Hamburg. Nach langer Leidenszeit kehrt Finn Wullenweber beim HSV Hamburg in den Kader zurück. Heute Heimspiel gegen Dresden.

Finn Wullenweber ist ein bekanntes Gesicht im Lans Medicum am Stephansplatz. Am Empfang ein „Moin“, im Wartezimmer ein „Wie geht’s?“, im Athletikraum ein „Na, auch wieder da“. Man kennt sich, man kennt ihn, den groß gewachsenen Handballer des HSV Hamburg.

Knapp sechs Monaten arbeitete der Patient Wullenweber im Hamburger Sport- und Regenerationszentrum an seinem Comeback. Nach 174 Tagen Leidenszeit kehrt der 22-Jährige am Freitag (20 Uhr, Sporthalle Hamburg/Sportdeutschland.tv) im Zweitligaheimspiel gegen Dresden zurück in den Kader.

Wullenweber ist noch nicht bei 100 Prozent

„Ich habe am Mittwoch grünes Licht vom Arzt bekommen“, berichtet der wurfstarke Rückraumlinke. Passen, springen, werfen: Nach einem Knochenödem in der Wirbelsäule tastet er sich langsam zurück ins Mannschaftstraining.

Eine schmerzhafte und bewegungsblockierende Wasseransammlung im vierten Lendenwirbel hatte den Shootingstar der Vorsaison gestoppt. „Noch bin ich nicht bei 100 Prozent. Aber natürlich sitze ich am Freitag lieber auf der Bank als auf der Tribüne“, sagt Wullenweber.

Zweitbester Feldtorschütze der vergangenen Saison

Im August im Pokal in Hagen lief „Stulle“, wie ihn alle nennen, ein letztes Mal für den HSVH auf. 19 Spiele hat der aus Stelle stammende Sportstudent seitdem verpasst. Dabei wurde Wullenweber nie zuvor mehr vermisst als zuletzt nach den enttäuschenden Pleiten im Weihnachtsspiel gegen Ferndorf (20:24) und am vergangenen Sonntag beim 23:32 in Dormagen. Im Angriff aus der Ferndistanz fehlte die Durchschlagskraft; im Zusammenspiel stockte es gewaltig.

Einfache Tore aus dem Rückraum – dafür steht der Kanonier. „Finn ist in unserem Spiel eine wichtige Option. Das hat er bewiesen“, sagt Trainer Torsten Jansen über den zweitbesten Feldtorschützen der vergangenen Saison. 118 Treffer in 32 Spielen steuerte Wullenweber zum Klassenerhalt bei.

Sein Vertrag läuft bis Juni 2023

Nur Philipp Bauer (128 Tore) und Lukas Ossenkopp (154/davon 71 Siebenmeter) trafen häufiger. Beiden geht aktuell im Rückraum die Torgefahr ab. Der angeschlagene Bauer ist nach Formschwankungen nur viertbester Werfer der Hamburger, Kapitän Ossenkopp agiert in der Abwehr stärker als im Angriff, wo nun Niklas Weller die Siebenmeter wirft.

Wullenweber, seit der U 13 im Verein, besitzt bis Juni 2023 die längste Vertragslaufzeit, was ihn per se zum Hoffnungsträger macht. „Finn ist mit seiner Dynamik und Wurfqualität ein wichtiger Spieler für unsere Zukunft, der in den kommenden Jahren das Gesicht unserer Mannschaft prägen wird“, sagte HSVH-Präsident Marc Evermann im Juli 2019.

Der ältere Bruder musste seine Karriere früh beenden

Einen Monat später begann die Leidenszeit, die – zumindest außerhalb des Clubs – Fragen nach der versprochenen Zukunft aufkommen ließ. Die Aufstiegssaison 2017/18 verpasste Wullenweber mit nur zehn Teileinsätzen. Zwei Muskelfaserrisse, Schulter- und Kniebeschwerden setzten ihn außer Gefecht, nun das Rückentrauma am Ende einer intensiven Sommervorbereitung.

Hält Wullenwebers Körper den Belastungen des Leistungssports nicht stand? Zumal in einer nicht zimperlichen Kontaktsportart? Bruder Marvin (27) hatte das Handballspielen nach anhaltenden Patellasehnenbeschwerden früh aufgeben müssen.

Rücken wird sich vollständig erholen

„Ich bin weit weg davon zu sagen: ,Das war’s jetzt.‘ Ich hatte nie eine große Verletzung wie einen Kreuzbandriss. Dann würde ich mir eher Gedanken machen“, antwortet Wullenweber. Die Muskelverletzungen habe er mit einer Ernährungsumstellung hin zu weniger Fleisch in den Griff bekommen.

Die aktuelle Zwangspause sei zwar lang gewesen, „die Ärzte haben mich aber beruhigt. Der Rücken wird sich vollständig erholen.“ Eine Zweitmeinung beim Spezialisten in Hannover bestätigte den konservativen Therapieansatz aus Physio, Stabilisation und Kräftigung des Rumpfes.

Ursache des Ödems ist unklar

Alle zwei Monate wurde ein MRT erstellt, „die Wasseransammlung ging deutlich zurück“, sagt Wullenweber, der zu Beginn der Beschwerden nicht einmal eine Tüte mit dem Einkauf halten konnte. „Es war eine schwere Zeit. Ich habe viele Gedanken an diese Verletzung verschwendet“, sagt er. Freundin und Familie „mussten viel aushalten“. Sie sprachen ihm gut zu. Auch die Wertschätzung im Verein half. Dazu ging’s zum Jahreswechsel in den Urlaub nach Dubai. Raus aus dem Reha-Trott, einfach mal abschalten.

Die Ursache des Ödems ist nicht zweifelsfrei zu benennen, sagt Wullenweber. Einer körperlichen Überbelastung wolle er künftig jedoch vorbeugen, im Kraft- und Fitnesstraining dosierter vorgehen als im Sommer. Die von HSVH-Geschäftsführer Sebastian Frecke angekündigte Ausweitung des sportwissenschaftlichen Personals würde Wullenweber im Sinne der individuellen Trainingssteuerung begrüßen.

„Jetzt merke ich am Muskelkater, dass ich sechs Monate keine Bälle geworfen habe“, sagt er. Ein schöner Schmerz, bringt er ihn doch zurück aufs Spielfeld.