Hamburg. Der Trainer des HSV Hamburg spricht über den beeindruckenden Bundesliga-Saisonstart, Teamgeist und Akribie im Training.

Torsten Jansen kommt gerade aus dem Kraftraum, als er das Abendblatt auf der Geschäftsstelle des HSV Hamburg (HSVH) zum Interviewtermin empfängt. Der 44 Jahre alte Trainer der Bundesliga-Handballer trägt kurze, rote Trainingskleidung, schiebt sich schnell noch ein paar Pfirsichstücke in den Mund. Gesunde Ernährung und Sport sind dem Weltmeister von 2007 auch heute noch extrem wichtig.

Obwohl Jansen seine aktive Karriere im Jahr 2016 beendet hatte, wirkt er auf den ersten Blick genauso austrainiert wie seine Spieler. Die sorgen nach dem Aufstieg im vergangenen Juni in der Ersten Liga für Furore, holten fünf Siege aus den ersten neun Spielen.

Handball: HSVH spielt gegen MT Melsungen

Jansen hat daran einen entscheidenden Anteil. Das beste Beispiel ist Kapitän Niklas Weller (28), der vor sechs Jahren noch für den TSV Ellerbek in der Oberliga aktiv war, sich unter dem ehemaligen Weltklasse-Linksaußen des HSV Handball aber im Eiltempo zu einem Kreisläufer mit Bundesligaformat entwickelte. Eigengewächse wie Spielmacher Leif Tissier (21) oder Dominik Axmann (22) formte Jansen bereits als A-Jugendtrainer beim HSVH.

Wenn die Hamburger an diesem Sonntag (16 Uhr/Sky) das Starensemble der MT Melsungen in der Sporthalle Hamburg empfangen, sind sie zwar nicht der Favorit, aber dennoch alles andere als ein hoffnungslos unterlegener Underdog. Das Mannschaftsgefüge ist intakt, sechs Neuzugänge haben sich im Sommer geräuschlos eingefügt.

Bitter und Mortensen verleihen HSVH Klasse

Stars wie Keeper Johannes Bitter (39) oder Linksaußen Casper Mortensen (31) bereiten keinen Ärger, sondern verleihen dem Aufsteiger in entscheidenden Momenten individuelle Klasse. Gründe genug, um mit dem Erfolgscoach nach dem Saisonstart über seine Trainerphilosophie, den besonderen Zusammenhalt im Team und seltene Wutausbrüche zu sprechen.

Hamburger Abendblatt: Herr Jansen, Sie stehen als Aufsteiger auf Platz vier in der Bundesliga. Interessiert Sie die Tabelle wenigstens ein bisschen?

Jansen: Nein, wir wollen sehen, dass wir Punkte sammeln. Welche Platzierung man zwischendurch hat, interessiert keinen. Es ist schön, wenn man eine Etappe gewinnt. Wenn man am Ende der Tour de France aber ganz hinten steht, kann man sich nichts davon kaufen. Nur dass man in unserem Fall auch noch absteigen würde.

Es gab bisher kein Spiel, nach dem Ihr Team nicht von gegnerischen Trainern und Spielern gelobt wurde. Für viele Außenstehende besitzt der HSVH das Potenzial für einen Mittelfeldplatz. Vielleicht haben Sie ja gar kein Team, das gegen den Abstieg spielt?

Jansen: Das müssen wir in jedem Spiel wieder beweisen. Die Lorbeeren von gestern zählen im nächsten Spiel überhaupt nicht. Wir können aus solchen Aussagen Selbstvertrauen ziehen, müssen aber jedes Spiel gewinnen wollen. Die Einstellung ist für mich immer das alles Entscheidende.

In der Saisonvorbereitung lag ein Hauptaugenmerk auf der Integration der Neuzugänge. Die scheint bisher gut funktioniert zu haben …

Jansen: Wenn man sechs neue Spieler hat, ist es für alle wichtig, dass man sich kennenlernt. Außerhalb des Platzes, aber natürlich auch auf dem Platz, damit man Automatismen entwickeln kann. Deshalb war mir in der Vorbereitung eher die Spieltaktik des gesamten Gefüges wichtig. Individuelle Dinge können wir jetzt wieder vermehrt trainieren. Teambuilding passiert bei uns sowieso auf dem Platz, wächst von innen heraus. Wir brauchen das nicht künstlich durch irgendwelche Events zu erzeugen.

Als Spieler wurden Sie im Jahr 2010 in einem Interview auf den Zusammenhalt beim damaligen HSV Handball angesprochen. Ihre Antwort war damals: „In dem professionellen Sport, in dem wir uns befinden, trifft man sich nicht mehr zufällig im Dorf zum Kartenspielen.“ Obwohl Hamburg heute immer noch kein Dorf ist, treffen sich Ihre Jungs aber sehr wohl zum Kartenspielen, oder?

