblatt wurde nun vor Tagen ein Video zugespielt, in dem Diarra Stellung nimmt.
In dem Video schaut Diarra angestrengt in die Kamera. „Ich habe Bakery Jatta nie kennengelernt“, sagt er. Und er klagt sogar auf Französisch an: Es gebe Leute mit schlechten Intentionen, die Unwahrheiten über ihn verbreiten.
Das Abendblatt bat Diarra, zur Verifizierung ein Foto zu schicken, bei dem er seinen Ausweis in die Kamera hält – was auch erfolgte. Doch unter welchen Umständen das Video aufgenommen wurde, bleibt unklar. Zudem fällt auf, dass das Video aus mehreren Aufnahmen zusammengeschnitten wurde. Doch die Kernbotschaft bleibt: „Ich habe niemals diesen Spieler kennengelernt“, sagt Diarra über Jatta.
Wie die "Sport Bild" sich nun rechtfertigt
Das Abendblatt bat die „Sport Bild“ darum, zu erklären, wie das Magazin zu den Aussagen Diarras aus dem ersten Artikel gekommen sei. Chefredakteur Matthias Brügelmann antwortete: „Wir haben über seinen Facebook-Account mehrfach mit Diarra kommuniziert. Wir schickten ihm unter anderem ein Foto des HSV-Spielers Jatta und fragten, ob das Daffeh sei. Seine Antwort: ,Das ist er.‘“ Diarra selbst behauptet in dem Video, dass möglicherweise sein Facebook-Account gehackt worden sein könnte.
Weiteres Video zum Fall Jatta aufgetaucht
Die Wahrheit bleibt hart umkämpft. Das gilt auch für den Fall des gambischen Trainers Suleiman Kuyateh. Auch er wurde von der „Bild“ und der „Sport Bild“ befragt und soll am 31. Juli im Hinblick auf Bakary Daffeh gesagt haben: „Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen.“ In einem weiteren Video, das dem Abendblatt ebenfalls vorliegt, dementiert Kuyateh diese Aussage. Auch er schickt auf Anfrage ein Foto von sich und seinem Ausweis zur Verifizierung. Und erhebt selbst Vorwürfe. Er habe als Fußballtrainer zwischen 2012 und 2015 für Brikama United gearbeitet. „In dieser Zeit habe ich Bakary Daffeh trainiert, aber keinen Bakery Jatta. Ich kenne Bakery Jatta lediglich aus dem Fernsehen – aus der Zweiten Bundesliga.“
Kuyateh, weißes Shirt, schwarze Shorts, steht auf einem Rasenplatz und spricht laut und deutlich. Er redet davon, dass er seit vielen Jahren Fußballtrainer sei. Dass er ehrlich sei. Ein Muslim. Unbestechlich. Und immer wieder sagt er, dass er Jatta nicht kenne. Nur Daffeh. Merkwürdig: In einem Artikel in der „taz“ wurde Kuyateh zuvor mit den Worten zitiert: „Ich kannte ihn als Jatta, nicht als Daffeh.“ Das Abendblatt fragte bei der „taz“ nach. Eine Praktikantin, die selbst aus Gambia stammt, habe mit Kuyateh telefoniert und könne sich diesen Widerspruch selbst nicht erklären.
Unter dem Strich bleibt aber festzuhalten: Kuyateh widerspricht entschieden, dass es sich bei Jatta und bei Daffeh um dieselbe Person handeln könnte. In dem Video wird der Trainer sogar energisch. Kuyateh berichtet von einem Besuch eines „Bild“-Reporters und behauptet, dieser habe sich als DFB-Vertreter ausgegeben. Erst später habe er erfahren, dass es ein Journalist gewesen sei. Dann, in einem zweiten Video, zeigt Kuyateh auf seinem Handy einen Auszug aus einer „Bild am Sonntag“-Geschichte, deutet auf das Foto des Reporters und behauptet erneut, dass dieser sich als Verbandsvertreter ausgegeben habe.
Auch hier bat das Abendblatt die „Bild“-Zeitung um eine Stellungnahme. Chefredakteur Brügelmann schreibt: „Diese Behauptung ist falsch.“
Was passiert, wenn Jatta nicht Jatta ist?
