Hamburg. Beim HSV bricht der Umsatz coronabedingt um die Hälfte ein. Der einzige Ausweg: die Bundesliga. Ein exklusives Rechenspiel.
Es war noch früh am Dienstagmorgen, als der HSV finanzielle „Großigkeiten“ zu verkünden hatte. „Bobby Wood verlässt den HSV vorzeitig“, stand über dem Bulletin, das die Clubmedien über sämtliche Kanäle verbreiteten und das den HSV – salopp gesprochen – eine Stange Geld einsparen lässt.
„Der im Sommer auslaufende Vertrag des US-Amerikaners wurde in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst. Der 28-jährige Stürmer hat bereits einen Anschlusskontrakt in seinem Heimatland bei Real Salt Lake aus der Major League Soccer unterschrieben, für die er zukünftig auf Torejagd gehen wird“, hieß es. Was in der Sechs-Sätze-Nachricht nicht stand: Damit endet vorzeitig auch eines der größten finanziellen Missverständnisse der jüngeren HSV-Historie.
Geld kann der HSV gut gebrauchen
Mit 3,5 Millionen Euro war Wood zu Bundesligazeiten einer der am besten bezahlten HSV-Profis aller Zeiten – und auch nach dem Abstieg konnte er sich trotz geringfügiger Anpassungen noch immer die Erdnüsse zum Bier leisten. Nun geht der gebürtige Hawaiianer zurück in die US-Heimat – und lässt den HSV trotz einer kolportierten Abfindung zumindest ein paar Hunderttausend Euro Restgehalt einsparen.
Vorsichtig formuliert: Das Geld kann der HSV gut gebrauchen. Zwar macht sich noch immer niemand existenzielle Sorgen auf der Geschäftsstelle, aber natürlich sind die Pandemie-Folgen heftig. Nach Abendblatt-Informationen wird der Umsatz von zuletzt 95,7 Millionen Euro in diesem Geschäftsjahr coronabedingt um die Hälfte einbrechen.
Mehr als 25 Millionen Euro brechen dem HSV weg
Ein Blick in die Geschichtsbücher reicht, um die Dimensionen greifbar zu machen. So hatte der HSV in diesem Jahrtausend noch nie die Umsatzhürde von 50 Millionen Euro unterschritten. Das letzte Mal war in der Saison 1999/2000, als die HSV-Chefs einen Umsatz von 75,6 Millionen Mark (also 38,6 Millionen Euro) vermeldeten. Josha Vagnoman war damals noch nicht geboren, das neue Volksparkstadion noch nicht fertiggestellt.
Man muss allerdings keinen Universitätsabschluss in BWL oder VWL haben, um die Gründe für den Einbruch zu finden. Mehr als 25 Millionen Euro werden dem HSV durch fehlende Zuschauereinnahmen in dieser Saison wegbrechen.
HSV erhielte bei Aufstieg 35 Millionen Euro TV-Geld
Allein im VIP-Bereich hätte der Verein Einnahmen von vier Millionen Euro verbucht, die in der kommenden Spielzeit unter zwei Voraussetzungen sogar auf sechs Millionen Euro anwachsen könnten. Erstens: Die Corona-Lage ist zur neuen Saison endlich im Griff. Und zweitens: Der HSV spielt wieder in der Bundesliga.
Und genau hier liegt des Rätsels Lösung. So dürfte sich der HSV nach einem Aufstieg allein bei den TV-Geldern über 35 statt derzeit 19 Millionen Euro freuen. Auch im Sponsoring kalkuliert der Club mit rund fünf Millionen Euro mehr in der Ersten als in der Zweiten Liga. Bestes Beispiel: Hauptsponsor Orthomol.
HSV könnte bei Aufstieg Trikotsponsor wechseln
Wie das Abendblatt erfuhr, hat der HSV die einseitige Option, im Falle eines Aufstiegs in die Bundesliga einen neuen Trikotsponsor zu finden. Bislang zahlt der Produzent von Nahrungsmittelergänzungen zwei Millionen Euro pro Jahr. Zum Vergleich: In guten Bundesligajahren hat Vorgänger Emirates 7,5 Millionen Euro pro Saison überwiesen.
