Hamburg. Der Bruder eines Spieles des HSV Hamburg bricht zusammen. Die Zuschauer im betreffenden Block reagieren geistesgegenwärtig.
Es war 16.28 Uhr am Sonntagnachmittag, als das Handball-Bundesligaspiel des HSV Hamburg (HSVH) gegen die MT Melsungen von einem auf den anderen Moment vollkommen egal war. Die mehr als 3000 Zuschauer in der Sporthalle Hamburg waren verstummt, nachdem auf der Tribüne eine Person bewusstlos zusammengebrochen war. Konkret handelte es sich um den jüngeren Bruder von HSVH-Rechtsaußen Thies Bergemann.
Abbruch beim HSV Hamburg: „Es gibt Wichtigeres als Handball“
Um kurz nach 17 Uhr trat HSVH-Geschäftsführer Sebastian Frecke aus den Katakomben auf das Spielfeld. Die betroffene Person befand sich zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise wieder bei Bewusstsein, war ansprechbar. „Es gibt Wichtigeres als Handball“, bat Frecke in einer kurzen Ansprache für Verständnis für den Spielabbruch, auf den sich beide Teams verständigt hatten.
„Alle sind geschockt, das ist eine schlimme Geschichte, wenn so etwas passiert. Für die Mannschaft ist es besonders schlimm, dass der medizinische Notfall direkt aus dem familiären Umfeld kommt“, sagte HSVH-Präsident Marc Evermann. Geschäftsführer Frecke half persönlich mit beim Heraustragen der Person aus der Halle. „Man versucht in diesen Momenten einfach zu funktionieren. Ich habe als Geschäftsführer auch eine Verantwortung für jeden Gast in der Halle“, sagte Frecke. „Man muss hohen Respekt davor zollen, wie die Fans reagiert haben. Das zeigt einmal mehr, dass wir eine Familie sind.“
HSVH-Profi Bergemann eilte zu seinem Bruder
Bergemann war seinem Bruder hinterhergeeilt, vergrub sein Gesicht geschockt in seinem Trikot. Zunächst gingen beide Mannschaften für eine vorgezogene Halbzeitpause in die Kabinen. „Wir haben nach einem Gespräch in der Kabine festgestellt, dass die Jungs von der Rolle und nicht in der Lage waren, die Partie fortzusetzen“, berichtete Evermann, der sich gemeinsam mit Vizepräsident Martin Schwalb und den Geschäftsführern Sebastian Frecke und Florian Gehre sowie dem Trainergespann im Kabinentrakt beraten hatte.
Bergemann selbst telefonierte offenbar mit seiner Familie, berichtete der Mannschaft dann in der Kabine, dass sein Bruder wieder ansprechbar sei und aufrecht sitze. Nachdem zunächst Unklarheit über das weitere Vorgehen geherrscht hatte, entschieden sich Evermann und Co. für einen Abbruch. „Wir haben als Präsidium entschieden, der Mannschaft die Entscheidung abzunehmen“, sagte der Vereinspräsident.
Nach dem Abbruch kamen die Spieler wieder in die Halle, viele suchten den Kontakt zu ihren eigenen Familien und Partnerinnen. „Es war sofort klar, dass wir nicht in der Lage sind, das Spiel fortzusetzen. Da kann man sich nicht mehr über Tore, Paraden oder andere Banalitäten freuen“, sagte HSVH-Kapitän Lukas Ossenkopp. Auch die Melsunger Spieler hätten umgehend Verständnis für die Situation gezeigt, berichtete er.
Geschäftsführer Frecke erzählte, dass Bergemann gefasst sei, sicherte ihm und dem restlichen Team jedoch größtmögliche Unterstützung zu.
HSVH gegen Melsungen wird wohl neu angesetzt
„Wir werden über die Situation sprechen. Wenn jemand mit ausgebildetem Personal sprechen möchte, stellen wir das zur Verfügung“, sagte er. Auch Co-Kapitän Niklas Weller zeigte große Empathie. „Wir können jetzt nur mit Thies sprechen und für ihn da sein. Für ihn ist jetzt aber wichtig, erst einmal bei seiner Familie zu sein“, sagte der Kreisläufer.
Zum Zeitpunkt des Spielabbruchs führte Melsungen mit 11:8. „Ich gehe davon aus, dass das Spiel neu angesetzt wird. Ich bedanke mich auch für das Verständnis der MT Melsungen, die dem Abbruch zugestimmt hat“, sagte Evermann. Bevor die spielleitende Stelle über den Willen zum Abbruch informiert wurde, hatten sich die Verantwortlichen der Vereine über das Vorgehen gemeinsam abgestimmt. Wegen der anstehenden Länderspielpause bestreitet der HSVH das nächste reguläre Spiel erst am 14. November beim HC Erlangen. Ob und wann ein Nachholspiel terminiert wird, war am Sonntagabend noch unklar.
Der Sport war sowieso längst in den Hintergrund gerückt. „Wichtig ist erst einmal, dass der junge Mann wieder gesund wird“, sagte Frecke zum Abschluss.