Jansen: Damals haben die Spieler deutlich weiter auseinander gewohnt, einer in Norderstedt, der andere in Quickborn. Wir hatten auch noch nicht eine feste Trainingshalle wie heute, sondern mussten in mehreren Hallen in der ganzen Stadt spielen. Das hat es schwieriger gemacht. In der aktuellen Mannschaft kennen sich die Jungs schon lange, Lukas Ossenkopp, Jan Forstbauer und Niklas Weller sind seit der ersten Stunde dabei. Viele andere Jungs spielen schon seit der Jugend zusammen. Es sind andere Beziehungen, als wir sie damals hatten. Damals sind auch Freundschaften entstanden – aber nicht so sehr wie heute. Bei den Neuzugängen achten wir auch sehr darauf, dass sie menschlich ins Team passen.

Im Gegensatz zu manchen anderen Mannschaften scheint immer eine gewisse Grundmotivation in Ihrem Team zu herrschen, kein Spieler lässt sich zwischendurch mal gehen. Wie schaffen Sie das?

Jansen: Ich gucke weniger auf die anderen Mannschaften, sondern sehe das, was wir hier haben. Ich freue mich, dass wir Jungs haben, die so ticken. Dadurch macht das Spaß, hier zu arbeiten – wobei ich das nicht als Arbeit, sondern als leidenschaftliche Geschichte sehe.

Wie wichtig ist es, den Spielern auch Freiräume zu gewähren?

Jansen: Ich will ihnen immer die Freiheit geben, auch individuell trainieren zu können. Jeder Spieler, der beispielsweise nebenbei studiert, soll sich seine Einheiten auch individuell gestalten können. Da vertraue ich den Jungs, weil sie alle eine hohe Eigenmotivation haben. Sie wissen, wie sie ihr Kraftprogramm auch allein durchziehen können. Wir haben natürlich gemeinsame Trainingszeiten, die alle mitmachen müssen. Davor und danach möchte ich jedem aber so viel Flexibilität wie möglich gönnen.

Wie teilen Sie sich die Aufgaben mit Ihrem Co-Trainer Blazenko Lackovic auf?

Jansen: Wir unterhalten uns grundsätzlich viel über Handball, sprechen vor und nach dem Spiel oder Training, meistens auch während des Trainings. Lac soll mir und der Mannschaft immer seine Meinung sagen, wir haben hier bewusst flache Hierarchien. Am Ende habe ich aber den Hut auf und muss die Entscheidungen verantworten. Ich bekomme auch ein bisschen mehr von außerhalb mit. Egal, ob das Interviewtermine wie jetzt gerade oder Gespräche mit der Geschäftsführung oder medizinischen Abteilung sind.

Wie würden Sie sich als Trainer selbst beschreiben?

Jansen: Ich sage den Jungs immer wieder, wie wir spielen wollen, mit geduldigen Angriffen, vielen Pässen, schnell ausgeführten Freiwürfen. Das erzähle ich ihnen vor jedem Training, nach jedem Training und vor jedem Spiel. Manchmal komme ich mir wie eine Gebetsmühle vor.

Das klingt sehr akribisch. Haben Sie sich persönlich durch den Wechsel vom Feld an die Seitenlinie verändert?

Jansen: Durch den Perspektivwechsel sieht man jetzt das große Ganze. Niemand bekommt mit, wenn einzelne Spieler nach dem Training zu mir kommen und sprechen wollen. Bei mir läuft jetzt als Trainer fast alles aus der Mannschaft zusammen. Heute verstehe ich auch manche Entscheidungen meiner ehemaligen Trainer besser.

Wie oft sind Sie selbst noch im Kraftraum?

Jansen: Ich versuche, täglich etwas zu machen. Das brauche ich für meinen Kopf und Körper als Ausgleich, fühle mich danach besser. Ansonsten sitzt man zu viel rum und analysiert stundenlang irgendwelche Spielszenen.

Und spielen Sie im Training auch noch ab und zu mit?

Jansen: Die Zeiten sind vorbei (lacht). Wenn ich mehr als dreimal auf das Tor werfe, habe ich am nächsten Tag Schulterschmerzen. Wenn, dann muss ich mich vorher ordentlich warm machen. Ich mache mir da mehr kaputt, als dass es Sinn machen würde. Grundsätzlich möchte ich aber so fit wie möglich bleiben. Ich war gerne Spieler, hätte noch zehn Jahre weiterspielen können. Irgendwann habe ich aber gemerkt, dass der Körper nicht mehr mitmacht. Meine Sprungkraft wurde schwächer, die Trefferquote ist gesunken.

Auch interessant

Sie gelten als extrem besonnener und ausgeglichener Mensch. In der vergangenen Woche sind Sie in der zweiten Halbzeit gegen Balingen-Weilstetten aber auf einmal ungewohnt deutlich geworden, haben Ihrem Team in einer Auszeit gesagt, es solle die „Traumsachen“ unterlassen, gefolgt von einem scharfen „Verstanden?!“. Sie haben Ihre Mannschaft zwar nicht angebrüllt – aber für Ihre Verhältnisse war das ein richtiger Wutausbruch.

Jansen: Da war ich auch zu Recht sauer. In solchen Situationen muss man ihnen auch mal sagen, dass sie seriös spielen sollen. In der Regel machen sie das ja auch. Eine gewisse Grundeinstellung muss immer da sein.