Hamburg. Handballtrainer Michael Biegler spricht über das Ende in Hamburg, die EM und sein mögliches Engagement als Entwicklungshelfer.

29:11 Punkte, Tabellenplatz vier. Und das mit einer neuen, weitgehend unbekannten Mannschaft, während der Club um die Existenz ringt. Die Bilanz von Michael Biegler als Trainer der HSV-Handballer in der Bundesliga ist bemerkenswert. Und doch wertlos: Nach Insolvenz, Lizenzentzug und dem Rückzug aus der Bundesliga wurden dem deutschen Meister von 2011 alle Punkte aberkannt.

Hamburger Abendblatt: Herr Biegler, Sie haben bis Januar die HSV-Handballer und die polnische Nationalmannschaft trainiert. Jetzt gibt es den HSV nicht mehr, und als Nationaltrainer sind Sie nach dem Verpassen des Halbfinales bei der Heim-EM zurückgetreten. Wie haben Sie all das verarbeitet?

Michael Biegler: Gut. Zum einen gibt es wichtigere Dinge als Handball. Zum anderen ist es sportlich gut gelaufen. Im Fall des HSV sogar überragend. Wir haben in Hamburg eine völlig neue Trainings- und Spielphilosophie aufgebaut. Was mich glücklich macht: dass praktisch alle Spieler einen neuen Verein gefunden haben. Auch Drasko Nenadic wird nach seiner Rehabilitation im Sommer woanders unterkommen. Das Interesse an diesen Spielern ist ja nicht entstanden, weil sie so überragende Einzelkönner sind, sondern aufgrund der Art und Weise, wie sie zusammengespielt haben.

Sie selbst sind noch ohne neue Aufgabe. Wollten Sie erst einmal Abstand haben?

Biegler : Es gab schon Ende Dezember das Angebot, nach der EM eine neue Mannschaft zu übernehmen. Aber ich war zu der Erkenntnis gekommen, dass es bei diesem Club eines Trainers bedurfte, der die Mannschaft im Januar auf die Rückrunde vorbereiten kann.

Heißt das, Sie glaubten zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr, dass der HSV die Rückrunde spielt?

Biegler : Langsam, wir reden hier über Mitte Januar. Ich hatte bis dahin weder vom Insolvenzverwalter noch von sonst jemandem etwas Konkretes zum HSV gehört. Daran konnte man schon merken, dass da null Bewegung mehr war. Und es waren bereits Spieler weg. Der HSV war zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr die Aufgabe, auf die wir uns verständigt und für die wir mit dem polnischen Verband um meine Freigabe verhandelt hatten.

Wie schwierig war es, sich auf die EM vorzubereiten, während in Hamburg gerade alles zusammenbrach?

Biegler : Es fiel mir nicht schwer, das auszublenden. Ich habe eine klare Ausrichtung auf das, was im jeweiligen Moment wichtig ist. Meine Informationen bezüglich des HSV waren ohnehin begrenzt. Wir hatten in Polen bis zu acht Trainingseinheiten am Tag. So ein Großereignis hat ja schon seinen eigenen Rhythmus, erst recht wenn es im eigenen Land stattfindet. Wir hatten sehr viel Druck, ich habe versucht, ihn von der Mannschaft zu nehmen. Es war für die Polen eine fantastische Europameisterschaft – mit dem Makel, dass wir unser Ziel Halbfinale nicht erreicht haben. Den Modus habe ich übrigens nicht bemängelt …

… Sie hatten nur einen Tag Pause, die Kroaten hingegen, gegen die Sie das entscheidende Spiel verloren, drei …

Biegler: … ich glaube, dieser Modus wird nie wieder angewendet. Trotzdem hätte die Niederlage nicht mit 14 Toren Unterschied ausfallen dürfen. Dafür habe ich mit meinem Rücktritt die Verantwortung übernommen. Das hätte ich übrigens beim HSV auch so gemacht, wenn wir nach der Auftaktniederlage in Leipzig weitere Spiele verloren hätten.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Zeit in Hamburg?

Biegler : Lehren müsste ich ziehen, wenn es nicht funktioniert hätte. Aber für mich hat alles funktioniert. Ich kann vielmehr Bestätigung daraus ziehen. Viele hatten vorausgesagt, dass ich mit meinem Ansatz von stringenter Trainingsarbeit in diesem Verein nicht erfolgreich sein könne. Aber wir haben mit einer neu formierten Mannschaft, mit einer geschlossenen Teamleistung in einem halben Jahr eine Spielstruktur etabliert. Natürlich hat am Ende die Stringenz im Training unter den äußeren Umständen gelitten.

Wann werden wir Sie wieder in der Bundesliga sehen?

Biegler : Das weiß ich nicht. Ich prüfe zurzeit zwei Projekte, die aber beide nichts mit der Bundesliga zu tun haben. Noch bin ich da nicht am Ende meiner Entscheidungsfindung angelangt. Außerdem bereite ich Vorträge vor. Vielleicht flattert ja noch mal eine Anfrage aus der Bundesliga herein.

Ein Projekt führt Sie nach Angola.

Biegler : Der Weltverband IHF hat im November 2014 ein Programm ins Leben gerufen, um den Handball außerhalb Europas zu entwickeln. Ich bin von der IHF im April vergangenen Jahres darüber informiert worden, dass ich als sogenannter Traveller Coach nominiert bin. Ich habe daraufhin die IHF wissen lassen, dass ich dem zusätzlich zu meinen Aufgaben beim HSV und in Polen nicht gerecht werden kann. Inzwischen ist die Lage ja eine andere. Angola ist als Dritter der Afrikameisterschaft für die WM qualifiziert. Ich werde Mitte März ein Gespräch darüber führen, ob und inwieweit ich unterstützen kann. Das Projekt ist übrigens über mehrere Jahre angelegt, wobei es unklar ist, ob und wie oft man dabei vor Ort ist.

Wird die deutsche Nationalmannschaft nach dem EM-Titelgewinn das Niveau halten können?

Biegler : Die Deutschen haben – wie auch die Norweger – in Polen befreit, unbeschwert und mit Überzeugung gespielt und sind deshalb verdientermaßen Europameister geworden. Natürlich hatten sie in der Hauptrunde einige kritische Situationen zu überstehen, aber sie haben sie gelöst bekommen. Aber die Mannschaft wird schon bei den Olympischen Spielen nicht mehr so befreit aufspielen. Sie sind dann der Europameister, die anderen werden von ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr überrascht sein. Übrigens: Wir haben mit dem HSV bei unserem Sieg in Wetzlar gegen Nationaltorwart Andreas Wolff klare Lösungen gefunden, weil wir uns vorher intensiv mit ihm beschäftigt haben. Das werden auch andere versuchen. Diesen Druck zu meistern wäre dann der nächste Entwicklungsschritt für die Mannschaft. Vielleicht gelingt das auch erst im zweiten Anlauf. Das propagierte Ziel des Deutschen Handball-Bundes sind ja die Olympischen Spiele 2020. Der Weg dorthin wird sicherlich nicht unfallfrei verlaufen. Aber das gehört zum Sport dazu.