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Ob der HSV einen Partner in ähnlichen Sphären finden würde, ist zwar äußerst unwahrscheinlich. Innerhalb des Clubs ist man allerdings sehr optimistisch, im Falle eines Aufstiegs einen zahlungskräftigeren Hauptsponsor zu finden. Zudem sei man auf der sicheren Seite. Denn Orthomol würde weiterhin Sponsor bleiben – und im Fall des Nicht-Aufstiegs würde sich an den aktuellen Konditionen nichts ändern.
Der größte HSV-Trumpf in der Corona-Rechnung bleibt die Stadt Hamburg
Anders als vor einem Jahr, als eine ganze Reihe von Verträgen mit Partnern ausliefen, fühlt sich der HSV in diesem Sommer gewappnet. Die Verträge mit Ausrüster Adidas und Ärmelsponsor Popp laufen weiter, die Partnerschaften mit den Dienstleistern Aramark und Onside wurden gerade erst verlängert.
Doch der größte HSV-Trumpf in der Corona-Rechnung ist und bleibt die Stadt Hamburg. Sobald sämtliche Grundbucheintragungen erledigt sind, darf sich der Club auf die vereinbarten 23,5 Millionen Euro für das Stadiongelände freuen. Diese verschaffen dem HSV die dringend benötigte Luft, um in Corona-Zeiten weiter zu atmen.
HSV könnte sogar als Krisengewinnler hervorgehen
Anders als so viele Konkurrenten muss Finanzvorstand Frank Wettstein dank des Deals mit der Stadt nicht zur KfW-Bank laufen, um nach weiteren Krediten zu fragen. Nach Schalke, Stuttgart, Frankfurt und Werder hatte zuletzt auch der 1. FC Köln 20 Millionen Euro Staatshilfen beantragt, von denen in den kommenden Jahren jährlich fünf Millionen Euro (plus Zinsen) zurückgezahlt werden müssen. Beim HSV sind es dagegen „nur“ 500.000 Euro Erbpachtzinsen.
Bilder vom HSV-Training am Dienstag:
Wood-los im Volkspark: HSV startet in aktive Zwangspause
Trotz aller finanzieller Schwierigkeiten könnte der HSV am Ende der Corona-Krise wegen des Vertrags mit der Stadt sogar als Krisengewinnler hervorgehen. Auch ein Ende der 80-Prozent-Kurzarbeit, die für zwei Drittel der Angestellten beantragt wurde, soll in Sicht sein.
Überschaubare Kaderkosten
Zwar droht den Hamburgern im laufenden Geschäftsjahr erneut ein zweistelliges Millionenminus, das im Vergleich zu anderen Großclubs aber noch moderat ausfallen soll. Im Jahr 2020 musste Dortmund zum Beispiel einen Verlust in Höhe von 43,5 Millionen Euro ausweisen. Für das laufende Geschäftsjahr rechnet der BVB mit einem Minus zwischen 70 und 75 Millionen Euro.
Allerdings scheinen die Kaderkosten des HSV im Vergleich zu so einem Branchenriesen wie Dortmund überschaubar. Während der BVB mehr als 110 Millionen Euro für seine Profis ausgibt, plant der HSV im Falle des Aufstiegs mit einem Mannschaftsetat von 33 bis 35 Millionen Euro.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Bei Nicht-Aufstieg müsste der aktuelle Etat von rund 24 Millionen Euro auf rund 20 Millionen Euro reduziert werden. Die Verbindlichkeiten von 74 Millionen Euro (Stichtag: 30. Juni 2020) sollen auch zehn Monate später in einer ähnlichen Größenordnung liegen – und dürften vor allem im Fall des Aufstiegs weiter abgebaut werden können.
Im Hinblick auf die erhoffte Rückkehr in die Bundesliga sind aber die entscheidenden Zahlen nicht in Wettsteins Excel-Tabellen zu finden, sondern an Spieltagen auf der Anzeigetafel. Und da stand zuletzt gegen Darmstadt ein wenig erfreuliches 1:2.