Hamburg. 27:22: So liest sich das Ergebnis gegen den SC Magdeburg. Das starke Zeichen einer Mannschaft, die keine Zukunft zu haben scheint.

Wie ein Totentanz sah es nicht aus, was die HSV-Handballer nach dem 27:22-Sieg über den SC Magdeburg auf dem Parkett der Barclaycard-Arena vollführten: Sie fassten sich an den Schultern und hüpften völlig losgelöst im Kreis, umtost von mehr als 9000 Zuschauern, so vielen wie noch nie in dieser Saison. Es war im Gegenteil ein starkes Lebenszeichen einer Mannschaft, die doch keine Zukunft mehr zu haben scheint.

So jedenfalls ließe sich die Einschätzung von Andreas Rudolph zusammenfassen, an der er am Vortag einen kleinen Kreis von Journalisten hatte teilhaben lassen. „Eine Fortführungsprognose sehe ich nicht mehr als gegeben an“, sagte der Hauptsponsor, Mäzen und langjährige Präsident (Dezember 2004 bis August 2011 und November 2013 bis Mai 2014). Der Verein stehe weit schlechter da als am 1. Januar 2005, als Rudolph einstieg und mit Millionenaufwand dem HSV die Existenz sicherte.

Forderungen von Gläubigern von mehr als einer Million Euro

Damit widersprach Rudolph indirekt Gideon Böhm. Der vorläufige Insolvenzverwalter hatte wiederum einen Tag zuvor Zuversicht zur Schau gestellt und von einer „realistischen Chance auf ein tragfähiges Sanierungskonzept“ gesprochen. Geschäftsführer Christian Fitzek hatte am Dienstag beim Amtsgericht Hamburg ein Insolvenzverfahren für die Betriebsgesellschaft beantragt. Der HSV hatte zwei Monatsgehälter der Profis und eines der Geschäftsstellenmitarbeiter nicht zahlen können. Zudem belaufen sich die Forderungen zahlreicher Gläubiger, darunter Finanzamt, Krankenkassen, Berufsgenossenschaft, Sozialversicherung und Hallenbetreiber, auf mehr als eine Million Euro.

Präsident  Andreas Rudolph sieht keine Zukunft für den Verein
Präsident Andreas Rudolph sieht keine Zukunft für den Verein © WITTERS | TimGroothuis

Rudolph, 60, schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Schuhe, hatte eingeladen, um „meine Sicht der Dinge darzulegen“. Der Medizintechnikunternehmer (GHD) hatte in den vergangenen elf Jahren mehr als 40 Millionen Euro in den Club gesteckt. „Davon will ich auch keinen Cent wiederhaben“, stellte der Mäzen mit einem Lächeln klar. Er sei grundsätzlich zwar bereit, auch jetzt und künftig mit einer namhaften Summe zu helfen, „wenn es zum Beispiel um eine Million Euro ginge, wäre das nicht der Punkt“ – jedoch nicht mehr als Alleinunterhalter und auch nur dann, wenn ein tragfähiges finanzielles Konzept vorläge und sich andere Gläubiger ebenfalls in Verzicht übten.

Rudolph tue es vor allem für die Spieler leid

„Ich hoffe, dass sich der Verein retten kann, doch es fällt mir schwer, daran zu glauben“, sagte Rudolph. „Besonders die Spieler tun mir leid.“ Er habe mit dem Kapitel HSV Handball emotional abgeschlossen, so schmerzlich dies auch für ihn sei. Kontakt habe er hauptsächlich noch zu einigen Spielern wie Kapitän Pascal Hens und Torhüter Johannes Bitter, zu Fitzek dagegen „seit Wochen nicht mehr“.

Strittig bleibt die Frage der Sicherheit in Höhe von zwei bis drei Millionen Euro, die Rudolph gegenüber der Handball-Bundesliga (HBL) im Lizenzierungsverfahren abgegeben haben soll. „Es war keine Patronats-, sondern eine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Verein, die an gegenseitige Bedingungen geknüpft war. Ich habe alle Anforderungen bereits umfassend erfüllt“, sagte Rudolph. Seine Anwälte würden das ähnlich beurteilen.

HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann widersprach dieser Darstellung. Die Erklärung zur Sicherung der Liquidität sei eindeutig, etwaige Bedingungen liefen den Bestimmungen zuwider. Die zuständige Kommission der Liga habe diesbezüglich Rückfragen an den HSV gestellt, die bis heute nicht beantwortet seien. Sie wurden auch Insolvenzverwalter Böhm vorgelegt, der am Sonntag unter den Zuschauern war.

Umwandlung der Rudolph-Darlehen könnte Punktabzug verhindern

Rudolph ist dennoch weiter bereit, seine dem Club gewährten Darlehen in Anteile in der Betriebsgesellschaft umzuwandeln, was das Nominalkapital entscheidend erhöhen, aber dem Verein keine neue Liquidität verschaffen würde. Der Effekt wäre, dass das negative Eigenkapital in positives umgewandelt würde und damit der drohende Abzug von vier Pluspunkten in der laufenden Spielzeit verhindert wäre. „Mein Angebot besteht, ich habe jedoch bislang keine Antwort erhalten“, sagte Rudolph.

