Hamburg. Die Reserven werden von der Corona-Krise aufgebraucht. Wettstein setzt auf Signalwirkung der 50+1-Bewertung des Bundeskartellamtes.
Wenn Vorstände im Fußballgeschäft ein Interview mit der eigenen Medienabteilung veröffentlichen, hat das in der Regel einen einfachen Hintergrund: Sie wollen eine Botschaft transportieren – und Nachfragen vermeiden. Am Mittwochnachmittag äußerte sich HSV-Finanzvorstand Frank Wettstein auf hsv.de über die Auswirkungen der Corona-Krise auf seinen Club. Überschrift: „Das lässt sich nicht ins Unendliche fortsetzen.“
Wettsteins Botschaft, die er mitzuteilen hatte: Die Lage ist weiter ernst. Sehr ernst. 60 Millionen Euro Umsatzeinbußen prognostiziert der 47-Jährige für den Zeitraum der Corona-Pandemie, die noch lange nicht vorbei sei. Am Dienstag hatte Wettstein diese Zahlen auch den Aktionären der HSV Fußball AG mitgeteilt. „Wir sind alle besorgt, ob Gesellschafter, Vorstand oder Aufsichtsrat“, sagt Wettstein.
HSV: Vorstand bringt erneut Rechtsformänderung ins Gespräch
Auf der Suche nach Lösungen für die finanziellen Probleme bringt der Vorstand daher erneut eine mögliche Rechtsformänderung ins Gespräch. Seit drei Jahren diskutieren die Verantwortlichen im Hintergrund über den Plan, die AG in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) umzuwandeln. In dieser Rechtsform haben die Clubs die Möglichkeit, mehr als die von der DFL festgeschriebenen 50+1-Anteile an Investoren zu verkaufen, ohne dabei die Kontrolle über den Verein zu verlieren.
Wettstein gilt als Befürworter dieser Rechtsform, die er aus seiner Zeit bei Borussia Dortmund kennt. Gestärkt wurde seine Meinung jetzt durch eine Einschätzung des Bundeskartellamts, das die 50+1-Regel im deutschen Fußball mit dem geltenden Kartellrecht für vereinbar hält. Wettsteins Schlussfolgerung: „Nach der Begründung dürfte die Frage nach der geeigneten Rechtsform neue Nahrung erhalten, wenn selbst die Behörde in einer Kommanditgesellschaft auf Aktien einen regelungskonformem Wettbewerbsvorteil erkennt.“
50+1-Regel soll Einfluss externer Geldgeber begrenzen
Das Bundeskartellamt hatte am Montag im Auftrag der Deutschen Fußball Liga eine Einschätzung zur 50+1-Regel veröffentlicht. Die 1999 eingeführte Regel soll den Einfluss externer Geldgeber begrenzen und sieht vor, dass der Stammverein nach der Ausgliederung seiner Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft weiter die Mehrheit der Stimmenanteile besitzen muss. Äußerst kritisch sieht die Behörde die Ausnahmegenehmigungen für den VfL Wolfsburg, Bayer Leverkusen und 1899 Hoffenheim. Begründung: negative Auswirkungen auf die Ausgeglichenheit des Wettbewerbs.
Doch was bedeutet diese Bewertung nun für die Clubs und im Speziellen für den HSV? Schafft die DFL die 50+1-Regel ab, wie Hannover-96-Präsident Martin Kind hofft? Wohl kaum. „Wenn das Bundeskartellamt bei seiner Auffassung bleibt, wird das die 50+1-Regel stärken“, sagt Stefan Horn. Der 38-Jährige ist Rechtsanwalt bei der Hamburger Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing und berät zu allen Fragen des deutschen und EU-Kartellrechts, auch bei der Anwendung im Sport. Horn geht davon aus, „dass die DFL nicht die Grundregel von 50+1 abschafft, sondern die Ausnahme von der Grundregel, die für die Clubs Hoffenheim, Leverkusen und Wolfsburg greift“.
HSV: Rechtsformänderung könnte zu mehr Eigenkapital führen
Beim HSV ist die Gemengelage eine andere. Weil in der aktuellen Satzung der Anteilsverkauf auf 24,9 Prozent begrenzt ist, würde ein Fall der 50+1-Regel ohnehin nicht die Konsequenz bedeuten, mehr Anteile verkaufen zu können. Aber auch das diskutierte KGaA-Modell sei nicht geeignet, um einen Investor in den Club einzubinden, meint Horn. „Das KGaA-Modell wird dem HSV keinen Vorteil bei Investoren bringen. Der Investor erhält keine Kontrolle über den Club – so wie bei der Grundregel. Dann wird der Investor aber möglicherweise auch nicht bereit sein, zu investieren – so wie bei der Grundregel“, sagt der Jurist.
Für den HSV geht es aber vielmehr darum, perspektivisch überhaupt in der Lage zu sein, Eigenkapital zu beschaffen. Eine Rechtsformänderung könnte das ermöglichen, wenn in der KGaA-Form weitere Kleininvestoren oder sogar Fans Anteile kaufen könnten, während der HSV e. V. die Stimmenmehrheit behält.
Corona-Krise ist kritisch für wirtschaftliche Lage des HSV
Wie kritisch die Corona-Krise für die wirtschaftliche Lage des HSV ist, verdeutlichen die Aussagen von Wettstein. Der HSV ist im Gegensatz zu Clubs wie Werder Bremen und Schalke 04 zwar noch recht stabil durch die Pandemie gekommen, gut geht es den Hamburgern aber nicht. „Bisher gelang uns der Ausgleich zu jeweils einem Drittel aus Finanzierungsmaßnahmen, aus Kostenreduktionen und zulasten unserer angesparten Reserven“, sagte Wettstein. Nach Abendblatt-Informationen ist das Bankguthaben des HSV bereits aufgebraucht. Der Club hat bei den Instituten allerdings noch freie Kreditlinien.
Auf eine schnelle Entscheidung über die Rechtsformänderung kann Wettstein aber nicht hoffen. Bei der nächsten Mitgliederversammlung, die voraussichtlich am 8. August stattfindet, muss zunächst ein neues Präsidium gewählt werden. Sollte der im Februar zurückgetretene Marcell Jansen mit einem neuen Team antreten, könnte das KGaA-Thema an Fahrt aufnehmen. Grundsätzlich stellt sich dann auch die Frage, ob der Club nach einer Umwandlung überhaupt potenzielle Investoren finden würde und ob ein Verkauf zu einem Zeitpunkt Sinn ergibt, wenn der HSV in der Zweiten Liga spielt. 2014 hatte der Verein seine AG-Anteile schon einmal unter Wert an Investor Klaus-Michael Kühne verkauft.
Klar ist angesichts der anhaltenden Corona-Krise nur eines: Der HSV wird Kapital brauchen. Möglichst bald.