Hamburg. HSV-Ikone Uwe Seeler spielt seit 1972 keinen Fußball mehr und ist dennoch so populär wie vor 50 Jahren. Auf den Spuren eines Phänomens.
Vor ein paar Tagen weilte Max Lorenz in der Stadt. Am Rande einer Veranstaltung erinnerte sich der 82 Jahre alte frühere deutsche Nationalspieler und langjährige Profi von Werder Bremen an seine erste Begegnung mit dem HSV-Star. „Das erste Mal Uwe Seeler im Weserstadion. Beim Warmmachen hat er mir die Hand gereicht und mir alles Gute gewünscht. Uwe wusste, dass ich als junger Spieler dabei sein würde. Das hat mir Kraft gegeben, unvergesslich!“
Extrem ehrgeizig auf dem Platz, zuweilen auch cholerisch gegenüber seinen Mitspielern, wenn es nicht wie gewünscht lief, aber immer mit dem nötigen Respekt für den Gegner – das zeichnete den Fußballer Uwe Seeler aus. „Gewinnen wollen, aber verlieren können“, lautete sein Motto, das er sogar nach dem verlorenen WM-Finale 1966 gegen England mit dem Wembley-Tor beherzigte. „Die Queen saß auf der Tribüne, da wollten wir keinen Ärger machen.“
Ein Idol mit 85 Jahren – das Geheimnis von Uwe Seeler
Disziplin und Fleiß – zwei weitere herausragende Eigenschaften Seelers. „Es ist ein Irrglaube, wenn einer sagt: Ich beherrsche eine Sache, die brauche ich nicht zu trainieren“, mahnte er. Wenn andere längst unter der Dusche standen, übte Seeler noch am Kopfballpendel und wurde mit seinen nur 1,68 Metern Körpergröße beim Flanken zum Riesen.
All das: lange her. Vor fast 50 Jahren hat Uwe Seeler seine Fußballkarriere beendet, mit einem Spiel einer Weltauswahl gegen seinen HSV, für den er eine Millionenofferte von Inter Mailand sausen ließ. Aber wenn Seeler heute seinen 85. Geburtstag feiert, ist seine Popularität ungebrochen. Wie schafft er das? Was ist das Geheimnis von „Uns Uwe“?
Unerkannt durch Hamburgs Straßen zu gehen, ohne einen lockeren Schnack mit Passanten oder einem Selfie? Unmöglich. „Bei Uwe haben die Menschen keine Hemmschwelle, sie sind begeistert, ihn leibhaftig vor sich zu haben“, beschreibt ihn HSV-Clubmanager Bernd Wehmeyer. „Und er geht genauso mit den Leuten um, ist alles andere als zurückhaltend oder abweisend.“
Uwe Seeler ist ein Anfasser, ein Menschenfreund. Wer sich mit ihm unterhält, hat schnell Seelers Hand auf seinem Arm liegen. Seeler ist nahbar, er sucht die Nähe, strahlt Verbindendes aus. Bis heute.
Uwe – einer von uns
„Das Schönste ist es, normal zu sein“, pflegt Seeler zu sagen. Sein Elternhaus hat ihn geprägt. „Mutter und Vater haben mich erzogen, wie es damals üblich war, und Bescheidenheit, Ehrlichkeit und Nächstenliebe gepredigt. Vadder hat immer gesagt. Denk dran, du kannst immer nur ein Steak essen. Besserwisser und Wichtigtuer sind nicht mein Ding.“ Logisch, dass auch sein Ferienhaus an der Nordsee liegt und nicht auf Mallorca.
Uns Uwe, das ist einer von uns. So heißt es immer. Dass so ein Ausnahmeathlet wie er die Bodenhaftung behielt, ist fast schon unnormal und hebt ihn dann doch aus der Masse heraus, macht ihn zu einem Unikat.
Schließlich war und ist Seeler einer der größten Torjäger, die Deutschland je herausgebracht hat, auch ohne einen großen Titel bei seinen vier WM-Endrundenteilnahmen 1958, 1962, 166 und 1970. 777 Tore erzielte Seeler zwischen 1954 und 1972 (HSV, Freundschaftsspiele, Nationalmannschaften, diverse Auswahlteams), plus rund 600 Tore in der Jugend. 14-mal stufte ihn das Fachblatt „kicker“ in seiner Rangliste als „Weltklasse“ ein.
Ilka Seeler – eine besondere Spielerfrau
Sein bester Treffer, so formuliert er es selbst, glückte ihm mit seiner Frau Ilka, mit der er seit 62 Jahren glücklich verheiratet ist. Eine starke Frau, nicht umsonst wird sie innerhalb der Familie gerne auch gelegentlich „die Regierung“ genannt. Wie ein „Mäuschen“, wie er sie liebevoll nennt (und sie ihn), hat sie sich schon während seiner Karriere nie verhalten.
Die klassische Rollenverteilung im Deutschland der 60er-Jahre interessierte die Seelers wenig. Statt brav dem Klischee entsprechend nur am heimischen Herd zu verharren, reiste sie mit dem Schiff zur WM 1970 nach Mexiko. Konflikten gingen sie beide nicht aus dem Weg: „Es muss auch mal knallen“, gibt Ilka einen Tipp für eine lange Ehe.
Sie rasten gemeinsam durch glorreiche Jahrzehnte. Deutscher Meister mit dem HSV 1960, Pokalsieger 1963, Ehrungen en masse. Dreimal wurde Uwe Seeler Deutschlands Fußballer des Jahres. Als erster Sportler überhaupt erhielt er das Bundesverdienstkreuz, die Bürgerschaft machte Hamburgs besten Botschafter zum Ehrenbürger. Ilka und Uwe überstanden aber genauso die wenig spaßige Ära als HSV-Präsident, in die jedoch, was viele vergessen, der Neubau des Volksparkstadions fällt.
Und auch im Alter geben sie sich Halt, obgleich der Alltag nicht immer fröhlich ist. Der Körper will nicht mehr so, wie Uwe sich das vorstellt. Auf die Frage, wie lange er leben möchte, sagt Seeler: „Das kommt darauf an, wie man sich fühlt. Aber ein paar Jährchen würde ich gern noch machen.“
Auch auf St. Pauli wird Uwe Seeler verehrt
Aber selbst wenn Uwe Seeler einmal nicht mehr da ist, wird sein Name nie in Vergessenheit geraten. Weil er die Sehnsucht vieler Fußballfans nach einer längst vergangenen Zeit weckt, nach Werten wie Treue, Bodenständigkeit und Bescheidenheit, die sogar beim FC St. Pauli als Vorbild dienen. „Uwe Seeler wird immer ein gern gesehener Gast bei uns sein, weil er für einen Fußball steht, der ein sanktpaulianischer Traum ist“, sagt Oke Göttlich. Zum Geburtstag schenkt ihm der Clubpräsident ein Foto mit Seeler im St.-Pauli-Trikot neben Roberto Blanco, aufgenommen am Millerntor während eines Benefizspiels.
Uwe Seeler gehört eben keinem ganz alleine, sogar seinem geliebten HSV nicht. Sondern uns allen.