Warum es den Handballern schwerfallen dürfte, eine Perspektive zu entwickeln, belegte Rudolph mit Zahlen aus der Gläubigerversammlung Ende November. Bis Saisonende erwarte der Club noch Einnahmen von 700.000 Euro, die Forderungen bis Ende Juni 2016, auch durch Altlasten, beliefen sich auf rund fünf Millionen Euro. Zurzeit nehme der HSV 100.000 Euro im Monat ein, gebe aber 400.000 aus, drei Viertel davon für Gehälter. Zudem drohten hohe Rückzahlungen an den ehemaligen Vermarkter Kentaro, der ebenfalls insolvent ist und dessen Insolvenzverwalter deshalb darauf bestehen könnte, geleistete Zahlungen zurückzufordern. Das ist nach deutschem Insolvenzrecht möglich.

Stationen der Krise beim HSV Handball

2002

Mit dem Bau der neuen Multifunktionsarena im Volkspark übernahmen die Hamburger im Handball die Lizenz des zum damaligen Zeitpunkt finanziell angeschlagenen VfL Bad Schwartau. Ab der Saison 2002/03 startete der Handball Sportverein Hamburg in der Bundesliga.

Dezember 2004

Andreas Rudolph, der das Handball-Urgestein Heinz Jacobsen auf dem Präsidenten-Stuhl der Hamburger ablöst, rettet mit seinem Geld (weit mehr als 30 Millionen Euro) den Verein vor dem Untergang.

11. Mai 2011

Nach der ersten Meisterschaft für den HSV Hamburg stehen personelle Wechsel an: Martin Schwalb wird Präsident, Per Carlén neuer Trainer. Doch das Experiment misslingt: Schwalb kehrt auf die Bank zurück, Matthias Rudolph, der Bruder von Andreas wird Chef.

19. Juni 2013

Ex-Nationalkeeper Frank Rost wird als neuer Geschäftsführer präsentiert. Der vermeintliche Coup mit dem Fußballer im Handball-Club erweist sich schnell als 43-Tage-Irrtum von Hamburg.

16. November 2013

Andreas Rudolph ist wieder Präsident, nachdem sein Bruder Matthias die Brocken hingeworfen hatte.

18. Februar 2014

Andreas Rudolph erklärt den HSV Hamburg zum „Sanierungsfall“.

8. Mai 2014

In einer E-Mail erklärt Andreas Rudolph seinen Rücktritt und kündigt später an, kein privates Geld mehr in den Club stecken zu wollen.

15. Mai 2014

Die HBL verweigert dem HSV Hamburg in erster Instanz die Lizenz. Die Begründung: Ein Nachweis der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist nicht erbracht.

1. Juli 2014

In der letzten Instanz (vier Minuten vor Ablauf der Frist durch eine erneute Millionen-Bürgschaft von Andreas Rudolph) erhalten die Hamburger doch noch die Lizenz.

3. Juli 2014

Trainer Martin Schwalb, der einen Tag später entlassen werden soll, erleidet einen Herzinfarkt. In einer Notoperation retten die Ärzte das Leben des Coaches.

6. August 2014

Christian Fitzek, ehemaliger sportlicher Leiter, Co- und Cheftrainer kommt als Geschäftsführer vom VfL Bad Schwartau nach Hamburg zurück.

23. Oktober 2014

Der Reiseunternehmer Karl Gladeck, der schon seit Monaten den HSV unterstützt, wird satzungsgemäß vom Aufsichtsrat zum neuen Präsidenten und Nachfolger von Frank Spillner ernannt.

4. Dezember 2014

Das Arbeitsgericht erklärt die mittlerweile ausgesprochene Kündigung von Martin Schwalb für unwirksam. Der Ex-Trainer soll Nachzahlungen in Höhe von fast 300 000 Euro erhalten.

9. Dezember 2015

Spieler und Angestellte des Vereins warten auf ihr Geld. Ein Krisengipfel tags zuvor mit Hauptgeldgeber Andreas Rudolph brachte kein Resultat.

16. Dezember 2015

Die Gerichtspressestelle Hamburg bestätigt einen Insolvenzantrag des HSV Hamburg.

1/15

Das Aus nach 13 Jahren?

Über sein Engagement sagte Rudolph: „Ich habe in den vergangenen drei Jahren jede Eintrittskarte mit 45 Euro subventioniert.“ Ihn selbst habe jeder Besuch eines Heimspiels 800.000 Euro gekostet. Er sei enttäuscht, dass trotz der großen Erfolge der Mannschaft, Gewinn der deutschen Meisterschaft 2011 und der Champions League 2013, es an Unterstützung gefehlt habe. Die Kulisse am Sonntag bestätigte die These: Sie war zwar die größte der Saison, für ein vorweihnachtliches Heimspiel aber enttäuschend.

„Ich hätte mir mehr Zuschauer, mehr Förderer, mehr Sponsoren und mehr Unterstützung der Stadt gewünscht. Oper, Theater, Elbphilharmonie werden mit Millionen am Leben erhalten, der Sport geht weitgehend leer aus. Wenn an einem trüben Sonntagnachmittag nur 4500 Zuschauer in die Halle kommen, obwohl die Mannschaft über die Erwartungen erfolgreich spielt, ist das dramatisch.“ Dramatischer noch: In der Saison 2014/15 habe der HSV Handball 4,1 Millionen Euro durch Sponsoren eingenommen, in der laufenden noch 2,1 Millionen, „den Großteil von meinen Firmen“. Für die Serie 2016/17 rechnet der Verein mit Sponsorengeldern von 3,4 Millionen Euro. „Dann fehlten voraussichtlich immer noch eine Million Euro, um den Etat zu decken“, sagte Rudolph.

Keine guten Aussichten, dass der Handballtanz in Hamburg nach mehr als 13 Jahren weitergeht.