Aussage gegen Aussage. Der Kampf um die Wahrheit wird spätestens am Freitag in die nächste Runde gehen. Bis dahin muss Nürnberg seinen Protest begründen. Und auch erst dann weiß man wirklich, ob der Club tatsächlich Sané, den Präsidenten von Casa Sports, vorlädt. Das Abendblatt fragte bei Nürnbergs Pressesprecher Daniell Westgate, einem ehemaligen „Bild“-Reporter, nach, ob er den Bericht der „Sport Bild“ bestätigen könne. Seine Antwort: „Wir befinden uns in einem laufenden Verfahren und möchten der Verhandlung beim DFB-Sportgericht nicht vorgreifen. Daher werden wir uns dazu nicht mehr äußern.“
Derweil dementierte FCN-Sportchef Robert Palikuca die Gerüchte, dass der Club nach Beweisen in Gambia oder dem Senegal suchen würde. „Es trifft nicht zu, dass der 1. FC Nürnberg einen Mitarbeiter bzw. einen vom Verein entsandten Vertreter nach Afrika geschickt hat, um im Fall Jatta zu recherchieren.“
Der DFB soll jedenfalls gewillt sein, Sané als Zeugen zu vernehmen. Bleibt nur die Frage, was eigentlich passieren würde, sollte sich herausstellen, dass Bakery Jatta tatsächlich einen ganz anderen Namen hat. Zum Beispiel Bakary Daffeh. Oder Heinz Müller. Dann, und auch nur dann, wäre Jatta als Täuscher überführt. Und der HSV? „Wir wären dann die Getäuschten“, sagt ein Verantwortlicher. Und Nürnberg, Bochum und Karlsruhe? Das „Trio Infernal“ müsste auch in diesem Fall zunächst einmal beweisen, dass sich der HSV schuldhaft verhalten hat.
Ein Bericht des „Spiegels“, der durch clubinterne E-Mails nachweisen konnte, dass der HSV schon vor dreieinhalb Jahren Gerüchte über unterschiedliche Identitäten kannte, legt nahe, dass der Club bereits damals große Anstrengungen unternahm, mögliche Zweifel aufzuklären. Am Ende hätten aber Jattas Angaben und sein nachweislich echter Reisepass nicht nur den HSV überzeugt – sondern vor allem die deutschen und gambischen Behörden.
DFL riet HSV, Jatta verletzt zu melden
Man darf also gespannt sein, ob und was nun der DFB entscheidet. Vor der Anhörung am 16. August in Frankfurt soll DFL-Justiziar Jürgen Paepke möglicherweise im Spaß einem HSV-Verantwortlichen geraten haben, Jatta doch zunächst einfach als verletzt zu melden. Ein bemerkenswerter Vorschlag. Besonders wenn man auch noch berücksichtigt, dass Paepke ganz nebenbei sogenannter Ethikinspektor der Uefa ist.
Doch mit Ethik und Moral hat der Fall Jatta ohnehin schon lange nicht mehr viel zu tun. „Die schwarze Sau soll sich verpissen, wenn man falsche Angaben macht“, schrieb etwa ein gewisser Patrick Alexander bei Twitter während des Spiels gegen den KSC. Also dem Spiel, in dem Jatta 45 Minuten lang bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen wurde. Dem Spiel, in dem ein Karlsruher Journalist fleißig mitpfiff. Und dem Spiel, nach dem kein KSC-Verantwortlicher (außer Oliver Kreuzer) die richtigen Worte finden konnte oder wollte.
Und was macht der HSV? Setzt weiter voll und ganz auf Bakery Jatta, der am Mittwoch vor dem Training erneut mit lautem Beifall der Fans begrüßt wurde. Ganz oder gar nicht ist jetzt die Devise. Trainer Dieter Hecking will ihn auch gegen Hannover 96 einsetzen. Am Sonntag. Acht Tage vor der nächsten DFL-Anhörung in Frankfurt. Und drei Tage vor dem nächsten „Sport Bild“-Mittwoch.
Anmerkung der Redaktion: Wir haben den Text am Donnerstag aktualisiert, weil ein Gesprächspartner frühere Angaben zur Reaktion der DFL präzisiert hat.