Hamburg. Elf Jahre lang wurden die HSV-Handballer von Andreas Rudolph finanziert. Der Machtmensch zahlte und durfte dafür alles bestimmen.

Es begab sich aber am zweiten Weihnachtstag des Jahres 2004, da erschien ein Retter in der Magdeburger Bördelandhalle. Andreas Rudolph, damals 49 Jahre alt, hatte eigens den Skiurlaub unterbrochen, um dem Handball-Sport-Verein Hamburg beizustehen. Die 29:37-Niederlage konnte der bis dahin kaum bekannte Ahrensburger Unternehmer nicht verhindern. Aber er konnte den Spielern und Trainer Bob Hanning Hoffnung machen, dass es trotz eines Schuldenbergs von 2,3 Millionen Euro, trotz acht Punkten Abzug, trotz der Inhaftierung des Geschäftsführers und der drohenden Insolvenz für den Handball in Hamburg eine Zukunft geben könnte.

Elf Jahre später ist die Lage ähnlich besorgniserregend. Den HSV drücken Schulden in Millionenhöhe, die Insolvenz ist angemeldet, der Zwangsabstieg droht. Aber als die Hamburger Handballer am Sonntag Frisch Auf Göppingen mit 36:24 aus der Barclaycard-Arena warfen, stand da kein Andreas Rudolph, um sich mit den Spielern abzuklatschen. Stattdessen suchte Gideon Böhm, der vorläufige Insolvenzverwalter, die Mannschaft in der Kabine auf. Er wird ihr keine allzu große Hoffnung gemacht haben können. Das könnte wohl nur Andreas Rudolph.

Schätzungsweise 40 bis 50 Millionen Euro hat er sich sein Hobby seit seinem Einstieg in jenem Dezember 2004 kosten lassen, als Mäzen, Darlehensgeber und Sponsor (GHD). Sein Engagement beruhe auf „Spaß, Überzeugung und Interesse am Sport“, sagte er damals. Alle drei Beweggründe scheinen dem einstigen Bundesligaspieler von Phönix Essen und dem OSC Rheinhausen abhandengekommen zu sein. Ein offizielles Amt hat er schon seit Mai 2014 nicht mehr inne, als er seine zweite Amtszeit als Präsident vorzeitig beendete. Zuletzt blieben auch die großzügigen Einladungen an die Mannschaft in die Berge oder in sein Anwesen auf Mallorca aus.

Rudolph zahlte und durfte bestimmen

Selbst bei Heimspielen war Rudolph nur noch selten zu Gast. Und wenn doch, dann habe es ihn jedes Mal 800.000 Euro gekostet. Die Zahl rechnete er vorvergangene Woche einem kleinen Kreis von Medienvertretern vor. Ebenso, wie weit Einnahmen (700.000 Euro) und Ausgaben (fünf Millionen Euro) bei seinem HSV bis Saisonende auseinanderklaffen.

Die Äußerungen waren die ersten in der Öffentlichkeit, seitdem Rudolph im Sommer vergangenen Jahres dem HSV mit einer Zuwendung von fünf Millionen Euro die Lizenz gerettet hatte – von einem kurzen Auftritt bei der Pressekonferenz nach dem Spiel beim Bergischen HC Ende Oktober einmal abgesehen. Bemerkenswert sind sie auch deshalb, weil Rudolph nie über Geld zu reden pflegte. Er zahlte alles, und dafür durfte er alles bestimmen.

Wer das Spiel nicht mitspielen wollte, musste gehen oder ging freiwillig. Die blieben, rümpften hin und wieder die Nase über „unhanseatisches Gebaren“, die horrenden Ablösen und Gehälter, die großspurigen Kampfansagen, die ausschweifenden Partys. Aber sie feierten mit, als der HSV 2011 deutscher Meister wurde und 2013 Champions-League-Sieger. Dass Rudolph, 60, eines Tages ernst machen und die Brocken hinwerfen würde, konnten sie sich nicht vorstellen. Er hatte es doch schon so oft angedroht und sich am Ende wieder erweichen lassen. Er würde sein Baby schon nicht sterben lassen.

Rudolph will nicht der „Geldonkel“ sein

Jetzt hat der Machtmensch Andreas Rudolph tatsächlich die Lust verloren. Eine im Lizenzantrag garantierte Zahlung hat er verweigert, sie wird wohl Gegenstand eines Rechtsstreits. Selbst die aktuelle Erfolgsserie konnte ihn nicht umstimmen. Ist es, weil sein privates Engagement inzwischen hoch besteuert wird? Weil Erfolge ausblieben? Sich das Verhältnis zur Mannschaft abgekühlt hat? Weil ihn manche aus dem Verein drängen und einen Neustart in der Dritten Liga wollten? Weil keiner der vielen Geschäftsführer zu seiner Entlastung beitragen konnte?

Die hatte Rudolph schon seinerzeit in Magdeburg angemahnt. Er könne „eine gewisse Zeit überbrücken und für Liquidität sorgen“, aber er sei „nicht der Geldonkel“. Ziel müsse es sein, viele kleine Sponsoren zu holen. „Wenn ich morgen gegen einen Baum fahre“, sagte Rudolph lächelnd, „dann darf das Schicksal des HSV nicht davon abhängen.“ Tut es aber mehr denn je – auch weil Rudolph selbst die Personalkosten in die Höhe trieb. Namhafte Sponsoren wie Sharp, Deutscher Ring, Haspa, AOK und Vattenfall haben sich abgewendet. Gleichwertig ersetzt wurden sie nicht.

Auch die Einlagen in die 2013 gegründete Kommanditgesellschaft blieben hinter den Erwartungen zurück. Investoren, die Andreas Rudolphs Rolle übernehmen oder seinem Bruder Matthias, 57, die Mehrheitsanteile an der Betriebsgesellschaft abkaufen wollen, scheint es nicht zu geben.

Eine HSV-Zukunft mit Andreas Rudolph ist kaum vorstellbar. Eine ohne ihn auch nicht. Das ist das Dilemma dieses Vereins, den es ohne Andreas Rudolph längst nicht mehr gäbe.