Hamburg. Der HSV hat bisher die wenigsten Spieler aller Zweitligisten eingesetzt. In Wolfsburg wurde deutlich, warum.
Bei der ersten von zwei Einheiten am Donnerstag stand HSV-Coach Tim Walter eine überschaubare Trainingsgruppe zur Verfügung. Lediglich fünf Feldspieler und die drei Torhüter absolvierten Torschussübungen auf dem Platz neben dem Volksparkstadion. Alle anderen Profis trainierten im Kraftraum, um die Belastung am Tag nach der 1:4-Testspielpleite des HSV beim VfL Wolfsburg zu steuern.
Walters HSV-Problem mit Reservisten
Es war eine Partie, die Walter viele Erkenntnisse lieferte. Zum einen scheint noch immer nicht jeder im Kader seinen riskanten Spielaufbau verinnerlicht zu haben. Beim VfL unterliefen dem HSV viel zu viele Abspielfehler am eigenen Strafraum. Anders als so mancher Zweitligist, dem im bisherigen Saisonverlauf ähnliche Geschenke präsentiert worden waren, wusste der VfL solche Situationen besser zu bestrafen.
Walters wichtigste Erkenntnis dürfte allerdings ein Umstand sein, der ihm schon vor dem Testspiel bewusst war: Bei einigen Spielern aus der zweiten Reihe reicht die Qualität einfach nicht aus. In Wolfsburg erhielten die Dauer-Reservisten Robin Meißner, Torhüter Marko Johansson und Talent Faride Alidou (alle null Zweitligaminuten) sowie Miro Muheim (16) eine Bewährungschance. Empfehlen für mehr Einsatzzeit konnte sich allerdings keiner von ihnen, auch wenn der erst 20 Jahre alte Alidou zumindest gute Offensivansätze zeigte.
HSV setzt die wenigsten Spieler ein
Es ist sicher kein Zufall, dass der HSV bislang die wenigsten Spieler aller Zweitligisten eingesetzt hat. Gerade einmal 20 Profis sind es, denen Walter an den ersten neun Spieltagen das Vertrauen schenkte. Zum Vergleich: Die in dieser Wertung führenden Clubs Bremen (27), Ingolstadt (27), Schalke (26) und Darmstadt (26) setzten auf eine größere Bandbreite an Spielern – wobei bei Werder berücksichtigt werden muss, dass sich der Kader erst im Laufe der Saison aus Kostengründen gravierend verändert hat.
Beim HSV setzt Walter dagegen fast immer auf dieselben Spieler. Man könnte es positiv formulieren und sagen, dass der Trainer seine Stammelf bis auf wenige Ausnahmen gefunden hat. Oder aber man sieht die zum Teil enormen Qualitätsunterschiede zwischen der ersten Garde und denen, die die Rolle der vermeintlichen Herausforderer ausfüllen. Fehlt der zweiten Reihe das Niveau, um eine echte Alternative zu sein? „Nein“, entgegnet Walter entschlossen, „überhaupt nicht.“
Der Coach stellt sich schützend vor seine Profis – wohl wissend, dass es nun auch seine Aufgabe ist, beim vorhanden Personal die Qualität zu steigern. „Wenn du lange nicht spielst und dann reinkommst, ist es schwierig, sich anzupassen. Dafür sind solche Testspiele super“, sagte Walter als Erklärung für die vielen Fehler, die ihn selber ärgerten.
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Walter glaubt an HSV-Talente
Wie schnelllebig das Fußballgeschäft manchmal sein kann und dass sich die Profis am meisten über Spielpraxis entwickeln, verdeutlichte der 45-Jährige am Beispiel von Mario Vuskovic. Der 19 Jahre alte kroatische Innenverteidiger rückte knapp vier Wochen nach seiner Verpflichtung in die Startelf, weil Kapitän Sebastian Schonlau im Heimspiel gegen Nürnberg (2:2) Gelb-Rot-gesperrt gefehlt hatte.
„In der Partie haben wir es mit Mario im Spiel probieren müssen und er hat gezeigt, dass er das hervorragend kann“, erinnert sich Walter. Was er nicht sagte: Vuskovic war an beiden Gegentoren beteiligt, indem er einen Elfmeter verursachte und vor dem zweiten Treffer der Gäste ein entscheidendes Kopfballduell verlor. Nach seinem Startelfdebüt musste der Leihprofi wieder für Schonlau weichen.
HSV: Auf dem Flügel fehlen Walter Alternativen
Von einem Startelfeinsatz unter Walter weit entfernt bleibt dagegen der in Wolfsburg getestete Muheim. Für den Schweizer, der vom FC St. Gallen geholt wurde, investiert der HSV immerhin eine Leihgebühr von rund 200.000 Euro. „Er hat viel Zug nach vorne und tritt mit seiner Spielweise frech und mutig auf“, hatte Sportdirektor Michael Mutzel nach seiner Verpflichtung gesagt. Doch zu sehen war davon bislang noch nichts.
Nach der Vorstellung in Wolfsburg darf bezweifelt werden, dass sich daran kurzfristig etwas ändert, auch wenn Walter den Linksfuß demonstrativ starkredete. „Miro bringt fußballerisch sehr viel mit, hat ein gutes Tempo. Er kann damit rechnen, dass er auch Spiele bekommt.“
Walter weiß, wie sehr ein formstarker Muheim für seine Spielweise von Bedeutung wäre. Gerade auf dem Flügel fehlen dem HSV-Coach die Alternativen. Auf der rechten Seite ließ er zuletzt Bakery Jatta und Manuel Wintzheimer abwechselnd spielen – doch beide Profis befinden sich momentan im Formtief.
Umso wichtiger wäre es für Walter, mehr Spieler im Kader zu haben, denen er ohne Bedenken das Vertrauen schenken kann. In Wolfsburg wurde deutlich, warum der Coach in der Liga auf bewährtes Personal setzt. Oder kommt nun alles ganz anders? „Ich kann jetzt nach und nach Jungs reinbringen“, sagt Walter. Die Fans dürfen gespannt sein.